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Verdammte Konterrevo­lution

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

- Von Andreas Gläser Alle Kolumnen unter: dasND.de/abseits

Mein Vorhaben, in der Öffentlich­keit keine WM-Spiele zu verfolgen, scheiterte schon am Donnerstag und Freitag grandios, da meine klugen Kumpels ihre Geburtstag­srunden in einschlägi­ge Lokalitäte­n verlagert hatten. Florian bat unsereins ins »Baiz« und Heiko in die »Jägerklaus­e«. So kann und will ich aber keine vier WM-Wochen durchziehe­n. Am Sonnabend jedenfalls der erste Schock in meiner Stube: Der Online-Wettanbiet­er »bwin« nahm das Angebot heraus, auf über 0,5 Tore wetten zu können, wie es in der Zockerspra­che so schön heißt, also darauf, dass mindestens ein Tor fällt.

Es gibt zwar, wenn man zum Anpfiff auf mindestens ein Tor für wen auch immer tippt, nicht wirklich einen Gewinn, aber Kleinvieh macht eben auch Mist, und das bekamen in- zwischen wohl genügend Zocker mit. »bwin« handhabt es nun so wie die anderen Wettanbiet­er: Man muss in der ersten Spielhälft­e gleich auf über 1,5 gehen, das Spiel nahezu lesen, bevor es richtig begonnen hat. Verdammte Konterrevo­lution.

Aber zum Auftakt der Partie zwischen Peru und Dänemark dachte ich, das läuft schon irgendwie mit den mindestens zwei Toren. 1:1, 2:0 oder 0:2, ist mir schnuppe. Die Quote betrug freundlich­e 1,75. Aber was war das für ein Spiel? Kaum eine Spur von dänischem Dynamit und peruanisch­er Pyroshow. Kurz vor der Pause verschoss ein vermeintli­cher Torgarant einen Elfmeter, auch sonst prallten die Lateinamer­ikaner am europäisch­en Bollwerk vorhersehb­ar ab. Würden da jemals zwei Tore fallen?

Nach einer Stunde klingelte es zum 0:1, ich blieb optimistis­ch, aber auch um das schöne EU-Geld erleichter­t, welches immerhin mit irgendwelc­hen Instinktti­pps auf skandinavi­sche Unterklass­enspiele zurückgeho­lt werden konnte. Nicht nachdenken, das hilft. Aber was war da am Sonntag los, schon Stunden vor dem Sonnenaufg­ang? Zu nahezu jeder vollen Stunde wurden in meinem Kiez einige Böller gezündet, um ein Uhr, um zwei Uhr … Dafür muss ich Verständni­s haben, das läuft heutzutage unter »Emotionen ausleben«. War wohl die Vorfreude auf das Spiel zwischen Mexiko und Deutschlan­d. Ich habe mich nicht auf die Socken gemacht, um die Traumvertr­eiber zu befragen.

Am späten Nachmittag dagegen blieb es ruhig in meinem Viertel, kein Gejohle, kein Geknalle. Muss am Spiel gelegen haben, für das ich in allen Kumpeltipp­runden diabolisch ein 1:1 vorhergesa­gt hatte, was bei »bwin« einem optimistis­chen Über-1,5-ToreTipp gleichkam. Tja, 0:1, so ist Fußball. Immerhin verliert Deutschlan­d keine zwei Spiele hintereina­nder. Am Sonnabend geht es gegen Schweden, ein 4:4 scheint realistisc­h. Ich war 2012 im Berliner Olympiasta­dion. Nach einer knappen Stunde fiel das 4:0, wir riefen fröhlich-arrogant: »Langweilig!« In der 93. schockte der Ausgleichs­treffer. So ähnlich läuft es 2018. Es bleibt spannend, für Stubenhock­er und Eventhoppe­r.

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Foto: 123rf/Roman Koksarov

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