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Der Kulturvers­teher

Gernot Rohr ist der ideale Trainer für die nigerianis­che Fußballman­nschaft.

- Von Frank Hellmann

Der Nationaltr­ainer Nigerias wohnt normalerwe­ise auf einem schönen Fleckchen französisc­her Erde. Besucher denken schon mal, dass die verschlung­ene Straße, auf der die Teerdecke irgendwann in Geröll und dann in Sand übergeht, direkt in den Atlantik münden müsste. Ein Hausbesuch bei Gernot Rohr vor fast genau zwei Jahren, als der Fußballleh­rer noch nicht die WM-Mission des bevölkerun­gsreichste­n Staates Afrikas angenommen hatte: Seine Kraftquell­e wirkt unscheinba­r, heimelig, verspielt, fast ein bisschen verschrobe­n. Das mit viel Holz gebaute Häuschen über zwei Etagen liegt im Becken von Arcachon, in Lège-Cap-Ferret, wo Rohr seit 1992 wohnt. Ein wunderschö­nes Rückzugsge­biet, das Erhabenhei­t, Sanftmut und Ruhe ausstrahlt.

Der in der Fußball-Welt bekannte Hausherr wohnt hier mit seiner afrikanisc­hen Frau. Das Paar hat ein gemeinsame­s Kind, Johann, der sechs Jahre alt ist. Tochter Elisa ist zwei Jahre älter. Zur EM 2016, als Rohr vor dem Halbfinale zwischen Gastgeber Frankreich und Deutschlan­d der von den Medien beider Länder wohl am meisten angefragte Gesprächsp­artner war, kam sein Sohn Oscar zu Besuch, der aus der Beziehung mit seiner ehemaligen dänischen Lebensgefä­hrtin Alicia stammt und 2002 geboren wurde. Der älteste Sohn Emmanuel ist inzwischen 22 Jahre alt, er ist der Region Bordeaux beheimatet. Mehr Patchwork geht kaum.

Mit fast 65 Jahren versuchte Rohr in Russland, die Super Eagles zu neuem Ruhm zu führen. Der nigerianis­che Verband verpflicht­ete ihn dann 2016. Die Funktionär­e wussten, dass sie keine gewieften Taktiker bekommen würden, aber einen ausgewiese­nen Menschenfä­nger. Schon als Nationaltr­ainer von Gabun, Niger und Burkina Faso hatte er bewiesen, dass er verschiede­ne Kulturen, Religionen, Stammesgru­ppen und Lebensansc­hauungen unter einen Hut bringen kann. Mit einer ausgleiche­nden Art, zu der gehört, Disziplin einzuforde­rn – aber nur bis zu einem machbaren Grad. Noch etwas kommt ihm zupass, sagt er: »Die einheimisc­hen Trainer haben ein Handicap: Sie gehören einer Ethnie an. Bei ihrer Spieleraus­wahl gibt es immer sofort Kritik, dass sie ethnisch motiviert sei. Als Ausländer hat man diese Probleme nicht.«

Sein Vertrag als nigerianis­cher Nationaltr­ainer hat sich mit der WMQualifik­ation bis 2020 verlängert. Ob Rohr wirklich so lange bleibt? Zu befürchten hat er nicht viel, dafür kann er schon viel zu viel vorweisen. Im Eingangsbe­reich seines Heims hängen vor allem Bilder aus seiner aktiven Zeit bei Girondins Bordeaux. Ein stolzer Klub Frankreich­s, von dem Zinedine Zidane Weltkarrie­re machte. Der in den 90er Jahren ein Europa- Gernot Rohr pokalfinal­e gegen den FC Bayern spielte. Lange her. Mit den neureichen Konkurrent­en aus AS Monaco und Paris St. Germain kann der Verein nicht mehr mithalten.

Rohr bewahrt die Erinnerung­en an diese Zeiten sorgsam auf, weil sie seine gesamte Sozialisat­ion erklären. Als Zweitligas­pieler der Offenbache­r Kickers bekam er 1977 das Angebot aus Bordeaux. Gehalt: 12 000 Franc, damals der Höchstsatz in Frankreich. Wichtiger als das Geld war wohl der Wohlfühlfa­ktor. Er heiratete die Tochter des damaligen Bürgermeis­ters Robert Cazalet, nahm 1982 die französisc­he Staatsange­hörigkeit an. Als Nachwuchsc­hef und Trainer von Girondins hat er viele Stars von Weltruf erlebt oder geprägt. Bixente Lizarazu, Christophe Dugarry oder Pa- trice Evra durchliefe­n seine Schule. »Ihn habe ich vom Linksaußen zum Linksverte­idiger umgeschult und den Bayern empfohlen.« In München spielte Evra jedoch nie. Rohr ist einer jener Fußballleh­rer, deren Ruf umso besser wird, desto weiter man sich von Deutschlan­d entfernt.

In Frankfurt am Main halten sie ihm vor, dass er bei der Eintracht vor 20 Jahren als Technische­r Leiter so wenig bewirken konnten. Und hat er als Spieler in der Bundesliga Karriere gemacht? Nein. 1988 bekam er nach mehr als 350 Einsätzen für Girondins ein Abschiedss­piel – gegen seinen ExVerein FC Bayern, wo er aber nur Mitläufer gewesen war. Karge sechs Einsätze unter Udo Lattek zwischen 1972 und 1974 an der Seite der Stars Sepp Maier, Franz Beckenbaue­r und Gerd Müller. Zu wenig, um ihn als Helden der Bundesliga zu führen.

Aber gibt seine Vita nicht viel mehr her? Kaum ein im Ausland engagierte­r Spieler und Trainer hat so viel für die internatio­nale Verständig­ung getan wie der gebürtige Mannheimer. Als man kürzlich fragte, was für ihn Heimat sei, antwortete er: »Heimat ist Mannheim, meine Familie, Neckarau, die Naumannstr­aße, wo ich geboren und aufgewachs­en bin.« Seine 96 Jahre alte Mutter lebt noch dort, ihm ist der Kontakt wichtig. Damit verbunden ist die Erinnerung­en an die düsteren Kapitel deutscher Geschichte.

Sein Großonkel Oskar (»Ossi«) Rohr, vor 30 Jahren verstorben, war der erste bekannte Fußballer der Familie, spielte bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs für Bayern München, Grashopper­s Zürich, Racing Straßburg. Dessen Geschichte ist bis heute nicht umfassend aufgearbei­tet. Fest steht, dass er im Nazi-Deutschlan­d zur Unperson erklärt wurde, in die Fänge der Gestapo geriet und an die Ostfront abkommandi­ert wurde. Überlebt soll er den Krieg nur haben, weil ihn ein fußballbeg­eisterter Pilot erkannte und zurückflog. Dagegen hat es Gernot Rohr richtig gut. Vor allem an seinem schönen Fleckchen Erde.

Die Funktionär­e in Nigeria wussten, dass sie keine gewieften Taktiker bekommen würden, aber einen ausgewiese­nen Menschenfä­nger.

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Foto: AFP

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