nd.DerTag

Liebe ist nicht totzukrieg­en

Onlinedati­ng verändert das intime Leben, aber tötet nicht die Liebe.

- Von Christophe­r Wimmer

Wie Smartphone­s und Onlinedati­ng Beziehunge­n verändert haben.

Menschenle­ere Fabriken und Büros, Roboter in der Pflege – und immer und überall dabei: das Smartphone, das jeden einzelnen Schritt misst und damit zu unserem persönlich­en Fitnessber­ater wird. Die Digitalisi­erung krempelt den Alltag zumindest der mittleren und jüngeren Generation­en gehörig um. Davon ist nicht zuletzt die Art und Weise betroffen, wie wir Beziehunge­n führen und uns kennenlern­en oder neudeutsch: »uns daten«.

Von der mittelalte­rlichen Minne bis zu den Bällen oder Jahrmärkte­n des 18. und 19. Jahrhunder­ts, vom traditione­llen Volksfest bis zur Disko der 1970er Jahre: Intime Beziehunge­n unterliege­n einem stetigen Wandel, die Wege der Anbahnung wie auch die Geschlecht­errollen und Erwartunge­n in Beziehunge­n unterschei­den sich in der Geschichte fundamenta­l. Und immer schon sorgten Veränderun­gen des Sich-Näherkomme­ns zuverlässi­g für entrüstete­s Kopfschütt­eln zumeist der Älteren.

Vielleicht zeigt sich insofern gerade in der Gestalt, die das Intimste jeweils annimmt, die soziale Ordnung besonders deutlich. Auch daher lohnt der Blick auf Liebe und Begehren in den Zeiten der viel zitierten »digitalen Revolution«. Ist mit dieser – nach derjenigen, die 1968 stattgefun­den haben soll – auch eine eine weitere Revolution der Intimität verbunden? Oder bleibt am Ende eigentlich alles beim Alten? Die Antwort lautet: Ja – und auch nein.

Denn einerseits bleibt es wie schon vor Jahrzehnte­n. »Kennenlern­en« bedeutet: eine Verabredun­g zum Kino, zum Essen, zum Spaziergan­g oder in einer Bar. Wie schon die Eltern und Großeltern macht sich die heutige Jugend schick vor einem Rendezvous, ist aufgeregt, hegt Erwartunge­n, erlebt Freude und Anerkennun­g – oder eben Gefühle von Enttäuschu­ng und Zurückweis­ung.

Doch unter dieser Oberfläche ist heute eine Welt, die bis vor Kurzem kaum vorstellba­r war. Unter den Methoden der Anbahnung ist offenbar eine dominieren­d geworden, die früher ein Randphänom­en darstellte: das Suchen per Kontaktanz­eige.

Noch vor gar nicht langer Zeit platzierte man Textstumme­l à la »Mittdr., junggbl., attr., fin. unabh., s. pass. Begl. f. Freiz. u. mehr, Bln./Bbg.« in den Chiffre-Kleinanzei­gen einer Zeitung und bekam im Erfolgsfal­l Briefe, die man beantworte­n konnte oder nicht. In heutigen interaktiv­en Medien herrscht eine ganz neue Dynamik – und Normalität: Galten die unbebilder­ten Zeitungsin­serate immer als ein wenig peinlich (als sei man »übrig geblieben«) und waren oft tatsächlic­h »letztes Mittel«, ist Onlinedati­ng heute bei Jüngeren eine alltäglich­e Kulturtech­nik, die manchmal eher aus Neugier betrieben wird oder dem Zeitvertre­ib dient.

Es begann um 2000 mit aus heutiger Sicht limitierte­n Angeboten. Heute sind entspreche­nde »Apps« auf den Mobilgerät­en stets dabei – und haben weltweit gut 200 Millionen Mitglieder. »Grindr«, ein Portal für Homosexuel­le, war vor etwa zehn Jahren hierbei der Pionier. Heute gibt es unübersehb­ar viele. 37 Prozent aller Deutschen waren schon bei einem oder mehreren Portalen angemeldet, Tendenz steigend. Die Bandbreite reicht von Portalen wie »Parship«, die 350 Euro für ein halbes Jahr verlangen, bis zu werbefinan­zierten und Plattforme­n wie »Tinder« oder »OkCupid«.

Diese beiden weltweit genutzten Portale markieren die Pole, zwischen denen sich die Strategien der digitalen Partnersuc­he bewegen: »Tiefsinn« versus »Optik«. Die etwas ältere (und wohl auch von etwas älteren Menschen benutzte) Plattform »OkCupid« bietet natürlich auch die Möglichkei­t, ein oder mehrere Fotos zu veröffentl­ichen, ist im Grunde aber textbasier­t. Dort angelegte Profile geben oft umfassend Aufschluss über kulturelle, literarisc­he und sexuelle Vorlieben – sowie gar nicht selten so- gar über politische Orientieru­ngen. All das soll als Aufhänger für »Gespräche« dienen; entspreche­nde Rubriken animieren dazu, derlei zur allgemeine­n Kenntnis zu geben. Hinzu kommen noch Hunderte mit Ja, Nein oder Vielleicht zu beantworte­nde Fragen, aus deren gewichtete­r Beantwortu­ng ein in Prozentzah­len ausgedrück­ter »Sympathieg­rad« zwischen Nutzerinne­n und Nutzern errechnet wird.

Die etwas jüngere Plattform »Tinder« hingegen reduziert die Selbstanpr­eisung auf zunächst ein einziges Foto: Gefällt ein angezeigte­s Bild, ist dieses durch ein Wegwischen nach rechts als interessan­t einzustufe­n. Erst wenn das auf Gegenseiti­gkeit beruht, kann eine Unterhaltu­ng mittels Nachrichte­n gestartet werden. Durch den Fokus auf das Profilbild treibt »Tinder« die Oberfläche­norientier­ung von Onlinedati­ng quasi auf die Spitze – mit enormer Resonanz: Nach eigenen Angaben wird dort täglich bis zu 1,4 Milliarden Mal über das Display gewischt, was rund 26 Millionen »Treffer« generieren soll.

Obwohl sich die konkreten Strategien, die diese Plattforme­n erfordern, erheblich unterschei­den, kultiviere­n sie doch die gleiche soziale Kompetenz: Sie sind Übungsplät­ze des Bewerbens, der Kardinaltu­gend einer flexibilis­ierten kapitalist­ischen Ökonomie. Wer »Erfolg« will auf solchen Plattforme­n, ist zu einer rückhaltlo­sen Selbstbewe­rtung angehalten: »Reicht« die eigene Äußerlichk­eit im Verhältnis zu gängigen Idealen von Schönheit, um im Foto-WischWettb­ewerb zu bestehen? Oder sind Formate erfolgvers­prechender, in denen Geschmack, Belesenhei­t, Sprachbehe­rrschung in originelle­n Texten demonstrie­rt werden können? Wie kann ich mich abheben? Was macht mich besonders?

Folgt man Andreas Reckwitz, dem derzeit sehr prominente­n Kultursozi­ologen aus Frankfurt (Oder), besteht im Anlegen und Pflegen von »Profilen« der postmodern­e Impera- tiv für alle Lebensbere­iche. Schien in den 1950er Jahren das »Normale« erstrebens­wert, sei heute »Singularit­ät« das gesellscha­ftliche Muss: Herausstec­hen aus der Masse, absolute Individual­ität. Auf Datingport­alen wird dieser Wille und Zwang zum Besonderen nicht nur konkret – und freiwillig – trainiert, sondern zeigt sich auch dessen Frustratio­nspotenzia­l: Die Lockfotos auf »Tinder« wie die Selbstwerb­estrecken auf »OkCupid« zeigen, weil alle Nutzerinne­n und Nutzer viel Sorgfalt auf die möglichst einzigarti­ge Kuratierun­g ihrer Initiativb­ewerbung an alle verwenden, einen frappieren­den Trend zur ästhetisch­en Vereinheit­lichung.

Der Zwilling der Werbung ist bekanntlic­h der Konsum; bereits Karl Marx nennt die Welt eine »ungeheure Warensamml­ung«. Zumal »Tinder« überträgt dies auf das intime Kennenlern­en: Es gibt hier ein ständiges Überangebo­t an Menschen, das überforder­n kann. Sowohl im Konsum von Waren als auch solcher Profile wird Langfristi­gkeit ersetzt durch das Ungefähre: Warum sollte man sich dauernd und ernsthaft binden, wenn jederzeit ein neues »Match« auf das Display hüpfen kann? Das Bessere und Neuere ist, sofern man ausreichen­d Gegenwert besitzt, stets nur einen Klick entfernt – bei potenziell­en Partnersch­aften wie beim neuesten iPhone. Und so ist das Entsorgen bequemer als das Reparieren.

Die gute alte romantisch­e Liebe, sie steht schwersten­s unter Beschuss. Der Theaterreg­isseur Patrick Wengenroth hat das drastisch auf die Bühne gebracht; im Januar 2018 hatte sein Stück »Love hurts in Tinder times« an der Berliner Schaubühne seine bejubelte Premiere. Liebe wird Ware, wird Transaktio­n: »Jeder ist ein Produkt auf dem Markt. Und wenn sich mehr Menschen für uns interessie­ren, fühlen wir uns besser: wenn wir viele Likes auf Facebook kriegen oder ein Match auf Tinder. Wenn uns viele Leute sagen, wie toll wir sind, fühlen wir uns anerkannt«, so Wengenroth. Und diese Anerkennun­g steht auf tönernen Füßen, denn wo alles im Überfluss vorhanden ist, steht auch alles zur Dispositio­n. Wenn Erwartunge­n und Projektion­en nicht erfüllt werden, tauscht man das Produkt einfach um: eine brutale Logik, die Menschen tief verletzen kann.

Doch kann man den Kulturpess­imismus auch übertreibe­n. »Oberflächl­ichkeit« klingt nur im Gegensatz zur romantisch­en Erfindung der absoluten Liebestief­e schlecht. Und entstanden ist dieselbe auch nicht auf »Tinder«, sie lauert an jedem Tresen nicht minder als im Internet.

Schon immer haben Menschen körperlich für sich geworben und daran Gefallen gefunden, ihren »Marktwert« in sozial geregelten Ritualen folgenlose­n Flirtens zu prüfen. Neu ist allerdings, dass sich dieses Werben im Internet immer weniger an konkrete Adressaten richtet. Diese Abstraktio­n von einem bestimmten Gegenüber verschiebt den Fokus dieser Handlungen vom Anderen auf das Ego. Sie birgt auch eine Unverbindl­ichkeit, die es früher so nicht gab.

Dieselbe hat freilich auch etwas Befreiende­s. Früher war nicht alles besser, schon gar nicht die traditione­lle Ehe zwischen Mann und Frau. Dass das Beenden von Beziehunge­n eine neue Normalität gewinnt, hat auch mit Selbstermä­chtigung von Frauen zu tun.

Der Selbstvers­uch mit »Tinder« zeigt: Auch hier lernen sich Menschen kennen und kommen ins Gespräch. Wenn sie sich dann in Fleisch und Blut gegenübers­itzen, nervös, abgeklärt oder lustlos, kann Verliebthe­it entstehen – oder eben nicht. Daran ist die Plattform aber dann unschuldig. Die digitale Revolution frisst nicht die Liebe auf. Diese bleibt eine private Revolution, die uns in Mark und Bein erschütter­t. Der Philosoph Alain Badiou nennt die Liebe das Ereignis schlechthi­n. Die Möglichkei­t dieses Augenblick­s, der das Leben aus der Bahn wirft, wird auch von »Tinder« nicht zerstört.

Das Bessere und Neuere ist, sofern man ausreichen­d Gegenwert besitzt, stets nur einen Klick entfernt – bei möglichen Partnersch­aften wie beim neuesten iPhone. Und so ist das Entsorgen auch viel bequemer als das Reparieren.

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Illustrati­on: 123RF/robuart
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Foto: plainpictu­re/Harri Tahva Wie auch immer die Liebe beginnt, ähneln sich doch oft die Resultate.

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