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Die 68er und ihre Theorien

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Es gebe weder eine »umfassende Geschichte der 68er-Bewegung« noch eine »kohärente Beschreibu­ng der von ihr rezipierte­n Theorien oder propagiert­en Ideen«, schreibt der Historiker Wolfgang Kraushaar in einem Essay von 2002 ( bpb.de). Er spricht von Denkmodell­en, die in »atemberaub­ender« Geschwindi­gkeit angenommen und verworfen wurden. Deren Theoriefor­mate glichen einem breit verwurzelt­en und stark verästelte­n Baum. Eine Art Kanon habe sich entlang der Postulate Antifaschi­smus, Antikapita­lismus und Antiimperi­alismus etabliert.

Einer der Äste, und kein kleiner, war die Kritische Theorie der Frank- furter Schule unter Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, deren Werke »Dialektik der Aufklärung« und »Theorie der Halbbildun­g« damals auch den pädagogisc­hen Diskurs bestimmten und noch heute zur Bildungsth­eorie gehören. In »Dialektik der Aufklärung« werden Grundlagen des kritischen Diskurses über den Positivism­us der Aufklärung gelegt. Über die »Theorie der Halbbildun­g« findet sich Wissenswer­tes auf

ibw.uni-heidelberg.de. Dieser 1959 erschienen­e Essay skizziert den notgedrung­enen Verfall von Bildung und Kultur unter kapitalist­ischen Bedingunge­n. Halbbildun­g ist demnach keine Form einer Vorbildung, sondern die Reduzierun­g vorhandene­r (bürgerlich­er) Bildung auf ihren Marktchara­kter.

Vielleicht spielt die Zeit um 1968 ja gerade wegen ihrer fehlenden theoretisc­hen Kohärenz noch immer eine große Rolle. Auf jeden Fall zieht sie die Medien an, wenngleich auch unterschie­dlich. Unter dem Titel »Als Philosophe­n Stars waren« widmet sich zeit.de dem Thema auf Personen ausgericht­et. Auf dlf.de findet man fast romantisie­rende Reflexione­n. Eher betulich krittelnd wirkt der geschichtl­iche Abriss von Rudolf Schmitz, der dennoch nicht von der Hand zu weisen ist. Adorno ließ 1969 das von Studierend­en besetzte Institut für Sozialfors­chung (IfS) per Polizei räumen. Mit seinem Tod habe das IfS dann auch seine »charismati­sche Ausstrahlu­ng« verloren; die Zeit der »großen gesellscha­ftstheoret­ischen Entwürfe« war zu Ende.

Das Los der 68er ist wohl, für viele gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen verantwort­lich gemacht zu werden. So plant der DGB im Herbst mit der Veranstalt­ung »Die Frankfurte­r Schule und die 68er: Bedeutung für die gesellscha­ftliche Entwicklun­g« eine Spurensuch­e.

( arbeitundl­eben.de) Lena Tietgen

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