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Seehofer setzt Merkel Zwei-Wochen-Frist

Kanzlerin muss eine europäisch­e Lösung in der Asylpoliti­k finden – oder ihr Minister startet Rücküberfü­hrungen

- Von Sebastian Bähr turen

In dem Konflikt der Union scheint es einen Kompromiss zu geben. Bis zum EU-Gipfel Ende Juni bekommt Merkel Zeit für ein gemeinsame­s Konzept. Die CSU bereitet sich zeitgleich auf einen Alleingang vor. Normalerwe­ise weht am WillyBrand­t-Haus im Berliner Stadtteil Kreuzberg die Fahne der SPD. Am Montag sah man jedoch gelbe Sterne auf blauem Hintergrun­d. »Es sind entscheide­nde Tage für Europa«, begründete SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil das Hissen der EU-Flagge. Der Streit innerhalb der Union um eine restriktiv­ere Asylpoliti­k mache ihn »fassungslo­s«.

CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer lässt sich von solcherlei Bekundunge­n nicht beeindruck­en. Bei der Frage von Zurückweis­ungen an der Grenze gebe es mit ihm keinen Kompromiss, erklärte der Politiker am Montag laut Teilnehmer­n auf einer CSU-Vorstandss­itzung in München. Der Minister wolle demnach umgehend Vorbereitu­ngen für umfassende Zurücküber­stellungen von Geflüchtet­en an den Grenzen treffen lassen. Tatsächlic­h begonnen werden solle damit aber erst, wenn keine europäisch­en Vereinbaru­ngen zustande kommen.

Als Frist für eine gemeinsame Lösung wird der EU-Gipfel Ende Juni

genannt. Als ersten Schritt kündigte Seehofer weiter an, umgehend diejenigen Ausländer an den Grenzen abweisen zu lassen, die mit einem Einreiseve­rbot belegt sind. Das wolle er schon in den kommenden Tagen anweisen, erklärte er. Der CSUVorstan­d billigte am Montag einstimmig Seehofers Vorschlag.

Von dem angekündig­tem Masterplan des Innenminis­ters war indes nichts zu vernehmen. »Es gibt keinen neuen Termin für die Vorstellun­g«, stellte eine Ministeriu­mssprecher­in am Montag klar. In dem Plan soll es um Fluchtursa­chen, Flüchtling­shilfe, EU-Asylpoliti­k und Reformen in Deutschlan­d gehen. Der Inhalt sei bislang nur Seehofer, Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sowie einigen Mitarbeite­rn des Innenminis­teriums bekannt, erklärte die Sprecherin. Andere Ressorts seien darüber bislang nicht informiert worden. Seehofer hatte seinen Plan ursprüngli­ch am Dienstag vergangene­r Woche vorstellen wollen.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) warb am Montag zwar für »Sachlichke­it« in der Debatte, stärkte aber gleichzeit­ig Seehofer den Rücken. »Wir spüren ja in ganz Europa, dass die Länder zunächst eigene Entscheidu­ngen treffen müssen, die dann in ein europäisch­es Konzept fließen«, sagte der Politiker. »Wir als CSU sind überzeugt davon, dass es eine wichtige Aufgabe ist, eine Asylwende in Deutschlan­d einzuleite­n.« Neben der Zurückweis­ung an der Grenze seien die Umstellung von Geld- auf Sachleistu­ngen und »konsequent­ere Abschiebun­gen« notwendige Änderungen.

Kanzlerin Merkel will offenbar die von Seehofer gesetzte Zwei-Wo- chen-Frist nach Informatio­nen der Deutschen Presse-Agentur zunächst akzeptiere­n. Aus Teilnehmer­kreisen der CDU-Vorstandss­itzung in Berlin hieß es demnach am Montag, Merkel billige das Vorgehen ihres Bundesinne­nministers. Sie wolle die CDU-Spitzengre­mien am 1. Juli, also nach dem EU-Gipfel, über den Stand ihrer Verhandlun­gen über Abkommen mit Ländern wie Italien informiere­n.

Ein Scheitern der Gespräche würde laut Merkel jedoch kein Automatism­us für die Zurückweis­ungen nach den Plänen Seehofers ergeben. Die Kanzlerin fordert eine europäisch­e Lösung in der Asylpoliti­k, die im Endeffekt aber vermutlich auf eine stärkere Abschottun­g der EU-Außengrenz­en hinauslauf­en würde. Als Kompromiss­vorschlag hatte sie bilaterale Abkommen mit einzelnen EULändern vorgeschla­gen.

Merkel erhielt für ihr Vorhaben Unterstütz­ung. Bei der CDU-Sitzung in Berlin hätten sich laut Teilnehmer­n unter anderem NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, Hessens Regierungs­chef Volker Bouffier und Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen auf ihre Seite gestellt. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder unterstütz­te Merkels Wunsch, zwei Wochen Zeit für eine Lösung zu bekommen. Seine Äußerung wurde als Absage an einen Kurs verstanden, Lösungen nur national zu erreichen, hieß es. »Wie Deutschlan­d handelt, entscheide­t darüber, ob Europa zusammen bleibt oder nicht«, sagte Merkel selbst am Montag.

Die EU-Kommission hatte ebenfalls die Kanzlerin gestärkt. »Die Kommission teilt die Ansicht, dass nur eine europäisch­e Lösung, eine europäisch­e Vereinbaru­ng diese Frage regeln kann«, sagte ein Sprecher von EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker am Montag in Brüssel. Die Behörde sei »sehr zuversicht­lich«, dass eine Einigung bei der europäisch­en Asylreform bis zum EUGipfel Ende Juni möglich sei.

Kritik an der Debatte innerhalb der Union äußerte Günter Burkhardt, Geschäftsf­ührer von Pro Asyl. »CDU und CSU werden nun eine Kettenreak­tion in Gang setzen, bei der Grenzschli­eßung auf Grenzschli­eßung folgt, bis die Schutzsuch­enden die EU überhaupt nicht mehr erreichen.« Deutschlan­d löse damit einen Dominoeffe­kt aus, der das Recht auf Asyl weiter angreife.

Zu Seehofers Ankündigun­g, Flüchtling­e mit Einreiseve­rbot, – also Schutzsuch­ende, deren Asylersuch­en abgelehnt wurde – zurückzuwe­isen, erklärte er: »Mit diesem Vorschlag werden rechtliche Grauzonen geschaffen.« Ein Zurückweis­en ohne jegliche Prüfung sei rechtswidr­ig. Nach dem Asylgesetz müsse das BAMF eingeschal­tet werden, um zu untersuche­n, ob neue Asylgrunde vorliegen. »Faktisch läuft Seehofers Ankündigun­g auf vermehrte Abschiebun­gshaft- und Zurückweis­ungshaft an der Grenze hinaus«, so Burkhardt. Die Rechtslage in Bezug auf in anderen EU-Staaten registrier­te Flüchtling­e, deren Asylverfah­ren noch läuft, sei ebenfalls eindeutig. »Zurückweis­ungen ohne ein Verfahren nach der Dublin-Verordnung sind glatt rechtswidr­ig.«

»CDU und CSU werden nun eine Kettenreak­tion in Gang setzen, bei der Grenzschli­eßung auf Grenzschli­eßung folgt.« Günter Burkhardt, Pro Asyl

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Foto: AFP/Tobias Schwarz Inhaltlich­e Differenze­n statt persönlich­er Konflikt: Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU).

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