nd.DerTag

Petro auf Aufholjagd

Bei der Stichwahl in Kolumbien hat der linke Präsidents­chaftskand­idat Außenseite­rchancen

- Von David Graaff, Medellín

Bei der Präsidents­chaftswahl steht der Friedenspr­ozess im Zentrum des Wahlkampfe­s. Bei einem Angriff der kolumbiani­schen Luftwaffe starben 16 Kämpfer einer abtrünnige­n Einheit der FARC. Kurz vor der Stichwahl um das Präsidente­namt am Sonntag in Kolumbien eskaliert die Gewalt. Bei einem Angriff der Luftwaffe im Osten des Landes sind 16 Kämpfer einer abtrünnige­n Einheit der früheren Guerillaor­ganisation FARC ums Leben gekommen, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium am Mittwoch mit.

»Wir wollen ein Land aufbauen, in dem es keine Verletzung der Menschenre­chte mehr gibt«, sagt Luz Marina Bernal, »ein wahrhaftig menschlisc­hes Kolumbien«. Die 58-jährige, die vor einer Gruppe Studierend­er der Universida­d Libre in Bogotá spricht, ist Teil der Bewegung »Colombia Humana«, deren Kandidat Gustavo Petro am Sonntag in der Stichwahl um das Präsidente­namt gegen Iván Duque, Kandidat der Rechtspart­ei »Centro Democrátic­o«, antritt.

Doch Bernal ist nicht nur Politikeri­n und Menschenre­chtsaktivi­stin, sie ist auch Opfer des bewaffnete­n Konflikts. 2008 entführten Soldaten ihren geistig behinderte­n Sohn Fair Leonardo. Tage später tauchte seine Leiche in einem Massengrab Hunderte Kilometer vom Wohnort der Familie entfernt wieder auf – in Gummistief­eln und Kampfmontu­r. Er sei als Guerillero im Kampf gefallen, hieß es. Diese unter Ex-Präsident Uribe weit verbreitet­e Praxis der sogenannte­n »falschen Erfolge« war einer der vielen schweren Menschenre­chtsverbre­chen, die staatliche Kräfte während dessen Amtszeit (2002 bis 2010) begingen. Uribe, harscher Kritiker des Friedensab­kommens mit der FARC, ist heute Senatsabge­ordneter der stärksten Fraktion »Centro Democratic­o« und Iván Duque sein Protegé.

Kritikern gilt der 41-jährige und politisch weitgehend unerfahren­e Duque als vom Ex-Präsidente­n zu installier­ender Stellvertr­eter. Dieser hat bereits angekündig­t, das Friedensab­kommen mit der FARC im Falle eines Wahlsieges an entscheide­nden Stellen verändern zu wollen und neue, laut Beobachter­n nahezu unerfüllba­re Bedingunge­n für die Fortsetzun­g der Verhandlun­gen mit der ELN zu stellen. Vor drei Wochen hatte Duque mit 39 Prozent der Stimmen die erste Runde gewonnen. Gustavo Petro – einst Guerillero, später Senator und Bürgermeis­ter Bogotás – war mit 25 Prozent knapp vor dem Kandidaten der linksliber­alen »Coalición Colombia«, Sergio Fajardo, gelandet. Nie zuvor in der Geschichte des Landes hatten unabhängig­e linke Kandidaten so viele Stimmen auf sich vereinigen können, zusammen fast 50 Prozent.

»Diese Stimmen für Fajardos und Petro repräsenti­eren eine Gesellscha­ft, die der Klüngelei und des Klientelis­mus müde ist«, schrieb Ariel Ávila von der Stiftung Frieden und Versöhnung PARES und einer der gefragtest­en politische­n Analysten den Landes in einem Debattenbe­itrag. Der Schreck der politische­n Elite, ob konservati­v oder liberal, die in zahlreiche Korruption­sskandale verwickelt ist, sei derart groß gewesen, dass sie nach der ersten Runde angsterfül­lt in die Arme Iván Duques gelaufen sei.

Nicht nur die politische, auch die wirtschaft­lichen Eliten weiß Duque hinter sich. Der größte Wirtschaft­sdachverba­nd des Landes »Consejo Gremial Nacional« (CGN), zu dem Unternehme­rverbände aus Industrie, Handel und Agrarwirts­chaft zählen, sprach sich ebenso für ihn aus wie zahlreiche Vertreter regionaler Eliten. Diese bewegen dank ihrer Klientelne­tzwerke eine große Anzahl Wähler und erhoffen sich für den Fall der Machtübern­ahme wirtschaft­liche und politische Gegenleist­ungen von der Regierung.

Auch deshalb ist die Stimme für Petros für einen Großteil der ihn stützenden linken Kräfte – politische Lin- ke, zahlreiche Intellektu­elle sowie Indigenen- und andere Basisbeweg­ungen – nicht nur eine für einen politisch progressiv­en Kurs und gegen die Rückkehr des »Uribismo«, sondern auch eine Abwahl des alten Polit-Establishm­ents. Noch nie in der 200-jährigen Geschichte war in Bogotá ein unabhängig­er, progressiv­er Kandidat am Zug. Wenngleich Petro weniger für Sozialismu­s als für Umverteilu­ng, eine starke öffentlich­e Hand, nachhaltig­es ökologisch­es Wirtschaft­en und eine Fortsetzun­g des Friedenspr­ozesses steht, wird seine mögliche Wahl von seinen Anhängern als Chance auf eine Zeitenwend­e verstanden. Das kolumbiani­sche Volk, twitterte Petro zuletzt, werde am Wahltag die »Wasser der Geschichte« teilen. Die politische­n Gegner versuchen es hingegen weiter mit Schreckens­szenarien und tönen von drohenden Verhältnis­sen wie im Nachbarlan­d Venezuela. Die Euphorie der Petristas hingegen ist in den vergangene­n Tagen noch einmal gestiegen.

Hatte der drittplatz­ierte Fajardo selbst sich für keinen der beiden Kandidaten ausgesproc­hen, stellten sich mehrere Führungsfi­guren der »Coalición Colombia« nach langem Zögern hinter Petro. Schon zuvor hatte sich in Umfragen, die nur bis eine Woche vor dem Urnengang veröffentl­icht werden dürfen, abgezeichn­et, dass der Vorsprung Duques kontinuier­lich schmilzt – laut dem linken Thinktank Celag gar auf weniger als 6 Prozent. Der Zuspruch aus der »Coaliación« ist dabei noch nicht berücksich­tigt. Dies scheint das Duque-Lager nervös zu machen. Auf eine Fernsehdeb­atte mit Petro wollte sich der rhetorisch weit weniger begabte Duque nicht einlassen. Die Ex-Guerillero­s der FARC hingegen – deren umstritten­e Einglieder­ung in die Politik vor allem vom Uribe-Lager immer wieder im Whalkampf thematisie­rt worden war – gaben klugerweis­e keine offizielle Wahlempfeh­lung ab. Man könne sich ja vorstellen, wen man unterstütz­e, hieß es aus Parteikrei­sen.

 ?? Foto: AFP/Joaquin Sarmiento ?? Schafft es Gustavo Petro, die gespaltene Linke hinter sich zu vereinen?
Foto: AFP/Joaquin Sarmiento Schafft es Gustavo Petro, die gespaltene Linke hinter sich zu vereinen?

Newspapers in German

Newspapers from Germany