Maßloser Renditehunger
NGGler Uwe Hildebrandt über unangemessene Renditeerwartungen und was die Beschäftigten dagegen tun können
Wie ein Hedgefonds Nestlé unter Druck setzt.
Der Nestlé-Konzern will seine Rendite auf bis zu 18,5 Prozent erhöhen und plant deshalb Schließungen und Personalabbau in Deutschland. Wer soll davon genau betroffen sein?
Der Weltkonzern hat im letzten Jahr 7,2 Milliarden Schweizer Franken Gewinn gemacht. Um 18,5 Prozent Rendite zu erreichen, sind gravierende Maßnahmen zulasten der Beschäftigten vorgesehen. Zum einen soll das Kaffeewerk in Ludwigsburg bei Stuttgart mit 100 Arbeitnehmern geschlossen werden. Auch im Werk im nordrhein-westfälischen Lüdinghausen sollen Arbeitsplätze verschwinden. In Biessenhofen in Bayern sind 76 Arbeitsplätze durch eine Teilschließung gefährdet.
Woher kommt der plötzliche Kostendruck?
Dahinter steckt unter anderem der Milliardär und Großaktionär Daniel Loeb, der mit seinem Hedgefonds Third Point rund drei Milliarden Euro in den Konzern investiert hat und jetzt maßgeblichen Einfluss auf das Schweizer Konzernmanagement ausübt. Er drängt den Vorstandsvorsitzenden Ulf Mark Schneider dazu, den Aktienkurs durch Aktienrückkäufe und die Umsatzrendite in die Höhe zu treiben. Selbst das unternehmernahe Branchenblatt »Lebensmittel Zeitung« schreibt, dass es Loeb nicht schnell genug geht. Eine Renditeerwartung in dieser schwindelerregenden Höhe ist völlig unangemessen.
Deutsche Nestlé-Standorte sind nicht zum ersten Mal gefährdet. Vor wenigen Jahren kämpfte die Belegschaft in Mainz gegen die Schließung des dortigen Nescafé-Werks. Hat die jetzige Auseinandersetzung eine neue Qualität?
Ja, das hat sie. Ich will einmal die Dimension verdeutlichen: In Mainz wurden seinerzeit 300 Arbeitsplätze vernichtet. Damals hat man den Betroffenen Arbeitsplätze an anderen Standorten angeboten, darunter auch im Nestlé-Kaffeewerk in Ludwigsburg. Mitarbeiter sind dafür extra umgezogen. Ihnen bietet man nun erneut eine Arbeit in einem anderen Werk an. Wer seinen Arbeitsplatz bei Nestlé behalten will, braucht mittlerweile einen Wohnwagen. Kam die Ankündigung überraschend?
Das Unternehmen hat Betriebsräte und Gewerkschaft schlicht vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Betriebsräte haben alles bei der Präsentation einer Folie bei einer Veranstaltung erfahren. Der Ludwigsburger Betriebsrat wurde nicht eingebunden. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Warum soll Ludwigsburg ganz dichtgemacht werden? Das Kaffeewerk am Ludwigsburger Bahnhof mit seinen Traditionsmarken Caro und Linde’s besteht seit 150 Jahren. Hier hat der Konzern jahrelang nur noch Kasse gemacht und nichts mehr in Werbung oder neue Produkte investiert. Der Betrieb steht aber auf einem sehr wertvollen Grundstück. Man sagt, die Produktion soll nach Portugal verlagert werden. Die meisten Beschäftigten sind seit Jahrzehnten im Werk und halten hier die Fahne von Nestlé hoch. Niemand hat Verständnis dafür, dass ein derart profitabler Konzern auf dem Rücken der Beschäftigten jetzt ein paar Millionen einsparen will.
Und die anderen deutschen NestléWerke kommen noch mal davon? Auch die übrigen Standorte müssen mit Angriffen rechnen. So sollen im traditionsreichen Maggi-Werk in Singen durch Umstrukturierungen und Lohnopfer der Beschäftigten insgesamt sieben Millionen Euro eingespart werden. Aber für einen Eingriff in den Tarifvertrag besteht aus unserer Sicht überhaupt keine Veranlassung. In der Tarifrunde für Singen und Ludwigsburg hat die Geschäftsleitung Termine mit uns abgesagt und erklärt, wegen des Kostendrucks könne man uns derzeit überhaupt keine Angebote unterbreiten. Daher sind die Beschäftigten sauer. Wie wollen sie die Streichpläne noch verhindern? In Singen, Ludwigsburg und Biessenhofen wurde bei Betriebsversammlungen gegen dieses Vorgehen des Managements protestiert. Wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Derzeit stimmen wir Aktivitäten zwischen Betriebsräten und NGG als Tarifpartner ab. Solidarität zwischen den direkt betroffenen Werken gibt es bereits. Aber auch an anderen Standorten macht man sich Sorgen über die Zukunft. Zudem werden wir vor Ort Verbündete suchen. Die Kollegen in Ludwigsburg haben bereits den Gemeinderat und die Stadtverwaltung angeschrieben, weil sie wissen wollen, ob es schon erste Gespräche über einen Verkauf des Grundstücks gegeben hat.
Bestehen auch auf internationaler Ebene Kontakte zwischen Belegschaften und Gewerkschaften im Weltkonzern Nestlé, über die der Widerstand koordiniert wird?
Ja. Was hier in Deutschland abläuft, wird auch in anderen Ländern passieren. Wenn wir dem Druck, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, nachgeben würden, dann gäbe es bei den Löhnen und Sozialleistungen eine immer schneller drehende Spirale nach unten. Wenn das Werk Singen nachgibt, gehen sie zum nächsten Werk und machen dort dasselbe. Das wollen wir als Gewerkschaft verhindern.