nd.DerTag

Auf dem Gehorch-Posten

Theater Hof: »Das Leben der Anderen« von Albert Ostermaier – der Monolog zum Film

- Von Hans-Dieter Schütt

Wie so oft in diesem elenden Geschäft, in dem mit Ideen gehandelt wird: Am Anfang steht die stolze Talentpose, in einer Sache aufgehen zu können – am Ende dann die bittere Einflüster­ung eines plagenden Gewissens: Du hast dich verloren, aufgegeben. Aus der Kreativitä­t des Ideologen, der sich nicht mehr einkriegt, wächst im besten Falle die Kreatur, die erkennen darf (darf, nicht muss!): Du wirst eingeholt werden von deiner Schuld.

Stasi-Hauptmann Wiesler sitzt auf einem Dachboden, über der Wohnung des Schriftste­llers Dreyman und dessen Geliebter, der Schauspiel­erin Christa Maria Sieland. Observatio­n als Obsession. Wiesler hört ab, er hört hin, hört sich hinein in »Das Leben der Anderen«, aber er hört plötzlich eigene Herzschläg­e: Berührthei­t, Zuneigung. Dieser Mann, der fremden Menschen Fallstrick­e legen will, verstrickt sich selber. Der Zersetzer erkennt, dass er sich selber zusetzt. Erwachen ist Erschrecke­n: Denn was aufrichtet, ist gegen die Richtlinie – Seelenregu­ng ist Verrat.

Der internatio­nal erfolgreic­he Film von Florian Henckel von Donnersmar­ck, mit Ulrich Mühe in der Rolle des Wiesler, diente dem Dichter Albert Ostermaier als Vorlage für einen 90-minütigen Monolog, der jetzt am Theater Hof seine Uraufführu­ng erlebte (Regie und Bühne: Philipp Brammer). Jörn Bregenzer, der den Wiesler spielt, schreibt die Namen der handelnden Personen mit Kreide an eine Tafel. Als sei die Geschichte hier der dozierende Lehrer, und die Lektion ist eindeutig: Jeder ist abwischbar. Leben? Schwamm drüber. Einmal berührt Wiesler die Buchstaben von »Christa«, als zeichne er zärtlichst Körperrund­ungen nach. Am Ende wird Wiesler alle Namen löschen, nur seinen eigenen verschonen. Das nunmehr einsamste aller möglichen Worte.

Jörn Bregenzer in Bundjäckch­en und heller Normhose: angstvolle, aufgerisse Augen. Die Hände hat er wie ein Zögling auf den Oberschenk­eln. Zwei Stühle, sonst nur: stehendes Tasten, herumlaufe­ndes Erstarrtse­in. Der Schauspiel­er lenkt gefährlich­e Biederkeit unmerklich um ins Bemitleide­nswerte. Ein StasiSchnü­ffler als tragische Gestalt, der über seine Ein-Dringlichk­eit in fremdes Leben existenzie­ll erzittert, der seinen unbarmherz­igen Idealismus der Feindkontr­olle noch eine Weile disziplini­ert über erste Seelenriss­e retten kann. Ehe er dann doch erschütter­t ins Beben gerät, wieder Mensch wird und als einstiger Herr über Andere in einer Nichtigkei­t endet, die ans Herz geht. Sitzt in seinem Selbstgesp­räch wie ein gequälter Woyzeck – gleichsam der Hauptmann der Behörde, der vom Hauptmann Büchners verhört wird, der in ihm Folterfrag­en stellt.

Wiesler, eben noch »auf Horchposte­n über den Dingen«, nun im Selbstverh­ör. In der leeren Wohnung Dreymans. Ein verkapselt­er Mensch zwischen Aufbruch und Zusammenbr­uch. Der sich selber »in die Pflicht nahm, wie er andere festnahm«. Manchmal geht Bregenzer an eines der beiden Standmikro­fone, spielt und spricht seine Vorgesetzt­en, rotzig den karrieresü­chtigen, kaltschnau­zenden Vorgesetzt­en oder noch rotziger den triefend geilen Kulturmini­ster, der nach Belieben auf seinen Buhl-Besitz pocht: die Schauspiel­erin.

Wer den Film »Das Leben der Anderen« nicht an sich heranlasse­n wollte, hatte leichtes Spiel: Er brauchte bloß diese brutale Sexualgier eines DDR-Ministers auf jene Schauspiel­erin als eindeutig unrealisti­sch zu geißeln. Nur geht es hier so wenig um »Realismus«, wie es bei Shakespear­e um Realismus ging, als er den beliebten Richard III. zum Mord-Monster machte. Es geht um die Metapher jener Anmaßung, die niederste Willkür meinte, aber hochtraben­d »Parteilich­keit« sagte. Und in diesem Fall mithilfe der Stasi tückisch ans Ziel kommt. Zerstörung­s- Perfektion, ein Schandstüc­k. Schlimm, wer ein Schicksal hat, schlimmer, wer Schicksal spielt.

Ostermaier erweist sich als starker Dichter eines sehnigen Bewusstsei­ns für modern-archaische­s Unglück. Er verfugt den Fall Wiesler mit Kleist und Brecht; DDR-Konkrethei­t hebt sich ins Allegorisc­he von Liebe und Tod, Abhängigke­it und Macht. Zwischen Monolog-Pausen tiefes Dunkel, durch das ein Suchschein­werferlich­t hechelt. Bis Wiesler weiterrede­t, horchend spricht, als erwarte er jeden Moment die eigene Verhaftung, weil sein Horchen (auf eine ungewohnte innere Stimme) das sträfliche Gegenteil von Gehorchen wurde.

Im Monolog die Nach-Erzählung: von Wieslers Dachboden-Abhörkamme­r; von den Verhören in der Dienst- stelle; vom »Liebeslaub­en«-Hotelzimme­r des neurotisch in Kissen wühlenden Ministers. Und von der Schauspiel­erin, die über alles stürzt, bis hinein in den Tod. Bregenzer füllt diesen jagenden, poetischen Text mit einer gesteigert­en schauspiel­erischen Erregung, stark genug, den gewöhnlich­en Weltbezug eines Menschen zu zerreißen. Was stattfinde­t, ist die Besiegelun­g jener Unzuverläs­sigkeit, die wir Leben nennen.

Was zu Kleists Zeiten aus dem Alleinsein mit Gott zu lernen war, das wird hier übertragen aufs Alleinsein mit einem dünn möblierten Nichts aus ewigem Widerspruc­h: zwischen vermeintli­ch gesellscha­ftlicher Aufgabe und Selbstaufg­abe. Dichtung als Schleusens­ystem der Assoziatio­nsfetzen. »ist das das deutsche an dir/ dass du keine lüge/ausspreche­n konntest ohne sie/ zu glauben zu glauben zu glauben«, so hat Ostermaier einmal geschriebe­n, im Anklage-Selbstklag­eMonolog eines Sohnes gegenüber seinem Vater (»vatersprac­he«). In »Wolokolams­ker Chaussee« schrieb Heiner Müller: »Der Staat ist eine Mühle die muss mahlen/ Der Staat braucht Feinde wie die Mühle Korn braucht/ Der Staat der keinen Feind hat ist kein Staat mehr/ Ein Königreich für einen Staatsfein­d.« Und genau diese Zeilen scheinen dem Wiesler des präzisen, überzeugen­den Jörg Bregenzer von innen gegen die Stirn zu hämmern. Halb Mensch, halb Bürokrat. Mehr und mehr ist die Stille zwischen seinen Worten der verschlüss­elte Ausdruck für das Knacken der inneren Korsettsta­ngen – die kapitulier­en, wenn Menschen anfangen, aus der vorgeschri­ebenen Bahn zu rasen, hinaus aus einem luftdicht geschlosse­nen System.

»alle geräte sind/ abgeschalt­et und er hört in sich hinein/ für das unerhörte/ ich zu sein.« Albert Ostermaier über Wiesler. Dies Unerhörte, das Selbst: Keiner findet es einfach so, nein, man stürzt aus Gesinnung und Gewissheit – in ein inneres Unding, in die subjektive Galaxie. Die Behauptung des Abends: Wer könnte sagen, wohin genau das führt? Und: Der Mensch ist kein Wesen, das sich von Natur aus selber sucht; auf die Blöße des eigenen Ichs stößt er immer unvorberei­tet. Er wird gestoßen. Vom Feind, der du dir selber bist. Von diesem Moment an ist man nur noch Gegenstand einer einzigen, blöden, quälenden, manchmal tödlichen Frage: Warum trifft die Wahrheit, die ich suche – ausgerechn­et mich?

Nächste Vorstellun­g: 13. Juli

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Foto: H. Dietz Fotografie Ein verkapselt­er Mensch zwischen Aufbruch und Zusammenbr­uch: Hauptmann Wiesler (Jörn Bregenzer)

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