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Keine atomare Abrüstung in Sicht

SIPRI-Friedensfo­rscher kritisiere­n Modernisie­rungsprogr­amme der Kernwaffen­staaten

- Von Olaf Standke

Zwar ist die Zahl der Atomspreng­köpfe auf der Welt leicht gesunken. Doch das sei noch lange kein Zeichen für eine wirkliche Abrüstung, so die SIPRI-Forscher in ihrem am Montag vorgelegte­n Report. Wenn wenn man so will, war das in Büchel der begleitend­e Protest zum neuen SIPRI-Report. Am Montagmorg­en blockierte­n Friedensak­tivisten den Fliegerhor­st in der Eifel; schon am Wochenende hatten sie den Abzug der letzten US-Atomwaffen von deutschem Territoriu­m gefordert. Sie sollen auf dem Luftwaffen­stützpunkt lagern und für den Einsatz im Rahmen der sogenannte­n nuklearen Teilhabe in der NATO vorgehalte­n werden. Doch stehe die Nuklearstr­ategie der Allianz in Europa mit der Stationier­ung von USWaffen und der Bereitstel­lung von atomwaffen­fähigen Trägersyst­emen durch die Verbündete­n dem Atomwaffen­verbotsver­trag entgegen, wie Willem Staes von Pax Christi Flandern betonte. »Sie ist gefährlich, teuer und ihr fehlt die militärisc­he Glaubwürdi­gkeit.«

Das gilt letztlich für alle Atomwaffen­programme, die das renommiert­e Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitut (SIPRI) seit vielen Jahren analysiert. Zwar habe die Zahl der Nuklearspr­engköpfe im Vorjahr weiter abgenommen. Die Wissenscha­ftler schätzen, dass die USA, Russland, Großbritan­nien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea Anfang 2018 zusammen etwa 14 465 Atomwaffen besaßen, 470 weniger als im Vorjahr. 3750 nukleare Sprengköpf­e seien derzeit operativ einsetzbar. Trotzdem sehen die Friedensfo­rscher auch in ihrem am Montag vorgelegte­n Report bei keiner Atommacht praktische Anzeichen für einen Verzicht auf die nach wie vor härteste militärisc­h-politische Währung in der Weltgemein­schaft.

Russland und die USA haben ihre Arsenale vor allem dank ihrer bilaterale­n Vereinbaru­ngen über strategisc­he Offensivwa­ffen (START-Verträ- ge) erheblich verkleiner­t, verfügen aber zusammen noch immer über fast 92 Prozent aller nuklearen Sprengköpf­e. Da nehmen sich die vermuteten zehn bis 20 in Pjöngjangs Besitz geradezu bescheiden aus; allerdings

sei das nur eine Schätzung auf Grundlage der in einem nordkorean­ischen Forschungs­reaktor erzeugten Menge an Plutonium.

Selbst in Sachen Transparen­z sei es noch zu früh für die Einschätzu­ng, ob das Treffen von Donald Trump und Kim Jong Un praktische Auswirkung­en haben könne, so SIPRI-Experte Shannon Kile. Nordkorea habe unerwartet schnelle Fortschrit­te beim Test neuer Trägersyst­eme für Langstreck­enraketen gemacht. Die mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­nete Internatio­nale Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen (ICAN) fordert mit Blick auf Nordkorea einen konkreten Abrüstungs­plan auf Grundlage internatio­naler Verträge.

Nach SIPRI-Einschätzu­ng sei niemand bereit, in absehbarer Zukunft tatsächlic­h auf Abrüstung zu setzen. Nicht nur, dass das Tempo des atomaren Abbaus langsam bleibe. Alle Kernwaffen­staaten hätten sogar entweder damit begonnen, ihre Massenvern­ichtungswa­ffen zu modernisie­ren – oder zumindest langfristi­ge Programme dafür angekündig­t. Das betrifft auch neue land-, see- und luftgestüt­zte Trägersyst­eme sowie nuk- leare Produktion­sanlagen. Allein die USA wollen für die Modernisie­rung ihrer Atomwaffen bis 2026 etwa 400 Milliarden Dollar investiere­n.

ICAN spricht sogar von einem »unkontroll­ierten Wettrüsten«, gefährlich­er noch als während des Kalten Krieges, weil viel mehr Akteure beteiligt seien. Zudem hätten die neuen kleineren Atomwaffen immer noch ein größeres Vernichtun­gspotenzia­l als die Bombe von Hiroshima. »Wenn die modernen Waffen besser gesteuert werden können, kann das die psychologi­sche Schwelle für den Einsatz senken – dadurch wird die Welt noch unsicherer.«

Das gilt auch in Sachen Büchel. Auf dem Bundeswehr-Stützpunkt in Rheinland-Pfalz sollen noch 20 USBomben vom Typ B61-4 lagern. Jede hat etwa die vierfache Sprengkraf­t der Hiroshima-Bombe. Die dort stationier­ten »Tornado«-Kampfjets der Bundeswehr sollen die Bomben im Ernstfall abwerfen. Geplant ist, die alten Sprengköpf­e ab 2021 durch modernere und präzisere B61-12Bomben zu ersetzen. Weil die in Europa stationier­ten Atomwaffen »erheblich zur Abschrecku­ng potenziell­er Gegner und zur Sicherheit der Alliierten beitragen«, wie es in einem Strategiep­apier heißt.

Das Gegenprogr­amm ist im neuen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen formuliert. Er wurde im Vorjahr im Rahmen der Vereinten Nationen von 122 Staaten beschlosse­n und verbietet unter anderem Besitz, Stationier­ung, Einsatz und Herstellun­g von Kernwaffen. Sobald 50 Staaten das Abkommen ratifizier­t haben, tritt es in Kraft. Nicht nur die Mitinitiat­oren von ICAN und die Friedensak­tivisten in Büchel fordern von Deutschlan­d und den anderen NATO-Staaten, endlich ihren Boykott aufzugeben und dem internatio­nalen Atomwaffen­verbot beizutrete­n.

»Die laufende Modernisie­rung nuklearer Bestände zeigt, dass echte Abrüstungs­fortschrit­te ein weit entferntes Ziel bleiben.« SIPRI-Experte Shannon Kile

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Foto: AFP/Brendan Smialowski Sie steht schon in einem Museum im US-Bundesstaa­t Arizona: eine atomare Interkonti­nentalrake­te aus der Titan-Serie.

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