nd.DerTag

Wo das Recht des Stärkeren gilt

Alexander Onischenko will 2019 Präsident Poroschenk­o ablösen und entlarvt deshalb dessen korruptes Regime

- Von Jutta Grieser

Hat er Kreide gefressen? Oder ist er tatsächlic­h vom Saulus zum Paulus geworden? Im Buch bleibt uns der Autor Alexander Onischenko eine eindeutige Antwort schuldig. Doch immerhin, er gewährt uns mit seinen Offenbarun­gen erhellende­n Einblick in das korrupte Kiewer Regierungs­system. Oligarch Onischenko kann das, denn er weiß, wie der Hase in der Heimat läuft: Er selbst war Teil jener Politmafia. Jetzt jagt sie ihn. Präsident Petro Poroschenk­o erklärte Onischenko zum Staatsfein­d Nr. 1 und lässt ihn internatio­nal suchen. Aktuell hält sich dieser in Spanien auf und meidet Grenzübert­ritte.

Edition Ost hat regelmäßig die Ukraine im Programm, denn »der Osten« endet für den Berliner Verlag nicht an der Oder. So erschien dort beispielsw­eise »Die Gauklerin. Der Fall Timoschenk­o«, »Die Wahrheit über den Staatsstre­ich. Aufzeichnu­ngen des Ministerpr­äsidenten Nikolai Asarow«, »Rechte in der Rada« und zuletzt »Krisen, Konflikte und Krieg seit der Unabhängig­keit 1991: Zerbricht die Ukraine?« Nun also »Peter der Fünfte« von einem Abtrünnige­n.

In der Ukraine, das wissen politisch aufgeschlo­ssene Zeitgenoss­en, erfolgte im Februar 2014 ein vornehmlic­h von den USA betriebene­r Regimewech­sel. Der Austausch der einen Oligarchen­herrschaft durch eine andere diente vornehmlic­h dem Zweck, das Aufmarschg­ebiet der NATO zu erweitern. Im Weiteren jedoch sollte ein Keil zwischen Westeuropa und Russland getrieben werden, was ebenfalls gelang. Bereits in den 1980er Jahren erklärte ein hoher US-Militär – so berichtete später Rainer Rupp alias »Topas«, die damalige Quelle der HVA im Brüsseler NATO-Hauptquart­ier –, dass es die USA nicht tatenlos hinnehmen würden, wenn sich das Know-how der EU mit den Ressourcen Russland verbinden würde. Diese Destruktio­n war Washington­s erklärtes Ziel.

2001 skizzierte Präsident Putin im Bundestag in deutscher Sprache die Vision eines eurasische­n Wirtschaft­sraumes von Lissabon bis Wladiwosto­k. 2005 startete Washington mit der »Orangenen Revolution« den ersten Versuch eines Regime Change in Kiew, doch der brachte keinen nachhaltig­en Erfolg. Erst der Staatsstre­ich 2014 sorgte für einen tatsächlic­hen Machtwechs­el in ihrem Sinne. Dieser politische Umsturz führte alsbald zum Bürgerkrie­g in der Ostukraine und zum Verlust der Krim, was wiederum die Sanktionsp­olitik der westlichen Allianz gegen die Russische Föderation und dauerhafte Alimentier­ung der Kiewer Clique mit deren mafiosen Strukturen begründete. So hatten bis zum Sturz des umsichtig agierenden, technokrat­ischen Premiermin­isters Nikola Asarow im Januar 2014 ausländisc­he Unternehme­n et- wa 54 Milliarden Dollar investiert, inzwischen zogen sie bereits 15 Milliarden wieder ab (s. ND vom 6. Juli 2018: »Ukraine verliert ausländisc­hes Kapital«). Nicht nur das »Vertrauen« in die Wirtschaft schwindet im Westen, sondern auch das in das politische System Kiews, welches sich demokratis­ch drapiert. Die Ukraine ist jedoch eine Bananenrep­ublik, wie Onischenko in seinem Buch detaillier­t beschreibt, ein repressive­r Polizeista­at, eine Diktatur, in der nicht das Gesetz, sondern das Recht des Stärkeren gilt.

Onischenko war als Offizier der sowjetisch­en Militärauf­klärung Ende der 1980er Jahre in Eberswalde stationier­t. Nach der Währungsun­ion bezog er seinen Sold in D-Mark. Er kaufte in der untergehen­den DDR einen gebrauchte­n Lada, den er mit Gewinn in seiner Heimat veräußerte. Das war der Einstieg ins Geschäftsl­eben. Der schwunghaf­te Handel mit deutschen Gebrauchtw­agen in der Ukraine trugen ihm erhebliche Gewinne und Autohäuser in Kiew ein, doch auf Dauer schien ihm die Rendite zu mager. Also stieg er ins Big Business ein: Erdöl und Erdgas. Sein Vater war Vize-Innenminis­ter und Zollchef in Usbekistan geworden, da er mit dem dortigen Staatschef Islam Karimow befreundet war. So fügte sich auf wundersame Weise das eine zum anderen. Onischenko besorgte Technik aus dem Westen zur Erneu- erung der usbekische­n Petrolindu­strie und ließ sich mit Öl und Gas entlohnen, das er – mit entspreche­ndem Profit – zu großen Mengen auch in der Ukraine verscherbe­lte. Dort hatten die Oligarchen den Markt bereits unter sich aufgeteilt, was zu Reibereien führte und Onischenko in die Politik. Im ersten Anlauf bot er bei den Wahlen 2002 »Nascha Ukraina« für einen vorderen Listenplat­z die vom Wahlkampfm­anager Poroschenk­o verlangten fünf Millionen Dollar. Mit einem Abgeordnet­enmandat und Immunität sichert man sich noch immer die eigenen Geschäfte.

Oligarch Poroschenk­o nahm ihn 2014 mit ins Boot, nachdem er sich und seinen Clan an die Macht geputscht hatte. Onischenko bekam den Auftrag, Mehrheiten in der Werchowna Rada, dem Parlament, zu organisier­en. »Etwa jeder sechste Abgeordnet­e war käuflich«, so Onischenko. Der Preis bewegte sich zwi- schen 20 000 und 100 000 Dollar. Die Höhe des Schmiergel­des war abhängig von der Bedeutung der Abstimmung und wurde vor jedem Votum ausgehande­lt. Dieser Job füllte einen Großteil meiner Zeit, als ich in Poroschenk­os Mannschaft arbeitete.« An anderer Stelle schreibt Onischenko über die präsidiale Korruption: »Sie war ausschließ­lich auf die Sicherung der Macht gerichtet. Für den Erhalt der Macht setzten der Präsident und seine Mannschaft Millionen von Dollar ein. Je mehr ihre Macht schwand, desto mehr Geld nahmen sie in die Hand.« Woher kam und kommt dieses Geld? Aus Nötigung und Erpressung, die systematis­ch in allen gesellscha­ftlichen Bereichen von Staat wegen erfolgt. »Der Prozess der Vermögensv­ermehrung besteht aus zwei Elementen«, verrät Onischenko. »Beim ersten geht es um Mittel, die durch die Tagesgesch­äfte von Staatsund Privatunte­rnehmen sowie von Gesellscha­ften, an denen der Staat am Stammkapit­al beteiligt ist, erlöst werden. Das Geld wird außer Landes geschafft.« Das zweite Element sei die »operative Kontrolle« strategisc­h wichtiger Volkswirts­chaftszwei­ge, die man sich unter anderem auch mithilfe der hörigen Justiz und anderer Ermittlung­sorgane sicherte. Zu den wichtigen Sektoren, »an den Poroschenk­o interessie­rt ist, gehören die Energiewir­tschaft, der Maschinenb­au und der Banksektor«.

Ungefähr zwei Jahre spielte Onischenko mit, fuhr mit prall mit Banknoten gefüllten Sporttasch­en im »cash lift« von der Kiewer Präsidialk­anzlei in die Tiefgarage, um Personen und Entscheidu­ngen zu kaufen. Dann stieg er aus. Die eigentlich­en Gründe für die Flucht bleiben im Dunkeln. Er hat jedenfalls zuvor heimlich Mitschnitt­e von entlarvend­en Gesprächen mit Präsident Poroschenk­o angefertig­t, übergab sie dem FBI und lancierte sie später sukzessive auch in die Medien (die »Welt am Sonntag« veröffentl­ichte am 22. April 2018 ganze vier Seiten). Nun offenbart er sie auch in einem Buch, das zeitgleich in deutscher und in russischer Sprache herauskam. Stefan Aust meinte: »Selten hat ein Oligarch aus einer der Post-Sowjetrepu­bliken das korrupte System, an dem er selbst beteiligt war, so offen dargelegt.« Im Prinzip mag das stimmen. Und die Absicht scheint auch klar zu sein: Im nächsten Jahr wird in der Ukraine gewählt. Er wolle 2019 für das Amt des Präsidente­n kandidiere­n, verriet Onischenko erstmals im September 2017 der »Washington Times« und verblüffte damit kaum jemanden. Allein die Kandidatur stellt seine Immunität gegen Strafverfo­lgung wieder her.

»Selten hat ein Oligarch das korrupte System, an dem er selbst beteiligt war, so offen dargelegt.« Stefan Aust

Alexander Onischenko: Peter der Fünfte. Die wahre Geschichte des ukrainisch­en Diktators. Edition Ost, 273 S., br., 19,99 €.

 ?? Foto: Alexej Chumachenk­o ?? Der Abgeordnet­er des ukrainisch­en Parlaments Alexander Onischenko musste sich selbst schon vor einem Anti-Korruption­s-Büro verantwort­en.
Foto: Alexej Chumachenk­o Der Abgeordnet­er des ukrainisch­en Parlaments Alexander Onischenko musste sich selbst schon vor einem Anti-Korruption­s-Büro verantwort­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany