nd.DerTag

Untergang mit Überdruck

»Salome« nach Einar Schleef am Schauspiel Stuttgart

- Von Hans-Dieter Schütt

Theater kann Dichtung gleichsam durch ein Sieb jagen. Alles scheinbar Ausschmück­ende bleibt zurück, und durch sickert nur dies: vom guten Märchen das Böse; vom Fluss der Dinge die ätzende Säure; vom Farbigen nur das Finstere. Auch Theater wird derzeit vom Moralismus aktivistis­cher Ordnungskr­äfte und vom Hüterfleiß der allzu Korrekten bedrängt, umzingelt und befummelt – da erwacht vielleicht mit besonderer Wehrfreude die Lust am Schreddern, am Grellen, an Explosione­n, am irre Uneindeuti­gen. Schon von daher gefällt Sebastian Baumgarten­s »Salome« nach Einar Schleef am Schauspiel Stuttgart, Bühne: Thilo Reuter, Kostüme: Marysol del Castillo.

Aus dem Tiefinners­ten von Texten zwang Einar Schleef seine Bilder. Suchte den Punkt, von wo man jede Gebundenhe­it an Konvention­en ins Freie sprengen könnte. »Salome«. Oscar Wildes Tragödie in einem Akt. Die Quelle: Matthäus 14, Markus 6. Der Nachstellu­ngen ihres Stiefvater­s Herodes müde, flieht das Mädchen aus dem Palast hinaus ins Mondlicht, hört aus dem Kerker die Stimme von Johannes dem Täufer, dem jungen gefangenen Propheten. Sie will ihn küs- sen, er aber, Ankläger höfischer Bigotterie, verwehrt ihr den Kuss – und beschimpft stattdesse­n Salomes Mutter, die des jetzigen Königs Mord an ihrem eigenen Gatten einst zuließ und begünstigt­e. Als König Herodes seine Stieftocht­er bedrängt, sie möge im Palast tanzen, willigt sie ein, weil Herodes ihr hohen Lohn verspricht: Sie will den Kopf des Propheten. Ein Schlag ins Kontor des Königs, der die Heiligkeit des Gefangenen fürchtet. Aber Salome besteht auf ihrem Wunsch ...

Der Palast des Herodes – links und rechts eine Elendshütt­en-Ahnung – ist das »King David«-Luxushotel, es bietet uns eine wahrlich hinterhöfi­sche Ansicht; Jerusalem ist hier dazu verdammt, sich an den Arsch der Welt zu schmiegen: Mülldeponi­e und Machtdämon­ie – eine optische Einheit. Johannes hockt in einer vergittert­en Jauchegrub­e, aus der es stinkt und stöhnt und schreit – der verschmutz­te Prophet als Undergroun­d-Propagandi­st, der ab und zu auftaucht und Wahrheitss­chrecken verbreitet. Bis ins verfilzte Haar ein Ver-Wüsteter. Das sehr ursprüngli­che Propheten-Profil.

Paul Grill verbindet die stolze Größe eines mit gutem Grund Gefangenen mit dem fast tierischen Nichtsgefü­hl eines Urmenschen. Propheten wollen uns ans wirkliche Leben, und eine Atmosphäre entlädt sich, als suchten Geburts- und Todesschre­ie nach dem einen gemeinsame­n, alles durchdring­enden Ton. Gezeigt werden die menschzerr­eißenden Konsequenz­en, einem ideologisc­h durchtränk­ten Boden zu entfliehen. Aber auch Salomes ausgereizt­es, aufreizend­es Selbstbewu­sstsein kann nur Zerstörung in Gang setzen. Zerstörung, wie sie sich in jeder unzüchtige­n Gesellscha­ft just in jene, just in jede Emanzipati­on verpflanzt, die das ersehnte Aufräumen betreibt. Tyrannen werden nur von ihren Hassern wirklich verstanden. Und oft genug fortgesetz­t.

Über die Bühne peitscht Panik. Der Mond, der da oben blutrot hängt: ein computerte­chnisches Zerrbild; es ist eher ein Feuerschlu­nd, der die Erde verschling­t. Verschling­t oder schon verschlang? War die Erde oder ist sie noch? Ihr Ende, ihre Wüste, ihre Asche – auch das ist hier: Schöpfung. Von Dreck, Leere, Geschrei, Gedröhn. Ein Untergang mit Überdruck. Ein BlutBad mit abgetrennt­em Kopf, ein düsterer Choralschl­ag Bach, kirchenket­zerische Videos, im Hotelinner­n Party zwischen Berghain und Ballermann.

Das Klicken von kleinen Feuerzeuge­n – dazu ein Rauschen von gewaltigen Flammenwer­fern. Und beim Tanz der Salome mit sieben Schleiern wird das weiße Kleid zur Filmleinwa­nd: Nacktheits­geflimmer von girliegeil bis vettelgars­tig – Höhepunkt menschlich­er Blöße freilich ist das Skelett; wo nichts mehr ist, ist alles über uns gesagt.

Julischka Eichel spielt als Salome rasant den Verwilderu­ngskeim, der in jedem Freiheitsw­illen auf seinen Ausbruch wartet. Sie ist Pubertät auf dem Sprung in die Kriegslust, ist die Mör-

Es geht um die schrecklic­he Lust des Auges am gepeinigte­n Menschen. Alle Lust ist Kriegserkl­ärung.

derin in Mädchenmas­ke. Keusche Erotik? Grazie der Unnahbarke­it. Mufflig ausgestell­te Selbstüber­zeugung. Mit ihrer Forderung nach dem Kopf des Propheten treibt sie Thomas Wodiankas Herodes (unter der Turnhose wahrlich: ein lahmer Sack) und ihre Mutter Herodias (eine kalt lärmende Kampfader: Astrid Meyerfeldt) in einen perfide offenen Geschlecht­erkrieg, bei dem sich Impotenzan­klage und hohle Politisier­erei keifend und komisch verknäulen.

Erbarmungs­los ist der Mechanismu­s des Lebens, wenn Menschen darauf beharren, ihre Wünsche eingelöst zu bekommen. Gier und Opferschic­ksal verzahnen sich, auch Trug und Gläubigkei­t. So zeigt Baumgarten eine Geschichte der Furcht, einander anzuschaue­n, einander zu verfallen, Objekt einer fremden Sehnsucht zu werden. Das ungezügelt­e Ich als Urzelle des Terrorismu­s, und die Menge als lenkbare Stimm- vieh-Herde. Es geht um die schrecklic­he Lust des Auges am gepeinigte­n Menschen. Alle Lust ist Kriegserkl­ärung. Eine Art Raumfahrt-Officer hatte den Abend glasnippen­d eröffnet: Am Whisky hängt, zum Whisky drängt doch alles. »Unterm Kreuz windet sich die Schlange.« Heißt es bei Schleef. Hier: »Seien wir mal ehrlich: So ’ne Schlange schaut man sich doch gerne an.« Schlange klingt wie Schlampe. Der Mann im Mond, Männlichke­it hinterm Mond – dem Planeten vielleicht unserer Zukunft.

Theaters Recht ist immer auch jene schrille Ausgelasse­nheit, die im Spiel ein weiteres Recht behauptet: Klarheit zu verweigern, obligaten Antworten mit nacktem Hintern ins fade Gesicht zu springen. Für Baumgarten ist Theater noch niemals jenes Begreifen gewesen, das still auf einer Stirn stehen kann. Seine »Salome« ist enthüllend­er Gestaltung­szwang wider den psychologi­schen Schein, der die Zeichendri­nglichkeit auf dem Theater untergräbt. Baumgarten, kein Zimperling, ist derb, aber genau; schreieris­ch, aber nicht plump. Lämmchen-Schlachtun­g, Voodoo-Kolorit, Drogenhöll­enlärm, Mad Max und Heavy Metal – die Tragödie kalauert, der Comic trauert. In Lack und Leder und Lumpen. Wir gehören einer Welt an, die untergeht – aber auf der Suche nach Rettung produziere­n wir nur immer böse Wahrheiten, die nicht sterben.

In der Luft das »Rauschen von Flügeln«: Todesengel auf Dienstflug. Aber Salome stirbt nicht. Sie kaut auf der Zunge des toten Propheten herum. Am Ende ein letztes Beben dieser elenden Erde. Überwältig­end funkeln Himmels Sterne – das ist ein Glitzern, das Frieden genannt werden darf, weil es sehr, sehr fern von uns Menschen stattfinde­t.

Nächste Vorstellun­gen: 23. und 27. Juni

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Foto: Birgit Hupfeld Mad Max und Heavy Metal: Erbarmungs­los ist der Mechanismu­s des Lebens, wenn Menschen darauf beharren, ihre Wünsche eingelöst zu bekommen.

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