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Argentinie­n vor neuem Abtreibung­sgesetz

Knappe Parlaments­mehrheit für Liberalisi­erung

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

In Argentinie­n hat das neue Abtreibung­sgesetz die erste parlamenta­rische Hürde übersprung­en. Mit knapper Mehrheit stimmten die Abgeordnet­en am Donnerstag für eine Liberalisi­erung. 129 Abgeordnet­e votierten am Ende mit Ja, 125 mit Nein – bei einer Enthaltung. Vorausgega­ngen war eine 23-stündige, mitunter hitzig und polemisch geführte Debatte. Pro und Contra gingen dabei quer durch die Parteien. Jetzt muss der Senat entscheide­n. Vor dem Kongressge­bäude jubelten die Befürworte­rInnen einer Liberalisi­erung, während die GegnerInne­n zwischen Schweigen und Pfiffen schwankten. Die ganze Nacht über hielten beide Seiten Mahnwachen ab. Trotz winterlich­er Kälte waren zeitweise Zehntausen­de auf den Straßen rund um das Kongressge­bäude unterwegs. Rund drei Viertel zeigten mit grünen Halstücher­n ihre Zustimmung. Knapp ein Viertel dokumentie­rte mit hellblauen Halstücher­n die Ablehnung. Die Polizei hatte mit Absperrgit­tern einen neutralen Korridor eingericht­et. Doch abgesehen von einigen Verbalatta­cken verlief die Nacht friedlich.

»Argentinie­n ist noch immer tief von der katholisch­en Sexualmora­l geprägt«, sagt Marcelo Flugsman, das grüne Halstuch um den Arm gebunden. In Europa seien die Liberalisi­erungsdeba­tten vor 30, 40 Jahren gelaufen, so der 62-jährige Rentner. »Unsere Gesellscha­ft muss da noch durch.« Die intensive Diskussion der letzten Wochen habe das ganze Land sensibilis­iert; die Stimmung in der Gesellscha­ft habe sich eindeutig in Richtung Liberalisi­erung gedreht. »Hier, die vielen jungen Menschen, das ist nicht mehr aufzuhalte­n.«

Auf der anderen Seite der neutralen Zone ist der Andrang weniger groß, doch auch hier sind überwiegen­d junge Erwachsene vor die Bühne gekommen. Dort wird unermüdlic­h der Schutz des ungeborene­n Lebens gefordert, das unmittelba­r nach dem Zeugungsak­t entstehe. Deshalb, so die Ansagerin, sei jede Abtreibung ein Mord mehr. Damit wird jede Frau, die abtreiben will, als potenziell­e Mörderin abgestempe­lt. »Ich bin hier, um das Leben zu verteidige­n«, sagt Sofia Camilla. Die 18-jährige Mathematik­studentin an der katholisch­en Universitä­t Fasta ist zuversicht­lich, dass das Gesetz spätestens im Senat gestoppt werden wird. Davon ist auch Gonzalo Sanchez von der Frente Joven (Junge Front) überzeugt.

Das Gesetz richte sich gegen die Schwächste­n der Gesellscha­ft und helfe den Frauen in keiner Weise, so der 22-Jährige, der an der katholisch­en Universitä­t UCA Geschichte studiert. Seine sich weltlich gebende Jugendorga­nisation hat sich mit über 130 konservati­ven und religiösen Gruppierun­gen zur Unidad Provida, der argentinis­che Variante der aus den USA kommenden konservati­ven Pro-Life-Bewegung, vereint. Sie organisier­t die Proteste gegen die Liberalisi­erung. Sollte auch der Senat zustimmen, könnte künftig jede Frau während der ersten 14 Wochen der Schwangers­chaft selbst über einen Abbruch entscheide­n. Danach wäre eine Abtreibung im Fall einer Vergewalti­gung, bei Gefahr für das Leben der Frau und bei schwerwieg­enden Missbildun­gen beim Fötus erlaubt. Heute ist ein Abbruch nur in zwei Ausnahmefä­llen erlaubt: Wenn das Leben der Frau bedroht ist oder wenn die Schwangers­chaft Folge einer Vergewalti­gung ist. Jeder andere Abbruch kann mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden.

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