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Die zweite Chance

Auf kuriose Weise ist die deutsche Rugby-Nationalma­nnschaft wieder im Rennen um die WM-Qualifikat­ion. Doch im Verband rumort es

- Von Marie Frank

Interne Streiterei­en und eine Niederlage nach der anderen: Für das deutschen Rugby sah es zuletzt nicht gut aus. Doch wegen Punktabzüg­en der Konkurrenz rückt die WM plötzlich wieder in greifbare Nähe. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, sagt ein bekanntes deutsches Sprichwort. Im Fall der deutschen Rugby-Nationalma­nnschaft müsste es wohl heißen: Wenn drei sich streiten, freut sich der vierte. Denn die 15er-Nationalma­nnschaft hat trotz ihrer null Punkte die historisch­e Chance, sich für die Rugby-Weltmeiste­rschaft 2019 in Japan zu qualifizie­ren. Und das, obwohl sie vor Kurzem noch um den Klassenerh­alt bangen musste und zuletzt eher mit internen Streiterei­en als mit sportliche­n Leistungen von sich reden machte.

Wie das geht? Des einen Pech ist des anderen Glück, um ein weiteres Sprichwort zu bemühen. Denn mit der eigenen Leistung hat die überra- schende Möglichkei­t für die deutschen Rugby-Spieler, erstmals an einem Weltturnie­r teilzunehm­en, wahrlich nichts zu tun: Bei den letzten drei WM-Qualifikat­ionsspiele­n fuhr die eilig zusammenge­würfelte Mannschaft des neuen Trainers Pablo Lemoine gegen Rumänien (6:85), Georgien (0:64) und Belgien (15:69) krachende Niederlage­n ein.

Kaum hatte sich das deutsche Team jedoch auf eine Relegation um den Klassenerh­alt bei der Europameis­terschaft, in der parallel auch die WMQualifik­ation ausgespiel­t wird, eingestell­t, wurde das Tor zur WM überrasche­nd wieder aufgestoße­n: Denn weil Rumänien, Spanien und Belgien nicht spielberec­htigte Akteure eingesetzt hatten, wurden die drei deutschen Konkurrent­en mit umfassende­n Punktabzüg­en bestraft und die Tabelle neu berechnet. »Eigentlich waren wir auf dem letzten Platz. Nach der Neueinstuf­ung waren wir plötzlich auf dem zweiten und hatten die Qualifikat­ionsrunde für die RugbyWelme­isterschaf­t erreicht«, erklärt der Vizepräsid­ent des Deutschen Rugby Verbands (DRV), Hans-Joachim Wallenwein, im Gespräch mit »nd«.

Statt um den Klassenerh­alt geht es für Deutschlan­d an diesem Samstag gegen Portugal also um die Qualifikat­ion für die Titelkämpf­e 2019 in Japan. »Das ist schon ein echter Gewinn«, freut sich Wallenwein. Aber auch eine große sportliche Herausford­erung. Denn zuletzt sah es nicht gut aus für das deutsche Rugby: Nach einem Streit mit Mäzen Hans-Peter Wild stand der DRV Ende 2017 plötzlich ohne Hauptspons­or, Trainer und konkurrenz­fähige Mannschaft da.

Wild, der mit dem Verkauf von Fruchtsaft­getränken zu Geld kam, ist ein ebenso rugbybegei­sterter wie schwerreic­her Unternehme­r. Nach Meinungsve­rschiedenh­eiten mit dem DRV zog er alle bei seiner Stiftung Wild Rugby Academy (WRA) und der damit verbundene­n Gesellscha­ft zur Förderung des Rugby-Sports (GFR) angestellt­en Nationalsp­ieler inklusive Bundestrai­ner Kobus Potgieter kurzerhand ab. Der Verband musste sich daraufhin neue Sponsoren suchen, engagierte Pablo Lemoine als neuen Trainer und stellte eine komplett neue Mannschaft zusammen. Mit mäßigem Erfolg.

Doch nun haben sich die Chancen drastisch erhöht: Angesichts der einmaligen Möglichkei­t, sich doch noch

für die WM zu qualifizie­ren, wollen DRV und GFR den Streit zumindest vorübergeh­end beilegen und »kurzfristi­g eng zusammenar­beiten«. »Weltrugbyv­erband, WRA/GFR und DRV haben sich zusammenge­setzt und beschlosse­n, für die Qualifikat­ionsspiele eine gemeinsame Mannschaft zu stellen«, so Wallenwein.

Unter der Leitung beider Trainer, Potgieter und Lemoine, wird das 15er-Nationalte­am am Samstag also in Bestbesetz­ung antreten. Trotz der kurzen Vorbereitu­ngszeit ist Wallenwein zuversicht­lich: »Wir haben jetzt anderthalb Wochen gemeinsam trainiert und sind guter Dinge, dieses Spiel zu gewinnen.« Bei einem Sieg gegen Portugal böten sich in Relegation­sspielen gegen Samoa sowie bei einem Viererturn­ier mit Vertretern aus Asien, Afrika und Nordamerik­a gleich zwei Möglichkei­ten, sich doch noch für die WM zu qualifizie­ren.

Wie es danach weitergeht, ist unklar. Es gebe zwar Gespräche, ob die Mannschaft aber auch in Zukunft in der Form bestehen bleibt, könne man jetzt noch nicht sagen, so der DRV-Vizepräsid­ent. Hans-Peter Wild kündigte am Donnerstag an, die WRA aufzulösen. Was das für die kommenden Spiele bedeutet, ließ er offen: »Die Spieler, die noch bis zum Jahresende von uns bezahlt werden, und das sind die meisten, können spielen, wenn sie lustig sind. Da halten wir uns raus.«

»Eigentlich waren wir auf dem letzten Platz, plötzlich sind wir Zweiter.« Hans-Joachim Wallenwein, DRV-Vizepräsid­ent

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