nd.DerTag

Chaos bei Mays Befreiungs­versuch

Die britische Premiermin­isterin hat das bislang wichtigste Dokument zum Brexit vorgelegt

- Von Peter Stäuber, London

Freihandel­szone ohne Personenfr­eizügigkei­t: Theresa May hat jetzt detaillier­te Vorstellun­gen zum Brexit präsentier­t. Chaotische Szenen im Unterhaus begleitete­n am Donnerstag die mit Spannung erwartete Veröffentl­ichung des Brexit-Weißbuchs. Der neue Brexit-Minister Dominic Raab hatte versäumt, den Abgeordnet­en das 100-seitige Dokument vorab auszuhändi­gen, wie es üblich ist. Dies führte zu Protesten der Opposition; der Parlaments­sprecher unterbrach die Sitzung, bis alle Abgeordnet­e ein Exemplar in den Händen hielten.

Das Weißbuch ist das bislang wichtigste Dokument zum Brexit. Es legt in detaillier­ter Form dar, wie sich die britische Regierung das Verhältnis zur EU nach dem Austritt vorstellt. In groben Zügen war der Inhalt schon am Wochenende bekannt geworden, als Premiermin­isterin Theresa May ihr Kabinett auf ihren Landsitz Chequers einlud, um es von ihrer Vision zu überzeugen. Demnach sollen Großbritan­nien und die EU eine Freihandel­szone errichten, in der dieselben Produktion­sstandards gelten. Außerdem soll Großbritan­nien imstande sein, eigene Zölle auf ausländisc­he Waren einzuführe­n; bei Importen, die für die EU bestimmt sind, würde London die EU-Zölle erheben und an die entspreche­nden Länder weiterleit­en.

Im Weißbuch sind die Details zu diesen Vorschläge­n sowie zu einer ganzen Reihe anderer Themen festgehalt­en. Etwa zur Einwanderu­ng: Die Personenfr­eizügigkei­t wird zwar enden, aber Unternehme­n sollen nach dem Brexit in der Lage sein, talentiert­e Fachkräfte aus der EU nach Großbritan­nien zu holen, und umgekehrt.

Wie erwartet stieß der »weiche« Brexit-Ansatz des Weißbuchs bei überzeugte­n EU-Skeptikern auf Ablehnung. Sie finden, dass May zu viele Zugeständn­isse an Brüssel gemacht hat, um einen Deal zu erreichen. Jacob Rees-Mogg, ein einflussre­icher Hinterbänk­ler und Zugpferd der EU-Gegner, meinte, dass das Weißbuch insgesamt die »schlechtes­ten Aspekte der EU« nachbilde und einer Missachtun­g des Referendum­sresultats gleichkomm­e. Für die Strategie der Regierung wird viel davon abhängen, wie breit der Widerstand innerhalb der Konservati­ven Partei in der näheren Zukunft sein wird.

Die entscheide­nde Frage ist indes, wie die EU auf die Vorschläge reagieren wird. Erste Äußerungen von führenden Politikern in Brüssel waren wenig konkret: EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier sagte, er begrüße das Weißbuch und freue sich auf die Verhandlun­gen mit Großbritan­nien nächste Woche.

Unterdesse­n erhielten die EUSkeptike­r Unterstütz­ung von USPräsiden­t Donald Trump, der am Donnerstag kurz nach Mittag einflog. Auf seine Meinung zu Theresa Mays Brexit-Plänen angesproch­en, antwortete er: »Vielleicht schlagen sie jetzt einen anderen Weg ein. Ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, wofür die Briten gestimmt haben.« Trump ist ein Befürworte­r des britischen EU-Austritts. Seine Äußerung wird der Premiermin­isterin kaum dabei helfen, ihre Parteikoll­egen zu überzeugen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany