Sprache der Gefühle
Wissenschaftler erforschen die evolutionären Ursprünge und Wirkungen des menschlichen Lachens.
Wer den Tag mit einem Lachen beginnt, sagt ein Sprichwort, hat ihn bereits gewonnen. Tatsächlich gehört das Lachen zu jenen angeborenen emotionalen Ausdrucksformen des Menschen, denen man gewöhnlich eine positive Bedeutung beimisst. Denn ein fröhliches Lachen erzeugt Sympathie, es wirkt entspannend bei Stress und ist mitunter sogar geeignet, drohende Konflikte abzuwenden. Außerdem steckt Lachen an. »Wenn wir andere lachen hören, werden wir zu Herdentieren«, meint Robert R. Provine, Psychologe an der University of Maryland in Baltimore. »Ohne nachzudenken, lachen wir ebenfalls und setzen damit eine Kettenreaktion in Gang, die alle Anwesenden ergreift.« TV-Serien in den USA werden deshalb häufig von einem eingespielten Gelächter begleitet. Was manche Zuschauer durchaus zur Nachahmung verführt, empfinden andere als nervig, denn das Lachen aus der Konserve ertönt oft an Stellen, an denen nichts wirklich Komisches passiert.
»Lachen ist eines der wichtigsten sozialen Signale«, sagt Provine, der sich seit Jahren intensiv mit der Erforschung dieses menschlichen Ausdrucksverhaltens beschäftigt. »Mit anderen zu lachen, bedeutet, akzeptiert zu werden, zur Gruppe zu gehören und an sie gebunden zu sein. Wer dagegen über andere lacht, verhöhnt sie und macht sie lächerlich, wendet sich gegen Außenseiter, die anders aussehen oder anders handeln.« Ein solches Lachen kann bedrohlich sein, denn statt zu verbinden, grenzt es Menschen aus, stellt sie bloß. Stichwort Schadenfreude: Obwohl es heute als unschicklich gilt, sich auf Kosten anderer zu amüsieren, ist die menschliche Neigung hierzu anscheinend unausrottbar. TV-Formate wie »Verstehen Sie Spaß?« oder »Deutschland sucht den Superstar« sind hierfür ein schlagender Beleg.
Lachen dient nicht zuletzt dazu, Autorität zu untergraben, etwa in der Politik oder in religiösen Fragen. Das Christentum war in Europa über Jahrhunderte eine todernste Angelegenheit. Auch im Neuen Testament findet sich keine Stelle, an der von einem lachenden Jesus berichtet wird. In manchen Religionen ist Lachen bis heute gefürchtet, wie unter anderem der Streit über die Mohammed-Karikaturen gezeigt hat.
Bevor der Mensch zu sprechen begann, vermuten Wissenschaftler, gehörten die unterschiedlichen Formen des Lachens zu den wichtigsten Bestandteilen der Kommunikation. Gestützt wird diese These dadurch, dass Lachen von einer Gehirnregion gesteuert wird, die deutlich älter ist als das Sprachzentrum. Der britische Essayist und Historiker Thomas Carlyle ging sogar soweit zu behaupten, dass man an seinem Lachen den ganzen Menschen erkennen könne. Das ist zweifellos übertrieben, aber zugleich ein Hinweis darauf, welche große Bedeutung dem Lachen traditionell zugeschrieben wird. Neben der für den Menschen gebräuchlichen Artbezeichnung »Homo sapiens« (der weise Mensch) verwenden manche Autoren zur Kennzeichnung des menschlichen Wesens daher auch den Ausdruck »Homo ridens«, der lachende Mensch. Er geht zurück auf Aristoteles, der glaubte, dass Lachen eine jener Eigenschaften sei, durch die sich der Mensch vom Tier grundsätzlich unterscheide. Mehrere Denker sind ihm hierin gefolgt, so auch der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga, der 1938 schrieb: »Es ist bemerkenswert, dass gerade die rein physiologische Verrichtung des Lachens ausschließlich dem Menschen eigentümlich ist, während er die sinnvolle Funktion des Spielens mit den Tieren gemein hat.« Der Ausdruck Homo ridens kennzeichne daher den Menschen im Gegensatz zum Tier fast noch reiner als der Ausdruck Homo sapiens.
Die Frage, ob auch Tiere lachen können, wird bis heute kontrovers diskutiert. Wir kommen darauf zurück. Hingegen bezweifelt kaum ein Wissenschaftler, dass sich das Lachen im Zuge der biologischen Evolution herausgebildet hat. Einer verbreiteten Theorie zufolge fing alles mit einer Drohgebärde an, dem Zähnefletschen, das unseren Vorfahren ursprünglich dazu diente, nach außen hin Stärke zu demonstrieren. Innerhalb der Gruppe wurde die gleiche Reaktion zu etwas Verbindendem: Sich gegenseitig die Zähne zu zeigen, signalisierte unseren Vorfahren, dass sie gleichberechtigte Partner innerhalb einer starken Gemeinschaft waren. Daraus entwickelte sich die emotionale Ausdrucksform des Lachens.
Lachen hat zumeist eine stereotype Struktur. Es besteht aus kurzen Silben (»ha«, »he«, »ho« etc.), die etwa 75 Millisekunden dauern und sich in Abständen von circa 210 Millisekunden wiederholen. Zwei typische Lachvarianten wären also »Ha-ha-ha« und »Hehe-he«. Aber auch »Ha-ha-he-he« ist leicht zu bewältigen. Im Gegensatz zu Robert R. Provine
»Ha-he-ha-he«. Das macht schon mehr Mühe. »Beschränkungen unseres Stimmapparats zwingen uns, auf bestimmte Weise zu lachen«, erklärt Provine. Das gelte auch für die zeitliche Struktur des Lachens. »Man versuche einmal, mit sehr langen Pausen zwischen den Silben zu lachen, also ›Ha-ha--ha‹ anstelle von ›Ha-ha-ha‹. Das ist zwar möglich, aber es hört sich nicht richtig an.« Auch eine maschinengewehrartige Salve von Lachsilben (»Haha-ha-ha-ha«) klingt unnatürlich. Ebenso wie deren übertriebene Dehnung (»Haaaaa-haaaaa-haaaaa«).
Obwohl das natürliche Lachen von Menschen innerhalb enger lautlicher Grenzen erfolgt, ist es nicht unwandelbar. In bestimmten Situationen verändern wir unsere Art zu lachen. Dies kann bewusst oder unbewusst geschehen. In den meisten Fällen jedoch verraten wir uns dadurch. Denn Menschen haben ein gutes Gespür dafür, ob das Lachen ihres Gegenübers ein fröhliches Lachen ist, ein boshaftes, ein durchtriebenes oder ein sarkastisches.
Um festzustellen, ob auch Tiere lachen können, hat Provine im Yerkes Primate Research Center in Atlanta (USA) junge Schimpansen beobachtet. Werden diese Tiere gekitzelt, setzen sie ein sogenanntes Spiegelgesicht auf. Dabei ist der Mund geöffnet, die oberen Zähne sind verdeckt, die unteren freigelegt. Gleichzeitig geben die Tiere ein hechelndes Geräusch von sich. Lachen sie? Für unsere Ohren zumindest nicht. Provine spielte einer Gruppe von Studierenden Lachgeräusche von Menschen und Schimpansen vor. Während fast alle das Gelächter von Menschen problemlos als solches erkannten, deuteten nur 2 von 119
»Das Lachen hat sich aus dem Spielen entwickelt. Es ist kein stimmliches Mittel, um Spannung abzubauen – jedenfalls war es das ursprünglich nicht.«
Probanden das Schimpansenhecheln als Lachen.
»Das belegte Hechel-hechel-Lachen von Schimpansen ist die ursprüngliche Form«, so Provine. »Das Ha-ha-Gelächter der Menschen entwickelte sich dagegen vor weniger als sechs Millionen Jahren, nachdem sich unsere Abstammungslinie von jener der Schimpansen getrennt hatte.« Hierin liegt laut Provine auch der Schlüssel zum Verständnis der Sprache. »Wir lachen, wie wir sprechen: durch Modulation der Ausatemluft.« Das heißt, menschliche Lachsilben wie »ha-ha-ha« werden durch Unterbrechung einer einzigen Ausatmung erzeugt. Schimpansen sind dazu nicht in der Lage. Sie erzeugen bei jeder Einund Ausatmung nur eine hechelnde Lachsilbe. Zudem ist bei ihnen ein Atemzug jeweils an einen Schritt gekoppelt. Der Grund: Die Lunge von Vierbeinern muss immer mit Luft gefüllt sein, damit der Brustkorb beim Laufen die Stöße der Vordergliedmaßen abfangen kann. Folglich bringen Schimpansen nur einfache Rufe, Schreie und Lachgeräusche hervor. Das Erlernen einer artikulierten Sprache lässt ihr Stimmapparat nicht zu.
Mit der Herausbildung des aufrechten Gangs wurde der Brustkorb von seiner Stützfunktion beim Laufen befreit. Unsere Vorfahren konnten daher bei jedem Atemzug unterschiedlich viele Schritte zurücklegen. Ihr Stimmapparat entkoppelte sich von der Fortbewegung. Das stellte eine wichtige und bisher unterschätzte Voraussetzung für die Entwicklung der Sprache und mithin auch des Lachens dar.
Eine andere Voraussetzung war Provine zufolge das Spielen, dem sich vor allem Säugetiere hingeben. »Namentlich bei Primaten ist Gelächter der ritualisierte Klang des angestrengten Atmens, das beim Spielen auftritt.« Nach diesem Modell ging das Lachen nicht aus einer Drohgebärde hervor. Es war vielmehr eine Begleiterscheinung des spielerischen Umgangs der Tiere miteinander und signalisierte einem anderen Individuum: »Ich greife dich nicht an, ich habe nichts Böses im Sinn, ich will nur mit dir spielen.« Für gesellige Primaten war ein solches Signal durchaus nützlich, denn es verhinderte, dass sie sich bei körperlicher Annäherung unnötige Verletzungen zufügten. Provine fasst zusammen: »Das Lachen hat sich aus dem Spielen entwickelt. Es ist kein stimmliches Mittel, um Spannung abzubauen, die Gesundheit zu verbessern oder den Scharfsinn des Tischnachbarn beim Abendessen anzuerkennen – jedenfalls war es das ursprünglich nicht.«
Inzwischen räumen auch Mediziner ein, dass entgegen einem verbreiteten Vorurteil das Lachen als solches keinen förderlichen Einfluss auf unsere Gesundheit hat. Und es sorgt auch nicht für eine vermehrte Ausschüttung von Glückshormonen. Zumindest konnte dies bisher nicht wissenschaftlich belegt werden. »Ich glaube eher, dass es Humor und gute Laune sind, die uns guttun«, meint die Stuttgarter Psychiaterin und Neurologin Barbara Wild. »Es bringt nichts, krampfhaft so oft es geht zu lachen. Lieber sollte man versuchen, möglichst gut gelaunt durch den Tag zu gehen und auch Missgeschicke mit Humor zu nehmen.« So gesehen wäre der medizinische Nutzen, der gemeinhin dem Lachen zugeschrieben wird, in Wirklichkeit auf das humorvolle soziale Umfeld zurückzuführen, welches Menschen zum Lachen veranlasst.
Diesen Effekt nutzen seit Jahren auch sogenannte Klinikclowns, die in Krankenhäusern schwerkranke Patienten besuchen, um ihnen durch Humor und Heiterkeit neue Hoffnung in der ansonsten tristen Klinik-Atmosphäre zu vermitteln. Zur Erforschung solcher und anderer therapeutischer Wirkungen von Lachen und Humor hat sich inzwischen sogar eine eigenständige Disziplin entwickelt: die Gelotologie (von griechisch »gélōs« = Lachen). Allerdings ist nicht alles, was Gelotologen als Erkenntnis präsentieren, auch praktisch anwendbar. Nehmen wir zum Beispiel die Aussage, dass Lachen schlank mache. Richtig ist: Beim Lachen verbraucht der Mensch Kalorien. Doch deren Zahl liegt nur bei etwa 50 pro Viertelstunde. Das heißt, um die Kalorienmenge einer Tafel Schokolade zu verbrennen, müsste jemand fast drei Stunden am Stück heftig lachen. Wer dies einmal durchgehalten hat, wird es vermutlich kein zweites Mal versuchen. Dann schon lieber laufen.