nd.DerTag

Ferien – weil die Schule bröckelt

Hessen: Der Fall Neukirchen hat neue Debatten über den Sanierungs­tau im Land ausgelöst

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Noch vor Ende des Schuljahre­s mussten im nordhessis­chen Neukirchen gleich zwei Schulen wegen maroder Bausubstan­z geschlosse­n werden. Doch Neukirchen ist kein Einzelfall. Unverhofft schulfrei – dieser Traum ging in der vergangene­n Woche für Schüler an zwei Schulen im nordhessis­chen Städtchen Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis) in Erfüllung. Wenige Tage vor den Sommerferi­en wurden die Tore der AstridLind­gren-Grundschul­e und der Steinwald-Gesamtschu­le verschloss­en.

Was den betroffene­n Schülern zunächst mehr Freizeit bescherte, macht allerdings Lehrern, Schulverwa­ltung und verantwort­lichen Politikern Kopfzerbre­chen. Denn die Schließung der Schulhäuse­r ist allein dem schlechten Zustand der Gebäude geschuldet: Nach Angaben der Kreisverwa­ltung haben statische Berechnung­en ergeben, dass Teile des Mauerwerks der Gebäude zu hoch belastet seien und sich verformt hätten. Risse in der Fassade, die Handwerker bei Reparatura­rbeiten entdeckten, waren unübersehb­are Warnsignal­e und veranlasst­en die Behörden, die beiden baugleiche­n Schulhäuse­r vorsichtsh­alber für den Unterricht zu schließen. Nach einigen unterricht­sfreien Tagen müssen die knapp 200 Grundschül­er nun bis zum Beginn der Sommerferi­en am Wochenende auf ein anderes Gebäude ausweichen. Für die Gesamtschü­ler werden Exkursione­n angeboten. Gleichzeit­ig soll jetzt nach Behördenan­gaben die Statik der Gebäude gründlich untersucht werden.

Der Zustand der beiden öffentlich­en Gebäude im 7000-EinwohnerO­rt Neukirchen hat landesweit neue Diskussion­en über den anhaltende­n Sanierungs­stau bei Schulhäuse­rn im schwarz-grün regierten Hessen ausgelöst. So erinnerte Birgit Koch, Landesvors­itzende der DGB-Bildungs- gewerkscha­ft GEW, daran, dass bereits vor zwei Monaten ein Teil der Kasseler Paul-Julius-von ReuterSchu­le aus ähnlichen Gründen für den Unterricht geschlosse­n werden musste. »Angesichts des überall sichtbaren hohen Investitio­nsstaus in den Schulen Hessens haben wir schon vor über einem Jahr die Landesregi­erung aufgeforde­rt, diesen Investitio­nsbedarf flächendec­kend zu ermitteln. Passiert ist aber bis heute nichts«, so die Gewerkscha­fterin. Das Unterricht­en von Kindern und Jugendlich­en in unansehnli­chen und maroden Schulen sei alles andere als generation­engerecht. »Einsturzge­fährdete Schulen setzen unsere Kinder und auch unsere Lehrkräfte einer Gefahr für Leib und Leben aus«, so Koch.

Ähnlich äußerte sich auch die Landtagsab­geordnete Gabi Faulhaber (LINKE). Die Meldung aus Neukirchen habe sie schaudern lassen und zeige, wie dringend die Forderung nach ausreichen­den Investitio­nen in die Schulgebäu­desanierun­g sei. Noch dringender sei allerdings eine umfassende Bedarfsana­lyse in den Kommunen, weil es längst nicht mehr ausreiche, »hier und da Flicken zu verteilen«, so Faulhaber an die Adresse der Landesregi­erung. Der Vorwurf der schwarz-grünen Koalition, die Opposition betreibe Augenwisch­erei, wenn sie auf die Zustand von Schulhäuse­rn hinweise, sei Ausdruck von Ignoranz und unhaltbar.

Dass Neukirchen kein Einzelfall ist und auch anderswo Schulhäuse­r marode sind, hat die GEW längst zum Thema gemacht. So fordert die GEWBundesv­orsitzende Marlis Tepe vom Bund ein milliarden­schweres Investitio­nsprogramm für Schulgebäu­de und Hochschule­n, weil Länder und Kommunen allein mit den Aufgaben überforder­t seien. »Es ist eine Schande, dass in einem reichen Land wie Deutschlan­d Schultoile­tten in einem verheerend­en Zustand oder unbenutzba­r sind und in Klassenzim­mern die Gefahr besteht, dass Decken einstürzen«, so Tepe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany