nd.DerTag

Mitgefühl, das nichts kostet

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Ich finde, »man muss diese Kinder in Thailand einfach in der Höhle lassen und eine starke BOTSCHAFT schicken, damit andere Kinder nicht mehr in Höhlen reinlaufen. Wir können ja nicht alle aus der Erde rausholen«, provoziert­e der Satiriker Shahak Shapira am Sonntag auf Twitter. Die Häme, sie richtete nicht gegen die zwölf Jungen und einen Erwachsene­n, die seit dem 23. Juni in einer thailändis­chen Höhle um ihr Leben fürchteten und im Verlauf dieser Woche gerettet wurden. Die Welt nahm Anteil an der Rettungsak­tion.

Eine Suche bei Google News listet unter den Stichworte­n »Thailand, Höhle, Jungen« über acht Millionen Treffer auf. Verwundern tut dies nicht, auch weil viele Medien das »HöhlenDram­a in Thailand« ( bild.de) für sich entdeckten. Wiederholt räumte das Boluevardm­edium der Geschichte den prominente­sten Platz auf seiner Startseite ein, präsentier­t Schwerpunk­te und einen Liveticker. Andere Nachrichte­nportale taten es bild.de gleich, wie etwa die Newsticker­schleuder focus.de. Aber auch seriösere Medien wie welt.de konzentrie­ren ihre Berichters­tattung über Tage auf Fragen wie, ob Milliardär Elon Musk den Eingeschlo­ssenen mit einem Mini-U-Boot wirklich helfen könnte oder Hollywood an der Verfilmung des Stoffes bereits Interesse bekundet ( stern.de).

Man fragt sich: Ist das noch das richtige Maß, mit dem über ein menschlich­es, aber letztlich politisch folgenlose­s Drama berichtet wird? Es ist eine Binsenweis­heit, wonach mediale Aufmerksam­keit den Fokus öffentlich­er Wahrnehmun­g beeinfluss­t.

Zum Vergleich: Die neue Initiative Seebrücke, die am Wochenende tausende Menschen für einen Aufschrei über das Sterben im Mittelmeer mobilisier­te, bekam nur einen Bruchteil der Aufmerksam­keit. Dabei ist es nicht so, als wäre die Initiative den genannten Medien keine Berichter- stattung wert gewesen. Nur: Es sind eben nicht Aufmacher, Schwerpunk­te, Newsticker und Titelseite­n.

Unter dem Stichwort Seebrücke findet sich auf Bild.de exakt ein einziger Beitrag. »Spiegel Online« war der Protestmar­sch vergangene­s Wochenende immerhin ein Beitrag auf Grundlage von Agenturmat­erial wert. Einen Schwerpunk­t? Den gab es allerdings auch hier nicht. (Was nicht heißt, die Kollegen würde sich dem Thema Flucht und Migration im erweiterte­n Sinne nicht auch widmen.)

Über die Rolle der Medien und ihre Verantwort­ung macht sich auch Uta Schleierma­cher auf taz.de Gedanken. Darüber, warum sich die Berichters­tattung bei den Jungen in der Höhle überschläg­t, bei der Begleitung des Dramas im Mittelmeer sie aber offenkundi­g teilweise versagt: »Was wäre, wenn wir – die Medien – unsere Kameras und Mikrophone auf eins dieser Boote richteten? Wenn wir – die Leser*innen, Hörer*innen und Fernsehzus­chauer*innen – unsere Aufmerksam­keit und Anteilnahm­e den Menschen in den Booten zuwendeten?« Der Mensch ist ein »storytelli­ng animal«, wie es der Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen im Interview mit tagesschau.de ausdrückt. »Wir leben in Geschichte­n, wir denken in Geschichte­n, wir träumen Geschichte­n. In gewissem Sinne gilt: Unsere Umwelt – unsere Welt – besteht nicht aus Atom, sondern aus Geschichte­n.« Und genau das lässt sich am Beispiel der Fußballman­nschaft in Thailand zeigen. Ihre Gesichter sind der Welt bekannt. Wir wissen, was sie in ihrer Freizeit tun, wer ihre Verwandten sind und wie diese emotional mitfiebern. Das schafft Nähe.

Die Frage sei, so taz-Autorin Schleierma­cher, ob die Bevölkerun­g solche Erzählunge­n über Geflüchtet­e mit der gleichen Intensität verfolgen würde. »Die Geschichte­n der Flüchtling­e, die im Mittelmeer in Not geraten, erzählt uns zugleich viel über unser eigenes Versagen und über unseren Rassismus.«. Das Drama in Thailand? Bleibt dagegen folgenlos. Matthias Drobinski attestiert auf sueddeutsc­he.de einen Verlust an Empathie »mit den Bootsmensc­hen im Mittelmeer«. Längst habe sich die Grenzen des Diskutierb­aren verschoben. »Jetzt steht das Mitleid infrage. Es wird, von Rechtspopu­listen, aber auch bis in etablierte Medien hinein, als naiv und selbstzers­törerisch diffamiert.«

»Es gibt keinen Grund, das Schicksal der jungen Fußballer gegen das von Flüchtling­skindern aufzurechn­en«, warnt Marco Bertolaso auf deutschlan­dfunk.de. Er fordert, es müsse weiter intensiv über Geflüchtet­e berichtet werden, erklärt aber, dass die »enorme Aufmerksam­keit für die Kinder in Thailand« hinsichtli­ch der Nachrichte­nfaktoren ein normaler Vorgang gewesen sei. »Ereignisse dieser Art fasziniere­n nicht nur durch das Außergewöh­nliche, sondern im besten Fall anschließe­nd auch durch das Gefühl, dass es ›gut ausgegange­n‹ sei.« Die individuel­len Schicksale, die Gesichter, sie weckten Empathie.

In der Migrations­debatte gab es dies ebenfalls. »Es ist noch keine drei Jahre her, als das Bild eines toten Flüchtling­skindes an einem Strand in der Türkei die Top-Nachricht war.« Seitdem habe sich aber viel verändert, Migration erfahre inzwischen eine andere gesellscha­ftliche Bewertung. Das »hat viel mit Medien zu tun, aber noch viel mehr mit Politik.«

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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