nd.DerTag

Facebook muss Chats öffnen

Grundsatzu­rteil zum digitalen Erbe

- Moritz Wichmann über den Tod im Internet

Karlsruhe. Das soziale Netzwerk Facebook muss den Eltern einer verstorben­en 15-Jährigen die Chatnachri­chten der Tochter aushändige­n. Der digitale Nachlass sei zu behandeln wie der analoge, urteilte der Bundesgeri­chtshof am Donnerstag.

Im konkreten Fall hatte Facebook das Profil der Tochter in den »Gedenkzust­and« versetzt und den Eltern unter Verweis auf den Datenschut­z der Chatpartne­r der Tochter die Einsicht verwehrt. Der Datenschut­z, der nur für lebende Personen gelte, greift aber gegenüber dem berechtigt­en Interesse der Erben nicht, so der BGH. Facebook-Nutzer müssen auch zu Lebzeiten damit rechnen, dass sich Unbefugte Zugang zum FacebookKo­nto verschaffe­n. Auch ein Verstoß gegen das Fernmeldeg­eheimnis liege nicht vor, weil die Eltern als Erben nicht mitlesende »Dritte« seien, sondern als Erben in die tote Person »einrücken«.

Nur die wenigsten Menschen haben ihren digitalen Nachlass geregelt. Doch das Internet wird erwachsen und muss sich plötzlich Problemen widmen, die etwa Mark Zuckerberg noch sehr fern waren, als er als junger Student an der Yale-Universitä­t im Studentenw­erkzimmer sein Freundscha­ftsnetzwer­k plante. Genau so fern vermutlich, wie die Tatsache, das Facebook mittlerwei­le Wahlen beeinfluss­t. Nun hat der Bundesgeri­chtshof entschiede­n, dass das Netzwerk die Nachrichte­n einer toten Tochter an die Erben - in diesem Fall die Eltern - herausgege­ben muss. Chat-Nachrichte­n sind wie analoge Briefe Teil der Erbmasse.

Dass sich Facebook jahrelang hinter dem vermeintli­chen Datenschut­z der Chatpartne­r der toten Tochter verstecken und die Herausgabe verweigern konnte, ist aber auch ein Politikver­säumnis. Gerade weil die Digitalunt­ernehmen so mächtig sind und die meisten Menschen nicht über ihren digitalen Nachlass nachdenken, müsste den die Politik regeln oder erleichter­n. Etwa mit klaren Vorschrift­en und einem digitalen Sterberegi­ster, das Internetdi­enste automatisc­h über den Tod eines Nutzers informiert. Auch die Aufklärung der Nutzer könnte der Staat leisten. Man wolle die »Vererbbark­eit des digitalen Eigentums rechtssich­er regeln« heißt es im Koalitions­vertrag. Bisher ist nicht viel passiert.

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