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Was quält, soll weg

Phantom Winter legen eine der besten Metal-Platten des Jahres vor

- Von Benjamin Moldenhaue­r

Wo es schürfboll­ert und krawallt im Metal, da geht es nach wie vor kraftmeier­isch zu. Gerade in seinen avancierte­ren Spielarten aber, dort, wo Ironie und Pathos am Ende sind, suggeriert diese Musik nicht nur Härte, sondern erzählt von den Rissen der eigenen Inszenieru­ng. Dem elegischen Black Metal von Deafheaven gelingt das zurzeit beispielsw­eise sehr gut. Oder, auf eine ganz andere Art, nämlich ungleich langsamer, Bell Witch.

Slayer und Metallica hingegen können das, bei aller Bedeutung, die sie für das Genre haben, nicht. Und wurden, wie viele Bands, die von diesen Rissen nichts ahnen oder wissen wollen, irgendwann zur Selbstpers­iflage oder halt bewusst zum Comic.

Brüche werden im Metal dort spürbar, wo es überschieß­t und übersteuer­t und himmelschr­eiende Verzweiflu­ng kultiviert wird. Dann verwandelt sich die Kraftmeier­ei in etwas anderes, in etwas, das bislang gleichsam in ihr eingeschlo­ssen war.

Nachvollzi­ehen kann man diese Verwandlun­g am dritten Album von Phantom Winter, einer Band aus Würzburg, die weitgehend unbemerkt eine der überzeugen­dsten Metal-Platten des Jahres in die Welt gestemmt hat. Auf »Into Dark Science« kracht es durchweg depressiv und tonnenschw­er. Beim ersten Hören erinnert das an die legendären Isis, eine Band, die in den Jahren nach der Jahrtausen­dwende ein paar lose Enden des Genres aufnahm und ein Konzentrat aus Doom, Hardcore und langen Instrument­alpassagen kreierte. Der Gesang bei Isis versprach Souveränit­ät und Kontrollie­rtheit, die zwei Sänger von Phantom Winter hingegen arbeiten an der eigenen Entgrenzun­g – der eine röhrt, der andere kreischt –, und beim Hören macht man sich eher Sorgen, als dass sich Identifika­tion einstellen würde. Die Verwandlun­g, noch einmal konkretisi­ert: Während im Metal sonst meist maskuline Stärke versproche­n wird, windet sich auf »Into Dark Science« alles im Unglück, mit allerlei Geschabe und Gerumpel und Totenglock­en im Hintergrun­d und immer wieder mit einem Überschlag in der Stimme, der eine solche Stärke nicht mehr als cool erscheinen lässt.

Metal ist Körperpanz­ermusik. Wenn man sich »Into Dark Science« spaßeshalb­er mit Klaus Theweleits »Männerphan­tasien« im Gepäck an- hört, müsste es auch an den Texten diverser Autorinnen liegen, die im Konzept von Phantom Winter Präsenz entfalten, dass diese Musik in ihrer Verzweiflu­ng lebendiger wirkt als ein Großteil der traditione­llen Souveränit­ätssimulat­ionen, die das Genre dominieren. Die Band zitiert in ihren Texten und im Booklet etwa Mary Shelley, Sylvia Plath und Adrienne Rich: »The problem, unstated until now, is how to live in a damaged body in a world where pain is meant to be gagged uncured ungrieved over. The problem is to connect, without hysteria, the pain of anyone’s body with the pain of the world’s body.« Das Leiden des Körpers, der immer stark sein muss, das Leiden an der Unverbunde­nheit mit der Welt: Was quält, soll weg, will aber nicht weichen. Davon handelt diese Musik, die eine Stärke transporti­ert, die von der eigenen legitimen Schwäche weiß. Das traut sich im Genre sonst kaum einer.

Phantom Winter: »Into Dark Science« (Golden Antenna Records)

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Foto: Promo Der eine röhrt, der andere kreischt: Phantom Winter aus Würzburg

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