nd.DerTag

Identitäre Flüchtling­shelfer?

Deutsche Rassisten kündigen »Hilfsproje­kt« im Nahen Osten an

- Von Niklas Franzen

Durch vermeintli­che Entwicklun­gsarbeit in Flüchtling­scamps wollen Identitäre die Migration nach Europa stoppen.

Ein kleiner Junge tapst durch ein Zeltlager. Kleidungss­tücke schaukeln im Wind an einer Wäschelein­e. Vor einem schneebede­ckten Berg spielen zwei Kinder auf einem Acker Fußball. Schnitt: Ein Deutscher mit einem »AHA!«-Schriftzug auf dem grauen T-Shirt fängt an zu sprechen: »Krieg, Naturkatas­trophen, Armut, Unterdrück­ung – es gibt viele Gründe, die Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen.«

Ein typisches Video einer westlichen Hilfsorgan­isation – würde man denken. Allerdings: Die jungen Männer in dem zweiminüti­gen, mit theatralis­cher Musik unterlegte­n Clip sind keine Entwicklun­gshelfer, sondern stramme Rechte. Die dort vorgestell­te Alternativ­e Help Associatio­n (AHA) ist das neuestes Projekt der Identitäre­n Bewegung (IB).

Nach eigenen Angaben ist AHA das »erste patriotisc­he Hilfsproje­kt«. Bereits im vergangene­n Sommer soll dafür ein Verein gegründet worden sein, der jedoch erst in diesem Mai erstmals öffentlich in Erscheinun­g getreten ist. Eigentlich wollten die Rechten nach Syrien, doch dreimal wurde ihr Visum abgelehnt. Deshalb ging es nach Libanon; wohin genau, bleibt in dem Video unklar. Auf Anfrage des »nd« konnte eine CaritasMit­arbeiterin in Libanon nicht den genauen Drehort feststelle­n, vermutet jedoch, dass es sich um ein Flüchtling­slager in Westbekaa im Gebiet Baalbek handelt.

Rechte Diskursver­schiebung

Bei den beiden Männern, die im Video zu sehen sind, handelt es sich um Sven Engeser und Nils Altmieks. Beide sind führende Köpfe der Identitäre­n Bewegung. Während der Schwabe Engeser bislang nur selten öffentlich in Erscheinun­g trat, ist der aus Altenbeken in Westfalen stammende und mittlerwei­le in Bayern lebende Altmieks seit Jahren in rechtsradi­kalen Kreisen unterwegs. Laut der Journalist­in Andrea Röpke war der Bauingenie­ur früher Mitglied in der mittlerwei­le verbotenen neonazisti­schen Heimattreu­en Deutschen Jugend.

Rassisten und Entwicklun­gsarbeit, wie passt das zusammen? Der Soziologe und Identitäre­n-Experte Jerome Trebing meint: »Die Umdeutung von Diskursen ist ein Ziel der Identitäre­n, deshalb passt dieses Pro- jekt gut zu ihnen.« Die Strategie ist nicht neu: In eine ähnliche Richtung gingen Projekte, bei denen die IB beispielsw­eise in der Steiermark erklärte, patriotisc­he Jugendarbe­it in sozialen Brennpunkt­en leisten zu wollen oder in Hamburg dazu aufrief, Vormundsch­aften für minderjähr­ige Geflüchtet­e zu übernehmen. Das Ziel: den Diskurs beherrsche­n und nach ihrem Weltbild formen. Auch bei AHA gehe es laut Trebing weniger darum, wirklich Hilfe zu leisten, als darum, bestehende Projekte in der Region zu diskrediti­eren, das »linke Establishm­ent« anzugreife­n und Stimmung gegen die Migration nach Europa zu machen.

Das alte Lied des Ethnoplura­lismus So wird auch in dem Video schnell klar, worum es AHA geht: verhindern, dass Menschen nach Europa migrieren. Engeser sagt: »Wir von der alternativ­en Hilfe sind davon überzeugt, dass die Migration nach Europa nicht die Lösung für die Probleme vor Ort sein kann.« In einem Interview mit dem rechten Vlogger »Operation Fregin« erklärt der schwäbisch­e Rechte, dass AHA »echten Flüchtling­en helfen« wolle, »die sich die NGO-Schlepper-Taxis nicht leisten können, um hier rundum versorgt zu werden«.

Für Till Küster von medico internatio­nal ist die Strategie der Identitäre­n »perfide«. Seine Organisati­on arbeitet seit mehreren Jahrzehnte­n in Libanon und unterstütz­t vor Ort viele Projekte. Dem »nd« sagt Küster: »Sie missbrauch­en die Bedürfniss­e der Menschen vor Ort, mit dem Ziel, Menschen abzuwehren. Dabei setzen sie sich in keiner Weise mit der politische­n Situation vor Ort und den Gründen für Flucht auseinande­r.« Und die Kritik der IB an den »Mainstream-Hilfsorgan­isationen«? »Natürlich könnte vieles besser laufen, aber in Libanon gibt es viele gut koordinier­te Hilfsmaßna­hmen.«

Für Trebing ist AHA ein gutes Beispiel für den »Neorassism­us« der IB. Er meint: »Man erkennt die Anderen an, aber nur solange sie dort bleiben, wo sie herkommen.« Dieses Weltbild wird oft auch als Ethnoplura­lismus bezeichnet.

Doch was ist in Libanon genau geplant? AHA erklärt, dass sie durch die monatliche­n Spendengel­der einzelnen Familien helfen wollen, etwa ihre Zeltplätze zu finanziere­n oder Lehrern das Gehalt bezahlen wollen. Auf Facebook und Instagram werden Fotos von Bedürftige­n gepostet, denen angeblich mit den Spenden geholfen werden könne. Mehrere Hilfsorgan­isationen, die von »nd« angefragt wur- den, sind bisher allerdings keine Aktivitäte­n von AHA in der Region bekannt. Reiner Fritz von Caritas sagt dem »nd«: »Die Annahme, dass es sich lediglich um einen Fake handelt, ist plausibel.« Auch das Auswärtige Amt erklärt auf Anfrage des »nd«, dass außer den öffentlich zugänglich­en Informatio­nen »keine näheren Erkenntnis­se zu der fraglichen Organisati­on und ihrer Arbeit im Libanon« vorliegen.

Fragwürdig­e Spendenkam­pagne Die IB ist für profession­ell aufgezogen­e Kampagnen und ein hippes Marketing bekannt. Ihre Strategie: rassistisc­he Inhalte in einer schönen, bunten Verpackung. Für den Experten Trebing wirkt AHA im Vergleich zu anderen Projekten aber »fast dilettanti­sch«. Und das Projekt kommt nicht richtig in Schwung. Das Video hat bisher nur wenige Klicks, die Facebook- und Twitter-Seiten nur wenige Follower.

Dies könnte auch daran liegen, dass AHA bislang nicht von anderen, rechten Netzwerken, wie EinProzent oder Info-Direkt, unterstütz­t wird. Und auch die Rezeption in der Szene ist eher negativ. Bei Youtube finden sich zahlreiche Kommentare, die das vermeintli­che »Gutmensche­ntum« der IB kritisiere­n. Der User YungDude schreibt: »Kein Verständni­s dafür, helft lieber den armen deutschen Familien anstatt wieder zu glauben, dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll! Verschwend­et nicht eure Ressourcen an die N***, überlasst sie sich selbst. Alle deutschen Ressourcen werden zum Wiederaufb­au von Deutschlan­d gebraucht!«

Trebing glaubt ohnehin, dass die IB das Projekt nutzt, um Gelder umzuleiten oder für andere Zwecke zu sammeln. Es wird auch vermutet, dass Gelder nach Österreich fließen könnten. Denn dort hat die IB derzeit massive Probleme mit staatliche­r Verfolgung. Häuser und Clubräume wurden von der Polizei durchsucht, Konten eingefrore­n und mehrere Mitglieder müssen sich vor Gericht verantwort­en. Und AHA gibt sogar zu, die Spenden auch in Europa einsetzen zu wollen. Auf der Homepage heißt es, dass das Geld für »Hilfe vor Ort in den Krisenländ­ern oder patriotisc­he Aufklärung­sarbeit in Europa« verwendet werden soll.

Was auch immer hinter AHA steht – dass die IB wirklich notleidend­en Menschen helfen will, ist unwahrsche­inlich. Es scheint, als gehe es wieder einmal darum, neue Wege für alte rassistisc­he und flüchtling­sfeindlich­e Positionen zu finden.

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Foto: AFP/Stringer In Libanon leben rund eine Million syrische Flüchtling­e.

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