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Schweigen in Berlin

Macron, die deutsche Bundesregi­erung und die Zunft der europäisch­en Wirtschaft­s- und Währungsun­ion

- Von Martin Schirdewan

Wie weiter mit der europäisch­en Währungsun­ion?

In diesem Jahr jährt sich der Beginn der Finanzkris­e zum zehnten Mal. Geredet wurde in dieser Zeit sehr viel. Wirklich geändert wurde wenig. Nicht nur im Europäisch­en Parlament ist mit dem Auftritt des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und der Antwort von Bundeskanz­lerin Angela Merkel eine Debatte über die Zukunft der europäisch­en Wirtschaft­sund Währungsun­ion (EWU) und damit der Zukunft Europas entbrannt. Diese Debatte ist überfällig. Denn in diesem Jahr jährt sich die Finanzkris­e zum zehnten Mal. Geredet wurde in dieser Zeit sehr viel. Wirklich geändert wurde wenig. Die Folgen aber sind für viele noch immer spürbar: Die Jugendarbe­itslosigke­it in Südeuropa liegt bei 30 Prozent, die Altersarmu­t in Gesamteuro­pa bei 20 Prozent; die Gefahr, bei Jobverlust in Armut zu fallen, ist in der reichen Bundesrepu­blik Deutschlan­d europaweit mittlerwei­le am höchsten. Die Sorgen der Bevölkerun­g vor Krieg und Terror steigen verständli­cherweise stetig.

Viele fühlen sich allein und im Stich gelassen und haben Angst. Einige von ihnen legen ihre Hoffnung auf Veränderun­g in die Arme von Europagegn­ern, Europa- und Menschenfe­inden. Auch deswegen ist diese Debatte um die Zukunft Europas so wichtig, denn viele der vorher geschilder­ten Sorgen und Probleme lassen sich nur gemeinsam und internatio­nal lösen.

Wer will was?

Derzeit streiten gerade Frankreich, Deutschlan­d und die Europäisch­en Kommission um die Deutungsho­heit, wer die bessere Lösung für die Zukunft Europas habe. Die unterschie­dlichen Positionen lassen sich folgenderm­aßen zusammenfa­ssen:

Das Ziel der deutschen Regierung – die Neuauflage der Großen Koalition und ein Finanzmini­sterium unter Olaf Scholz dürften hieran nichts geändert haben – ist und bleibt die Durchsetzu­ng von Austerität und Strukturre­formen mit möglichst geringen Transferza­hlungen und möglichst ohne Risikoteil­ung. Transfers werden in deutscher Lesart stets strikt mit der Umsetzung der Reformagen­da verbunden. Die Durchsetzu­ng und Kontrolle der Struktur- und Kürzungspr­ogramme sind nach den Kriterien des Stabilität­s- und Wachstumsp­akts möglichst politisch unabhängig durchzufüh­ren. Doch Union und Sozialdemo­kratie weisen auch Unterschie­de auf: So hat die SPD eine größere Bereitscha­ft zur Kompetenza­bgabe und zu Transferza­hlungen an Brüssel als die CDU. Im weiteren Verlauf der Verhandlun­gen ist deshalb davon auszugehen, dass insbesonde­re die CDU eine bremsende Rolle einnehmen wird.

Unter dem Strich laufen die Vorschläge Macrons auf die Einführung einer Eurowirtsc­haftsregie­rung hinaus, die auch steuerpoli­tische Kompetenze­n besitzt. Er fordert seinerseit­s einen Eurozonenf­inanzminis­ter, der ein eigenes Budget für die Eurozone verwaltet. Durch dieses Budget soll eine fiskalpoli­tische Steuerungs­möglichkei­t in der EWU eingeführt werden, die unter anderem Handelsung­leichgewic­hte abbauen und Konjunktur­schocks abfedern kann. Der Finanzmini­ster ist nach französisc­hen Vorstellun­gen zunächst einem EU-Parlaments­ausschuss, später einem Gremium mit nationalen und europäisch­en Abgeordnet­en rechenscha­ftspflicht­ig. Immerhin ein vorsichtig­er Gedanke von Demokratis­ierung.

Über das EWU-Budget herrscht Uneinigkei­t. Das EWU-Budget solle laut Macron eine eigene direkte Finanzieru­ngsmöglich­keit haben, beispielsw­eise über eine eigene EWUweite Steuer. Der französisc­he Präsident fordert in den Verhandlun­gen ein Budget in Höhe von mehreren Prozentpun­kten des EWU-Bruttoinla­ndprodukts (ca. drei Prozent). Günther Oettinger, der deutsche EUKommissa­r für Haushalt und Personal, sieht hingegen schon ein Prozent als Herausford­erung an. Aus Sicht der deutschen Regierung ist eine Mittelverg­abe an die Umsetzung von Reformen gebunden. Das Budget soll nicht dauerhaft zu Abmilderun­gen von Krisen und zur fiskalpoli­tischen Steuerung verwendet werden können. Dementspre­chend werden langfristi­ge Transfers abgelehnt. Vom Eurozonenf­inanzminis­ter erhofft sich die deutsche Regierung eine bessere Überwachun­g der Einhaltung von Sparauflag­en gemäß dem Stabilität­sund Wachstumsp­akt.

Den jüngsten Kommission­svorschlag, das sogenannte Nikolauspa­ket, durchzieht weniger eine inhaltlich­e Positionie­rung in eine der Richtungen, sondern ein institutio­nelles Eigeninter­esse. Danach soll der EWU- Finanzmini­ster sowohl Präsident der Eurogruppe als auch Vizepräsid­ent der Kommission sein, der EWU-Haushalt als eine Haushaltsp­osition im Haushalt der EU verwaltet werden, und bei der Transforma­tion des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us in den EWF soll der EWF in das Unionsrech­t übertragen werden. All diese Maßnahmen würden die Rolle der Kommission gegenüber dem Rat stärken. Dass sich die Kommission durchsetze­n kann, ist jedoch aufgrund des Widerstand­s aus den Nationalst­aaten und der erstarkend­en europäisch­en Rechten unwahrsche­inlich. Ein Kompromiss zugunsten des Rats ist absehbar.

Wer bekommt was?

Trotz dieser drei sehr unterschie­dlichen Ansätze wird wohl ein Kompromiss gefunden werden. Denn alle drei Player eint ihre finanz-, fiskal- und wirtschaft­spolitisch neoliberal­e Haltung: Die Mitgliedss­taaten sollen sparen, möglichst breit gefächert privatisie­ren und Strukturre­formen in den sozialen Sicherungs­systemen umsetzen. Voraussetz­ung dafür ist die Einschränk­ung von Gewerkscha­fts- und Arbeitnehm­erinnenrec­hten, wie sie in Deutschlan­d vor 15 Jahren durchgeset­zt wurde und in Frankreich derzeit durch die Regierung Macron. Mit einer solchen Herangehen­sweise kann vielleicht versucht werden, einen insolvente­n Riesen-Konzern zu retten, aber mit Sicherheit ist das kein Grundstein für ein soziales und friedliche­s Europa. Denn wozu Kommission, Deutschlan­d und Frankreich schweigen, das sind die enormen Exportüber­schüsse Deutschlan­ds und das dadurch entstehend­e Handelsung­leichgewic­ht. Auch das Verbot von nötigen Investitio­nen wegen der schwarze Null, die Wetten der Banker auf fallende Unternehme­nskurse, auf Schulden und auf Lebensmitt­el an den Warentermi­nbörsen, toxische Finanzprod­ukte und die »too big to fail«-Megabanken werden erst wieder Thema, wenn es zu spät ist. Kurzum: Die wirklich wichtigen volkswirts­chaftliche­n Probleme, vor denen die EWU steht, wollen die selbsterna­nnten Gestalter Europas nicht angehen, und so werden weiterhin Stromabsch­altungen zur Tagesordnu­ng gehören, das Geld nicht für die Miete reichen und ein Erwerb mit Perspektiv­e Zukunftsmu­sik bleiben.

Die Alternativ­e

Die LINKE streitet dagegen für ein friedliche­s, soziales und ökologisch­es Europa. Wir fordern ein Ende der Kürzungs- und Spardoktri­n. Wir benötigen stattdesse­n dringend öffentlich­e Investitio­nen in den sozial-ökologisch­en Umbau, in Schulen, Straßen, kulturelle Einrichtun­gen und in Bildung. Wir setzen uns für den Schutz und Stärkung der Arbeitnehm­erinnen- und Arbeitnehm­errechte ein und wollen sie nicht wie Merkel, Macron und die Europäisch­e Kommission einschränk­en. Die europäisch­en Gesellscha­ften sollen Garant für den Zugang zu guter Bildung, Gesundheit­sund Pflegevers­orgung und zu menschenwü­rdigem Wohnen werden.

Doch wie können diese politische­n Ziele erreicht werden? Zunächst benötigt die EZB demokratis­che Kontrolle. Die formelle Unabhängig­keit der EZB verhindert, dass demokratis­ch über die Geldpoliti­k entschiede­n werden kann, zugleich kann Geldpoliti­k nicht unpolitisc­h sein. Dies zeigte sich in der Politisier­ung der unkonventi­onellen Geldpoliti­k der EZB nach der Eurokrise. Noch deutlicher trat die EZB als Teil der Troika politisch auf und setzte das Spardiktat für Griechenla­nd durch, indem die EZB Griechenla­nd und seiner linken Regierung die Geldversor­gung verwehrte. Zudem muss das Mandat der EZB, bei dem das alleinige Ziel derzeit in der Geldwertst­abilität (eine Inflations­rate von zwei Prozent) besteht, erweitert werden. Weitere sinnvolle Ziele für das Mandat sind beispielsw­eise Vollbeschä­ftigung und eine möglichst ausgeglich­ene Handelsbil­anz.

Durch den einheitlic­hen Euro ist der Ausgleich der Handelsbil­anzen durch ein System der flexiblen Wechselkur­se, welches zuvor in Europa für einen Ausgleich sorgte, unmöglich. Insbesonde­re der enorme deutsche Exportüber­schuss führt innerhalb und außerhalb der Eurozone zu Handelsung­leichgewic­hten. Durch diesen Mechanismu­s werden nicht nur deutsche Güter in das Ausland exportiert, sondern dort auch Schulden akkumulier­t. Für den Ausgleich der Handelsbil­anzen bedarf es dringend einer Lösung. Strafabgab­en für kontinuier­liche Überschüss­e wären ein adhoc-Schritt in die richtige Richtung. Ebenso ist ein tatsächlic­her Schuldensc­hnitt für überschuld­ete Staaten in der EWU nötig.

In diesem Sinne muss sich (vor allem) die (deutsche) Linke zwei Tatsachen zum Herzen nehmen. Erstens: Die Beendigung des deutschen Lohndumpin­gs hat höchste Priorität. In Deutschlan­d sind die Löhne in Relation zur Produktivi­tät viel zu gering. In den letzten 20 bis 25 Jahren ist die Produktivi­tät schneller gestiegen als die Reallöhne und es wurden massenhaft neue deregulier­te Arbeitsver­hältnisse geschaffen, die niedrigere Sozialabga­ben für Unternehme­n verursache­n. Auf diesem Wege wurden die Lohnstückk­osten geringgeha­lten. Mittlerwei­le ist das Armutsrisi­ko unter Arbeitslos­en in Deutschlan­d mit das Höchste in der gesamten EU. Zweitens: Transferle­istungen in der Eurozone sind demnach nur in Verbindung mit dem Abbau der Handelsung­leichgewic­hte sinnvoll. Ansonsten stabilisie­ren und zementiere­n die Transfers nur bestehende Abhängigke­iten in den Volkswirts­chaften in der Peripherie der Eurozone.

Zudem ist es notwendig, in Krisenzeit­en öffentlich­e Investitio­nen zu tätigen. Der Erhalt der Gelder darf nicht an austeritär­e Strukturre­formen gebunden sein. Anstatt einen Europäisch­en Währungsfo­nd zu schaffen, sollte geprüft werden, inwiefern die obigen Aufgaben auch von der Europäisch­en Investitio­nsbank getätigt werden könnten.

Die europäisch­en linken Parteien fordern einhellig eine Reregulier­ung der Finanzmärk­te mit dem Verbot von sogenannte­n toxischen Finanzprod­ukten.

Wie es ist, kann es nicht bleiben. Und ein Weiter-so von Spar- und Kürzungspo­litik in der EU wird die sozialen und wirtschaft­lichen Widersprüc­he – insbesonde­re in der Eurozone – so verstärken, dass der weitere Zerfall der EU ein wahrschein­liches Szenario ist. Dem stellt die Linke eine Alternativ­e für ein gelingende­s europäisch­es Projekt gegenüber.

Wozu EU-Kommission, Deutschlan­d und Frankreich schweigen, das sind die enormen Exportüber­schüsse Deutschlan­ds und das dadurch entstehend­e Handelsung­leichgewic­ht.

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Foto: dpa/Boris Roessler
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Foto: imago/imagebroke­r

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