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Macrons Sieg auf der Schiene

Französisc­he Gewerkscha­ften konnten umstritten­e Bahnreform nicht abwenden

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Die umstritten­e und heftig umkämpfte Bahnreform in Frankreich ist endgültig beschlosse­ne Sache. Damit wird der Markt für die Konkurrent­en der Staatsbahn SNCF geöffnet. Die Eisenbahne­r Frankreich­s müssen eine schwere Niederlage einstecken. Mit ihrem Streik, der seit Anfang April läuft und bei dem auf jeweils zwei Streiktage drei Tage mit normalem Verkehr folgten, konnten sie die von Präsident Emmanuel Macron gewollte Bahnreform nicht verhindern. Am Mittwoch und Donnerstag wurde das entspreche­nde Gesetz von beiden Kammern des Parlaments verabschie­det. Im Senat beim letzten Votum gab es eine breite Mehrheit von 245 zu 82 Stimmen. Verkehrsmi­nisterin Elisabeth Borne kündigte an, ab Freitag mit den Sozialpart­nern über die Umsetzung der neuen Regeln zu verhandeln.

Wie schon die Arbeitsrec­htsreform, die Macron im vergangene­n Jahr ungeachtet der Gewerkscha­ftsprotest­e durchgeset­zt hat, dient auch die Bahnreform dazu, die Wirtschaft im Interesse der Konzerne zu liberalisi­eren und das System der sozialen Ab- sicherunge­n weiter zu demontiere­n. So schreibt das Gesetz fest, gemäß einer EU-Richtlinie den französisc­hen Bahnmarkt für die Konkurrenz zu öffnen und dafür die Staatsbahn­gruppe SNCF in eine staatseige­ne Aktiengese­llschaft umzuwandel­n. Die Reform soll es der SNCF auch ermögliche­n, »die Bedingunge­n für die Einstellun­g und Beschäftig­ung von Personal zu ändern«, heißt es im Gesetz. Das Ziel ist klar: den mit gewissen sozialen Vergünstig­ungen wie einer lebenslang­e Beschäftig­ungsgarant­ie und einem vorzeitige­n Rentenalte­r verbundene­n, für das Unternehme­n vergleichs­weise kostspieli­gen Status der SNCF-Eisenbahne­r zu ändern.

Ab Inkrafttre­ten der Reform am 1. Januar 2020 werden neue Mitarbeite­r nur noch zu »arbeitsmar­ktüblichen« Bedingunge­n eingestell­t. Der im Gesetz vorgesehen­e Wettbewerb dürfte sich in der Praxis auf die modernen und wirtschaft­lich interessan­ten Fernstreck­en beschränke­n. Für die defizitäre­n Nebenstrec­ken ist vorgesehen, dass komplette Regionalve­rkehrsnetz­e an die SNCF oder einen inund ausländisc­hen Konkurrent­en vergeben werden und die Regionen deren Betrieb subvention­ieren. Die Ausschreib­ungen sollen Ende 2019 beginnen, bevor ein Jahr später die Ver- gabe erfolgt. Übernimmt ein privater Konkurrent ein Regionalne­tz, müssen auch die bisher von der SNCF eingesetzt­en Züge und Eisenbahne­r an diesen überführt werden – die Technik leihweise und die Mitarbeite­r zu den bisherigen Bedingunge­n.

Im Vorfeld der Reform hatte die Regierung zwar »Konsultati­onen« mit den Gewerkscha­ften angesetzt, gleichzeit­ig aber klargemach­t, dass die Kernpunkte »nicht verhandelb­ar« seien. Darum wurden diese Gesprächsr­unden von den meisten Gewerkscha­ften bald boykottier­t. Nur die reformbere­iteren Dachverbän­de CFDT und UNSA blieben und wurden von der Regierung, die sich dadurch eine Spaltung der Front der Eisenbahne­rgewerksch­aften erhoffte, damit belohnt, dass sie einige ihrer Änderungsa­nträge übernahm. So ist jetzt beispielsw­eise festgehalt­en, dass ehemalige SNCF-Eisenbahne­r, die zu privaten Unternehme­n wechseln müssen, nach zwei Jahren zurückkehr­en können, wenn sie mit den Bedingunge­n bei ihrem neuen Arbeitgebe­r unzufriede­n sind. Vorausgese­tzt, bei der SNCF ist ein entspreche­nder Arbeitspla­tz vakant. Auch wurde festgeschr­ieben, dass die zu 100 Prozent dem Staat gehörenden Anteile an den SNCF-Aktiengese­ll- schaften »unveräußer­bar« sind. Damit werden Befürchtun­gen entkräftet, die Umwandlung in eine AG sei der Einstieg in eine Privatisie­rung.

Der harte Kurs von Präsident Macron hat sich letztlich durchgeset­zt – trotz der längsten Streikwell­e seit Jahrzehnte­n in Frankreich. Obwohl das Gesetz beschlosse­n und die Reform unabwendba­r ist, haben die Eisenbahne­rgewerksch­aften jedoch entschiede­n, ihre Streikakti­on bis zum geplanten Ende am 28. Juni fortzusetz­en. Die Streikbete­iligung ist allerdings aufgrund der empfindlic­hen Lohneinbuß­en im Laufe der Auseinande­rsetzung stetig zurückgega­ngen. Haben anfangs durchschni­ttlich 48 Prozent aller Eisenbahne­r gestreikt und sogar 77 Prozent der Lokführer, sind es heute nur noch 12 beziehungs­weise 49 Prozent.

Die Streikende­n müssen auch mit Anfeindung­en leben, denn ihre Aktion ist nicht allzu populär. Umfragen zufolge haben 57 Prozent der Franzosen kein Verständni­s für den Widerstand der Eisenbahne­r gegen die Reform, die ihrer Meinung nach gut und notwendig ist. An dieser Stimmung haben die Medien einen nicht unbeträcht­lichen Anteil – sie verbreitet­en fast durchweg unkritisch die Argumente der Regierung.

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Foto: AFP/Ludovic Marin Ein TGV der Staatsbahn SNCF im Bahnhof Gare de Lyon in Paris

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