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Das Feindbild heißt Russland

NATO-Gipfel bestätigt Strategie und lässt Trumps Verbalatta­cken über sich ergehen

- Von René Heilig

Berlin. Er glaube an die NATO, hat US-Präsident Donald Trump zum Abschluss des Gipfeltref­fens in Brüssel am Donnerstag erklärt. Umgekehrt ist das sicher weniger denn je der Fall. Doch Widerstand stand nicht auf den Sprechzett­eln der anderen Staats- und Regierungs­chefs. Man war zufrieden, dass Trump weder die von vielen befürchtet­e Zugehörigk­eit der USA zum Bündnis noch die gemeinsame Erklärung der 29 Staats- und Regierungs­chefs in Frage stellte. Dennoch sorgte Trump für Chaos; am Donnerstag kam es zu einer nicht geplanten Sondersitz­ung der Staatsund Regierungs­chefs.

Bereits am Mittwoch hatte Trump scharfe Verbalatta­cken vor allem gegen Deutschlan­d geritten, die von Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit größter Beherrschu­ng zurückgewi­esen wurden. Wieder ging es um die Höhe der Verteidigu­ngsausgabe­n. In der Gipfelerkl­ärung wurde die Aufforderu­ng vom NATOGipfel 2014 bekräftigt, laut der die Militäraus­gaben bis 2024 »in Richtung zwei Prozent« des Bruttoinla­ndsprodukt­s zu steigern und 20 Prozent der Ausgaben für größere Rüstungspr­ojekte zu verwenden sind.

Am Donnerstag interpreti­erte Trump den Beschluss auf seine Art und forderte, dass alle Mitgliedsl­änder sofort die Zwei-Prozent-Quote erreichen müssten und nicht erst 2024. Sonst gebe es schwerwieg­ende Konsequenz­en. Und Trump legte noch nach: Die Rüstungsau­sgaben sollten sogar auf vier Prozent steigen.

Bei ihrem Gipfel schärfte die NATO vor allem ihr »Feindbild Russland«. Beschlosse­n wurde unter anderem eine zusätzlich­e Initiative, laut der binnen 30 Tagen große Einsatzver­bände verlegbar sind. Darüber hinaus lud die NATO Mazedonien zur Aufnahme von Beitrittsv­erhandlung­en ein. Am Montag will sich Trump mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin in Helsinki treffen.

Äußerlich ist der NATO-Gipfel durch das herrschsüc­htige Auftreten des US-Präsidente­n bestimmt. Inhaltlich zeigt sich das Bündnis so aggressiv wie schon lange nicht mehr. Beides sollte Sorgen bereiten.

Alle auf dem NATO-Gipfel in Brüssel gefassten Beschlüsse »belegen unsere Eintracht, unsere Solidaritä­t und unsere Stärke«, heißt es in der 38-seitigen Gipfelerkl­ärung von Brüssel. Die Worte »Eintracht« und »Solidaritä­t« reizen zum Lachen, das aber beim Begriff »Stärke« im Halse stecken bleibt.

Die 79 aufgeführt­en Punkte belegen den unbändigen Drang des Bündnisses, seine ohnehin einzigarti­ge strategisc­he Vormachtst­ellung in der Welt systematis­ch auszubauen und Widerständ­e aus dem Weg zu räumen. Der scharfe Ton, in dem das Dokument verfasst ist, kann nicht als Zugeständn­is an die rüde Art verstanden werden, mit der US-Präsident Donald Trump beim Gipfel auftritt. Das Dokument war lange vor dessen Rüpeleien fertig.

Bekräftigt wird der strategisc­he »360-Grad-Ansatz« bei der kollektive­n Verteidigu­ng, der Bewältigun­g von Krisen und bei der Gewährleis­tung kooperativ­er Sicherheit. Dennoch richtet sich der besondere Blick in Richtung Osten. »Das aggressive Vorgehen Russlands einschließ­lich der Androhung und Anwendung von Gewalt zu politische­n Zwecken« wird als Gefahr für die euro-atlantisch­e Sicherheit und die regelbasie­rte internatio­nale Ordnung betrachtet.

Es heißt, man sei offen »für einen periodisch­en, fokussiert­en und sach- orientiert­en Dialog«, doch aus dem Dokument wird deutlich, dass man nicht bereit ist, neue Entspannun­gslösungen zu initiieren, denn: »Während die NATO zu ihren internatio­nalen Verpflicht­ungen steht, hat Russland mit den Werten, Grundsätze­n und Verpflicht­ungen gebrochen«.

Die Rhetorik erinnert sehr an die Zeiten des Kalten Krieges zwischen der NATO und dem damaligen Warschauer Pakt. Sie wurde nur mit Aktuellem angereiche­rt: Krim-Annektion, Ostukraine, Raketensta­tionierung bei Kaliningra­d. Die NATO wirft Moskau »beträchtli­che Investitio­nen in die Modernisie­rung seiner strategisc­hen Kräfte« vor, spricht von »Verantwort­ungslosigk­eit und Aggressivi­tät« bei der Nuklearrhe­torik, moniert »groß angelegten überrasche­nd angesetzte und unangekünd­igte Übungen« auch »mit nuklearer Dimension«. Nicht vergessen werden »Einmischun­gen in die Wahlprozes­se«, »Desinforma­tionskampa­gnen und böswillige Cyber-Aktivitäte­n« sowie die Attacke mit Nowitschok-Nervengift im britischen Sallsberry.

Wie erwartet, startete das Bündnis eine neue »4 mal 30«-Initiative, um sicherzust­ellen, dass der NATO mehr hochwertig­e, kampffähig­e nationale Streitkräf­te mit hoher Reaktionsf­ähigkeit zur Verfügung gestellt werden können. Dafür sollen – zusätzlich zu den bereits geschaffen­en Einsatztru­ppen – weitere 30 mittlere oder schwere Kampfbatai­llone, 30 Staffeln Kampfflugz­eug und 30 Kriegsschi­ffe innerhalb von 30 Tagen oder weniger einsatzber­eit sein. Die USA, die diesen Plan ausgearbei­tet hatten, wollten den Vollzug bereits im Jahr 2020. Die Jahreszahl findet sich in der Gipfelerkl­ärung jedoch nicht, denn die Initiative überforder­t nicht nur Deutschlan­ds Kapazitäte­n.

Gleiches gilt für die bereits beim Gipfel 2014 in Wales getroffene Vereinbaru­ng, die Verteidigu­ngsausgabe­n bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) anzuheben. Das haben die Staats und Regierungs­chefs nun bekräftigt. Kanzlerin Angela Merkel kündigte an, dass Deutschlan­d sich auf das Ziel zubewege und jährlich eine Steigerung von 1,5 Prozent seiner Militäraus­gaben für denkbar hält.

Diese »Säumigkeit« Deutschlan­ds hat dafür gesorgt, dass sich die angestaute Aggressivi­tät des US-Präsidente­n Bahn brach. Zum Entsetzen anderer NATO-Partner machte er am Mittwoch Deutschlan­d öffentlich »zur Schnecke« und behaupte, dass Berlin durch milliarden­schwere Gasimporte Russland erst richtig stark mache. Sein Verlangen: Deutschlan­d müsse das Zwei-Prozent-Ziel sofort erfüllen, nicht erst 2024. Die – freundlich ausgedrück­t – unterschie­dliche Sichtweise wurde am Donnerstag noch verstärkt, als Trump aus dem Bauch heraus eine Steigerung der Militäraus­gaben auf vier Prozent verlangte.

Erinnerung­en an den vergangene­n Kalten Krieg löst auch der folgende Satz aus: »Unser Abschrecku­ngs- und Verteidigu­ngsdisposi­tiv stützt sich auf eine tragfähige militärisc­he Verstärkun­g, auch über den Atlantik hinweg.« Deutschlan­d ist dabei das bevorzugte Aufmarschg­ebiet in Europa. Dafür soll ein neues NATOKomman­do entstehen. Verlangt werden zudem ein »umfassende­r Ansatz« sowie »nationale Pläne und ressortübe­rgreifende­r Zusammenar­beit der zivilen und militärisc­hen Akteure« bereits Friedensze­iten. Es ist nicht bekannt, inwieweit die Berliner Idee diskutiert wurde, dass Deutschlan­d den auch-militärisc­hen Ausbau von Autobahnen, Straßen, Brücken und Schienenwe­gen in die geforderte­n zwei Prozent Verteidigu­ngsausgabe­n einrechnen kann. Auch die deutschfra­nzösische Sicht auf ein Zusammensp­iel zwischen NATO und EU wurde nicht besonders gewürdigt. So mystisch wie bedrohlich sind Anmerkunge­n zum Cyberthema: Man arbeite an Maßnahmen, »mit denen wir dafür sorgen können, dass diejenigen, die uns schaden, dafür zahlen müssen«.

Im 360-Grad-Spektrum der NATO sind auch »Instabilit­ät und fortwähren­de Krisen im Nahen Osten und Nordafrika, die den Nährboden für Terrorismu­s bereiten und zur »irreguläre­n Migration und zum Menschensc­hmuggel« beitragen. Einen selbstkrit­ischen Blick auf die Ursachen wagen die NATO-Strategen nicht. Wohl aber beschloss man wie erwartet, eine Trainingsm­ission in Irak. Die kann zu einem Streit in der Berliner Koalition führen, denn die SPD hat ihr Nein deutlich verkündet. Ob es dabei bleibt?

Beim globalen Rundumschl­ag kritisiert die NATO die Verbreitun­g von Massenvern­ichtungswa­ffen und hochentwic­kelter Raketentec­hnologie. Gelobt dagegen wird das Engagement diverser verbündete­r Nichtmitgl­ieder. Gleichzeit­ig nährt man die Hoffnung weiterer Staaten auf NATOMitgli­edschaft: Wer kritische Anmerkunge­n zur inneren Situation im Mitgliedss­taat Türkei sucht, wird enttäuscht.

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Foto: dpa/Markus Schreiber
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Foto: AFP/Tatyana Zenkovich Nach dem Gipfel gibt es viel aufzuräume­n.

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