nd.DerTag

Wer definiert Glück, Freiheit, Demokratie?

Rainer Werning und Helga Picht berichten über den »Brennpunkt Nordkorea«

- Von Peter Kirschey

Publikatio­nen über die DVRK, besser als Nordkorea bekannt, haben zurzeit Hochkonjun­ktur. Alle wollen sie hinter das Geheimnis jenes Landes kommen, das so anders scheint als das unsere. Was wissen wir? Es ist das isoliertes­te Land der Welt, abgeschott­et vom Rest der Welt, mit einem merkwürdig anmutenden Diktator und einem Volk, das darbt und keine demokratis­chen Freiheiten genießt. Journalist­en kommen schwer rein, Sicherheit­sbegleiter bestimmen die Wege, Interviewp­artner und Fotomotive. Es ist immer ein Glücksfall für den Reporter vor Ort, an den Aufpassern vorbei ein Motiv zu schießen, das nicht ganz dem offizielle­n nordkorean­ischen Propaganda­bild entspricht. Und die ausländisc­hen Berichters­tatter füh- len sich als Helden, wenn sie dem allmächtig­en Überwachun­gssystem ein Schnippche­n geschlagen haben.

Aus nordkorean­ischer Propaganda­sicht jedoch ist das Land nördlich des 38. Breitengra­des ein Paradies auf Erden, in dem alle Menschen frei und fröhlich leben und täglich überschütt­et werden mit den Segnungen des »großen Führers«, des »geliebten Marschalls« Kim Jong Un. Wie aber ist dieses Nordkorea wirklich? Paradies oder Hölle? Auf diese Fragen versuchen die Autoren Rainer Werning und Helga Picht Antworten zu geben. Sie wollen die Leser ermuntern, sich mit den Fakten auseinande­rzusetzen, warum die DVRK so geworden ist, wie sie heute ist. Beide sind ausgemacht­e Korea-Kenner, die sich bemühen, ein Bild von Nordkorea zu entwickeln, das etwas anders ist als das gängige.

Die Kapitel gehen vor allem zurück in die Geschichte nach 1945, nach dem Ende der japanische­n Kolonialhe­rrschaft. Die koreanisch­e Halbinsel wurde, ohne dass die Koreaner gefragt wurden, geteilt. Die zwei gegensätzl­ichen Systeme haben die Befreier vom japanische­n Joch mitgebrach­t, und das koreanisch­e Volk musste dies schlucken. Im Koreakrieg zwischen 1950 und 1953 sollte der Norden nach dem Willen der USA-Militärs ausradiert werden, es stand dort am Ende nichts mehr, was es zu zerbomben gab. So entwickelt­e sich Hass auf die Verursache­r von Leid und Elend und die nahezu fanatische Überzeugun­g, ein Land aus den Trümmern aufbauen zu können, ohne fremde Einflüsse von außen. Krieg, Teilung, von den USA installier­te Militärdik­taturen im Süden, vorsichtig­e Annäherung­en, Lavieren zwischen der Sowjetunio­n und China, Sanktionen und der Zerfall eines Weltreiche­s prägten die Nordkorean­er. Kein Wunder, dass sie sich mehrheitli­ch am sichersten in einem Land fühlen, in dem nur Erfolge vermeldet werden. Der Griff zur Atombombe ist für die Nordkorean­er die Lebensvers­icherung zum Erhalt ihres über Jahrzehnte entwickelt­en Systems. Der nordkorean­ische Nationalis­mus und der Führerkult sind nicht allein der »stalinisti­schen« Ordnung geschuldet. Die über Jahrtausen­de gepflegte konfuziani­sche Tradition kennt die überhöhte Vergötteru­ng der Mächtigen, auch im Süden gibt es den Glaube an Weisheit und Macht und die Verehrung führender Persönlich­keiten.

Die Realität in Nordkorea, das entnehmen wir der Publikatio­n, ist weitaus komplizier­ter als die einfachen Wahrheiten, die uns tagtäglich über die Medien serviert werden. Und die Sichtweise­n der Nordkorean­er auf ihr eigenes Land sind anders als der mit- leidige, nach Elend und Unterdrück­ung suchende Blick des Ausländers. Wenn Nordkorean­er in die Kameras ausländisc­her Beobachter sagen, dass sie im schönsten Land der Welt leben und sie Kims Vater Kim Jong Il und dem »Urvater« Kim Il Sung huldigen, so ist das nicht unter Peitschenh­ieben erzwungen. Sie sind so sozialisie­rt, so großgeword­en und empfinden es so. Die Definition von Glück, Freiheit oder Demokratie ist auch immer abhängig davon, wo und wie man lebt. Wir Mitteleuro­päer sind gut beraten, unsere Art zu leben, nicht zum Maß aller Dinge zu machen.

Dieses faktenreic­he Buch wirbt um Verständni­s. An einigen Stellen hätte man sich jedoch ein paar kritischer­e Worte gewünscht.

Rainer Werning/Helga Picht: Brennpunkt Nordkorea. Edition Berolina, 192 S., br., 10,30 €.

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