Mitgefühl, das nichts kostet
Netzwoche
Ich finde, »man muss diese Kinder in Thailand einfach in der Höhle lassen und eine starke BOTSCHAFT schicken, damit andere Kinder nicht mehr in Höhlen reinlaufen. Wir können ja nicht alle aus der Erde rausholen«, provozierte der Satiriker Shahak Shapira am Sonntag auf Twitter. Die Häme, sie richtete nicht gegen die zwölf Jungen und einen Erwachsenen, die seit dem 23. Juni in einer thailändischen Höhle um ihr Leben fürchteten und im Verlauf dieser Woche gerettet wurden. Die Welt nahm Anteil an der Rettungsaktion.
Eine Suche bei Google News listet unter den Stichworten »Thailand, Höhle, Jungen« über acht Millionen Treffer auf. Verwundern tut dies nicht, auch weil viele Medien das »HöhlenDrama in Thailand« ( bild.de) für sich entdeckten. Wiederholt räumte das Boluevardmedium der Geschichte den prominentesten Platz auf seiner Startseite ein, präsentiert Schwerpunkte und einen Liveticker. Andere Nachrichtenportale taten es bild.de gleich, wie etwa die Newstickerschleuder focus.de. Aber auch seriösere Medien wie welt.de konzentrieren ihre Berichterstattung über Tage auf Fragen wie, ob Milliardär Elon Musk den Eingeschlossenen mit einem Mini-U-Boot wirklich helfen könnte oder Hollywood an der Verfilmung des Stoffes bereits Interesse bekundet ( stern.de).
Man fragt sich: Ist das noch das richtige Maß, mit dem über ein menschliches, aber letztlich politisch folgenloses Drama berichtet wird? Es ist eine Binsenweisheit, wonach mediale Aufmerksamkeit den Fokus öffentlicher Wahrnehmung beeinflusst.
Zum Vergleich: Die neue Initiative Seebrücke, die am Wochenende tausende Menschen für einen Aufschrei über das Sterben im Mittelmeer mobilisierte, bekam nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit. Dabei ist es nicht so, als wäre die Initiative den genannten Medien keine Berichter- stattung wert gewesen. Nur: Es sind eben nicht Aufmacher, Schwerpunkte, Newsticker und Titelseiten.
Unter dem Stichwort Seebrücke findet sich auf Bild.de exakt ein einziger Beitrag. »Spiegel Online« war der Protestmarsch vergangenes Wochenende immerhin ein Beitrag auf Grundlage von Agenturmaterial wert. Einen Schwerpunkt? Den gab es allerdings auch hier nicht. (Was nicht heißt, die Kollegen würde sich dem Thema Flucht und Migration im erweiterten Sinne nicht auch widmen.)
Über die Rolle der Medien und ihre Verantwortung macht sich auch Uta Schleiermacher auf taz.de Gedanken. Darüber, warum sich die Berichterstattung bei den Jungen in der Höhle überschlägt, bei der Begleitung des Dramas im Mittelmeer sie aber offenkundig teilweise versagt: »Was wäre, wenn wir – die Medien – unsere Kameras und Mikrophone auf eins dieser Boote richteten? Wenn wir – die Leser*innen, Hörer*innen und Fernsehzuschauer*innen – unsere Aufmerksamkeit und Anteilnahme den Menschen in den Booten zuwendeten?« Der Mensch ist ein »storytelling animal«, wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im Interview mit tagesschau.de ausdrückt. »Wir leben in Geschichten, wir denken in Geschichten, wir träumen Geschichten. In gewissem Sinne gilt: Unsere Umwelt – unsere Welt – besteht nicht aus Atom, sondern aus Geschichten.« Und genau das lässt sich am Beispiel der Fußballmannschaft in Thailand zeigen. Ihre Gesichter sind der Welt bekannt. Wir wissen, was sie in ihrer Freizeit tun, wer ihre Verwandten sind und wie diese emotional mitfiebern. Das schafft Nähe.
Die Frage sei, so taz-Autorin Schleiermacher, ob die Bevölkerung solche Erzählungen über Geflüchtete mit der gleichen Intensität verfolgen würde. »Die Geschichten der Flüchtlinge, die im Mittelmeer in Not geraten, erzählt uns zugleich viel über unser eigenes Versagen und über unseren Rassismus.«. Das Drama in Thailand? Bleibt dagegen folgenlos. Matthias Drobinski attestiert auf sueddeutsche.de einen Verlust an Empathie »mit den Bootsmenschen im Mittelmeer«. Längst habe sich die Grenzen des Diskutierbaren verschoben. »Jetzt steht das Mitleid infrage. Es wird, von Rechtspopulisten, aber auch bis in etablierte Medien hinein, als naiv und selbstzerstörerisch diffamiert.«
»Es gibt keinen Grund, das Schicksal der jungen Fußballer gegen das von Flüchtlingskindern aufzurechnen«, warnt Marco Bertolaso auf deutschlandfunk.de. Er fordert, es müsse weiter intensiv über Geflüchtete berichtet werden, erklärt aber, dass die »enorme Aufmerksamkeit für die Kinder in Thailand« hinsichtlich der Nachrichtenfaktoren ein normaler Vorgang gewesen sei. »Ereignisse dieser Art faszinieren nicht nur durch das Außergewöhnliche, sondern im besten Fall anschließend auch durch das Gefühl, dass es ›gut ausgegangen‹ sei.« Die individuellen Schicksale, die Gesichter, sie weckten Empathie.
In der Migrationsdebatte gab es dies ebenfalls. »Es ist noch keine drei Jahre her, als das Bild eines toten Flüchtlingskindes an einem Strand in der Türkei die Top-Nachricht war.« Seitdem habe sich aber viel verändert, Migration erfahre inzwischen eine andere gesellschaftliche Bewertung. Das »hat viel mit Medien zu tun, aber noch viel mehr mit Politik.«