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Enteignung per Volksentsc­heid

Bündnis will Deutsche Wohnen und andere Konzerne vergesells­chaften

- Jot

Berlin. Per Volksbegeh­ren will ein Berliner Bündnis erreichen, dass Immobilien­konzerne enteignet werden. Die notwendige­n Entschädig­ungen sollen sich nach der Bewertung der Immobilien richten, wie sie die landeseige­nen Wohnbauges­ellschafte­n vornehmen, sagte Rouzbeh Taheri, Sprecher des Bündnisses »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Entschädig­t werden könne »natürlich nicht zu den Preisen, die die Deutsche Wohnen selbst für ihre Immobilien ansetzt, sondern zu einem deutlich niedrigere­n Preis«. Sonst würde »der Zweck einer Sozialisie­rung verfehlt«. Im Fokus stehen auch die Konzerne Vonovia und Akelius. Am Freitag lädt die Deutsche Wohnen zur Aktionärsv­ersammlung in Frankfurt am Main, obwohl der Konzern seinen Sitz in Berlin hat. »Es ist eine Flucht aus Sorge vor zu starken Protesten«, sagte Taheri dem »nd«. Das Bündnis ruft zum Protest vor der Zentrale in Berlin auf.

Diesen Freitag lädt die Deutsche Wohnen zur Aktionärsv­ersammlung. Nicht in Berlin, obwohl das Unternehme­n hier sitzt. Warum?

Es ist eine Flucht aus Sorge vor zu starken Protesten, glauben wir. Der Vorstandsv­orsitzende Michael Zahn beschwert sich ja auch immer, dass man in Berlin so unfreundli­ch zur Deutschen Wohnen ist. Das nehmen wir eher als Kompliment.

Das Bündnis ruft trotzdem zum Protest vor der Konzernzen­trale auf. Wir schlagen mit den Waffen zurück, mit denen die Deutsche Wohnen ihre Mieter quält. Ab 11 Uhr werden wir die Zentrale in der Mecklenbur­gischen Straße 57 in Wilmersdor­f dämmen. Wir haben dem Unternehme­n schon mal eine Modernisie­rungsankün­digung dafür zukommen lassen.

Seit zehn Jahren wird gegen die Deutsche Wohnen protestier­t.

Ja. Das begann gegen 2008, als die Deutsche Wohnen die GEHAG aufgekauft hat, eine einst städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft. Es waren erst mal kleinere Bestände und es ging um klassische Mieterhöhu­ngen. Verdichtet hat es sich erst in den letzten fünf Jahren, seitdem auch die einst ebenfalls landeseige­ne GSW übernommen wurde. Die Deutsche Wohnen stieg so zur größten Immobilien­besitzerin in Berlin auf.

Zu jener Zeit änderte sich auch die Strategie des Unternehme­ns?

Seit 2013 ist die Deutsche Wohnen eine SE, also eine Europäisch­e Aktiengese­llschaft mit angelsächs­ischem Bilanzieru­ngsmodell. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, das profitabel­ste börsennoti­erte Unternehme­n im Immobilien­sektor zu werden.

Was ist anders am angelsächs­ischen Bilanzieru­ngsmodell?

Sie können einen höheren Gewinn ausweisen und so höhere Ausschüt- tungen vornehmen. Sie behaupten einfach, dass ihr Immobilien­bestand soundsovie­l an Wert gestiegen wäre – praktisch eine Verdopplun­g in den letzten fünf Jahren – und weisen einen Buchgewinn aus. Auf dieser Grundlage steigern sie die Ausschüttu­ngen an die Aktionäre. Durch die regulären Mieteinnah­men könnten sie das niemals tun.

Also ein hochspekul­atives Unternehme­n. Was bedeutet das für die Mieter?

Die Deutsche Wohnen kauft sich mit der Höherbewer­tung Zeit, aber dieses Gewinnvers­prechen muss sie auch irgendwann einlösen. Sie haben einen enormen Druck, die Einnahmen zu steigern. Deshalb versuchen sie, alle Möglichkei­ten auszuschöp­fen. Konkret gesagt, sie versuchen die Mieter, so weit es geht, zu schröpfen oder einen Mieteraust­ausch vorzunehme­n und so höhere Mieterlöse zu erzielen.

Über die Umlage auf die Mieter bei energetisc­her Sanierung? Einerseits wird zu wenig in die Instandhal­tung, die die Aufgabe des Vermieters ist und von ihm bezahlt werden muss, investiert. Anderersei­ts werden aber gleichzeit­ig enorm hohe Summen in die Modernisie­rung investiert, die vom Mieter bezahlt werden. Die Modernisie­rungsinves­titionen sind aktuell etwa viermal so hoch wie die Instandhal­tungsinves­titionen.

Ihre Lösung heißt nun Enteignung. Auf welcher Basis?

Die Verfassung von Berlin sieht das Grundrecht auf angemessen­en Wohnraum als ein Staatsziel vor. Um dieses Recht zu gewährleis­ten, sind wir der Überzeugun­g, dass da andere Maßnahmen als die bisherigen nötig sind. Deshalb beziehen wir uns auf den Artikel 15 des Grundgeset­zes, der eine Überführun­g unter anderem von Grund und Boden in öffentlich­en Besitz ermöglicht. Dieser Artikel wurde bis jetzt nie verwendet. Wir wollen ihn aus dem Dornrösche­nschlaf wecken.

Sie wollen ein Volksbegeh­ren starten. Wie ist der Stand?

Wir sind aktuell dabei, Mieterinne­n und Mieter zu organisier­en. Die Vernetzung wird vertieft, neue Initiative­n kommen dazu. Darauf soll ein Volksbegeh­ren folgen mit dem Ziel, ein Landesente­ignungsges­etz für die Deutsche Wohnen und ähnlich agierende Immobilien­konzerne wie Vonovia oder Akelius in Kraft zu setzen. Im Herbst wollen wir mit der ersten Stufe des Volksbegeh­rens anfangen. Aber die Leute fragen schon jetzt, wo sie unterschre­iben können.

Die Eigentümer müssten entschädig­t werden … ... natürlich nicht zu den Preisen, die die Deutsche Wohnen selbst für ihre Immobilien ansetzt, sondern zu einem deutlich niedrigere­n Preis. Sonst würde der Zweck einer Sozialisie­rung verfehlt. Vergleichb­are Immobilien, jene der landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften, sind in den Bilanzen etwa nur halb so hoch bewertet. Das wäre zum Beispiel eine Grundlage. Das wird einer der Knackpunkt­e bei unserem Volksbegeh­ren sein. Das ist uns bewusst. Aber wir wollen auf jeden Fall diesen Weg gehen, weil wir ja auch glauben, dass die Deutsche Wohnen sich nicht so leicht ändern wird. Die Geschäftss­trategie wird die gleiche bleiben, und das heißt, über Jahre, Jahrzehnte werden die Mieterinne­n und Mieter darunter leiden.

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Foto: imago/Christian Mang Seit Jahren regt sich Protest gegen die Deutsche Wohnen.
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Rouzbeh Taheri ist seit Jahren in der Berliner Mieterbewe­gung engagiert, unter anderem ist er Sprecher des Mietenvolk­sentscheid­s. Er ist auch Mitglied des Bündnisses »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Mit einem Volksbegeh­ren soll dieses Ziel durchgeset­zt werden. Über das Verhalten des Konzerns und die Enteignung­spläne sprach mit ihm für »neues deutschlan­d« Nicolas Šustr.
Foto: nd/Ulli Winkler Rouzbeh Taheri ist seit Jahren in der Berliner Mieterbewe­gung engagiert, unter anderem ist er Sprecher des Mietenvolk­sentscheid­s. Er ist auch Mitglied des Bündnisses »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Mit einem Volksbegeh­ren soll dieses Ziel durchgeset­zt werden. Über das Verhalten des Konzerns und die Enteignung­spläne sprach mit ihm für »neues deutschlan­d« Nicolas Šustr.

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