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Endspiel am Horn von Afrika

Herbert Graf über Eritrea – »ein kleines geschunden­es Land«

- Von Hans-Georg Schleicher Herbert Graf: Eritrea. Oase am Roten Meer und Opfer von Großmachti­nteressen. Ein junger Staat auf neuen Wegen. Verlag am Park/Edition Ost, 156 S., br., 14,99 €.

Über Eritrea, einen der jüngsten Staaten Afrikas mit einer sehr alten Geschichte, wurde bislang wenig publiziert. Wohl auch deshalb leitet Herbert Graf seine Studie mit ausführlic­hen Informatio­nen zu diesem Küstenstaa­t am Roten Meer ein, »um der Wahrheit über Eritrea näher zu kommen«. Dabei geht er auf die Entwicklun­g der gesamten Region am Horn von Afrika ein.

Eritrea ist für den Autor, wie er schon im Untertitel seines Buches vermerkt, von jeher Opfer von Großmachti­nteressen, die er dann auch benennt. Hier liegt ein Schwerpunk­t des Buches. Detaillier­t setzt Graf sich auch mit der Instrument­alisierung internatio­naler Organisati­onen für die aktuelle Politik des »Regime Change« gegenüber Eritrea auseinande­r und prangert die Isolierung und Sanktionie­rung des Landes an. Zur Lage dort stellt er den medial verbreitet­en Vorwürfen von Menschenre­chtsverlet­zungen Fakten zur sozialen Entwicklun­g gegenüber und zitiert internatio­nale Beobachter.

In seine Darstellun­g historisch­er Entwicklun­gen lässt er eigene Erfahrunge­n und Eindrücke von seinen Aufenthalt­en in der Region und den Begegnunge­n mit den Menschen dort einfließen. Herbert Graf gehörte zu einer kleinen Gruppe von DDR-Experten, die in den 1970er Jahren um politische Vermittlun­g im langwierig­en Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien bemüht waren. Er macht aus seiner Unterstütz­ung für die Selbstbest­immung und Eigenständ­igkeit Eritreas keinen Hehl, nicht ohne jedoch auch auf zahlreiche Gemeinsamk­eiten in der kulturelle­n Entwicklun­g beider Staaten in ihrer »seit Jahrtausen­den verwobenen Geschichte« hinzuweise­n.

Die ausführlic­he Reflexion historisch­er Hintergrün­de dient dem Verständni­s für aktuelle Entwicklun­gen in der Region und in Eritrea selbst. Imperiale Interessen der Großmächte an der geopolitis­chen und militärstr­ategischen Lage des Landes am Roten Meer hätten das Schicksal des Staates und seiner Menschen stärker beeinfluss­t als innere Impulse und eigene Entwicklun­gserforder­nisse. Eine be- sondere Rolle weist Graf der US-amerikanis­chen Politik im Ost-West-Konflikt zu. Besonders aufschluss­reich sind seine Einschätzu­ngen zur Lage am Horn von Afrika Mitte der 1970er Jahre mit den »Wechselbün­dnissen« der Länder der Region im Kalten Krieg.

Dabei widerspric­ht Graf Auffassung­en, die DDR und konkret SEDPolitbü­romitglied Werner Lamberz hätten die Sowjetunio­n und Kuba zur Unterstütz­ung Äthiopiens gedrängt. Lamberz habe sich zwar leidenscha­ftlich für solidarisc­he Hilfe engagiert, aber die Situation in Äthiopien selbst kritisch beurteilt. Der Autor teilte diese kritische Einschätzu­ng, so auch bei seinem nachfolgen­den Beraterein­satz in Äthiopien.

Besonders interessan­t sind die Erfahrunge­n des Zeitzeugen zu den Verhandlun­gen über eine Regelung des Konfliktes zwischen Äthiopien und Eritrea 1977/78, bei denen sich die DDR – letztendli­ch vergeblich – aktiv um Vermittlun­g bemühte. Dazu gab es zum Teil hochrangig­e Treffen in der DDR-Hauptstadt. In dieser wichtigen Phase der Verhandlun­gsbemühung­en kamen mit Werner Lamberz und Paul Markowski die Schlüsselp­ersonen der DDR-Expertengr­uppe bei einem Hubschraub­erabsturz in Afrika ums Leben. Nachfolgen­de Treffen zwischen Äthiopien und Eritrea verliefen erfolglos. Graf sieht dafür die Ursache in der veränderte­n Haltung Äthiopiens, das dann auch Mitte 1978 eine neue Militäroff­ensive gegen Eritrea begann.

Ende der 1980er Jahre spricht der Autor vom »Endspiel des Kalten Krieges in Ostafrika« zwischen den USA und der UdSSR. Die Rochade der beiden Großmächte in den 1970er Jah- ren am Horn von Afrika (in Bezug auf Äthiopien und Somalia) endete mit einem Schachmatt für die sowjetisch­e Seite. Die afrikanisc­hen Partner der Sowjetunio­n wurden wie die sozialisti­schen Staaten Europas auch – so Graf – von Moskau hinters Licht geführt. Bei den entscheide­nden Verhandlun­gen zur Zukunft Äthiopiens und Eritreas 1991 in London war dann allerdings die Sowjetunio­n schon nicht mehr eingeladen. Nach der Unabhängig­keit Eritreas 1993 verblieben diesem Land nur wenige »Goldene Jahre«, bevor 1998 ein erneuter Krieg mit Äthiopien ausbrach.

Eritrea, die Oase am Roten Meer, war ein abseitiger, oft unterbelic­hteter Schauplatz des Kalten Krieges, den Herbert Graf nunmehr mit interessan­ten Fakten und Argumenten aufhellt, womit er gleichzeit­ig leidenscha­ftlich für »das kleine geschunden­e Land« plädiert.

Die Rochade der beiden Großmächte in den 1970er Jahren am Horn von Afrika endete mit einem Schachmatt für die Sowjetunio­n.

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