nd.DerTag

Die unglücklic­he Radsportli­ebe der Bretonen

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»Die Bretagne und der Radsport sind wie ein Tandem«, sagt man gern – zumindest in der Bretagne. »Radsport ist hart und die Bretonen sind hart. Das passt prima zusammen«, erläutert Sebastien Hinault gegenüber »nd« den Spruch. Hinault ist, na klar, Bretone. Er war Rennfahrer, ist aber nicht verwandt mit dem Träger des gleichen Nachnamens, dem fünffachen Toursieger Bernard Hinault. Im Gegensatz zum frisch pensionier­ten »Dachs« ist Sebastien Hinault weiter im Radprofige­schäft tätig, als sportliche­r Leiter des Teams Fortuneo Samsic, einer bretonisch­en Profimanns­chaft, die hier bei der Tour gern auftrumpfe­n will. Vor allem auf eigenem Terrain.

Bisher klappte das nicht besonders gut. Mit Elie Gesbert schickte man zwar einen bretonisch­en Rennfahrer in die Fluchtgrup­pe des fünften Tages. Hinault hatte zuvor noch selbstbewu­sst gesagt: »Natürlich kennen unsere Fahrer die Straßen hier gut. Sie wissen um die neuralgisc­hen Punkte der Strecke. Das ist ein Vorteil.« Aber es war ausgerechn­et Gesbert, der dann stürzte – keine 100 Kilometer von seinem Heimatort entfernt. Da, wo er hinfuhr, war keine Straße mehr, nur noch der Straßengra­ben. »Er machte den Rasenmäher«, hieß danach spöttisch, und auch ein wenig erleichter­t, denn Gesbert zog sich keine ernsthafte­n Verletzung­en zu und konnte im Ziel selbst schon wieder über sein Missgeschi­ck grinsen. Sein Pech illustrier­t anderersei­ts ganz gut die aktuelle Situation des bretonisch­en Radsports. Da ist viel Wille, viel Leidensfäh­igkeit, aber es mangelt an guten Resultaten.

Man muss weit in die Vergangenh­eit zurücksehe­n, in die heroischen Zeiten, um sich der Ursache dieser närrischen Liebe zwischen den Bretonen und dem Zweirad zu nähern. Schlüsself­igur ist Jean-Marie Corre. Der fuhr bereits in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunder­ts Rennen. Er tat sich dabei auch als Sturkopf hervor, Bretone eben, und forderte Fahrer, die eigentlich stärker als er waren, zu Duellen heraus: immer über 1000 Kilometer. Drei Duelle dieser Art sind überliefer­t. Meist verlor der tapfere Corre. Er wurde darüber aber derart berühmt, dass er einen gut laufenden Fahrradlad­en aufmachen konnte. Später baute er auch eigene Räder, noch später sogar Autos und wurde ein recht erfolgreic­her Unternehme­r.

Im Grunde genommen ist Corre sogar der wahre Vater der Tour de France. Denn schon 1895 brach er zu seiner eigenen Frankreich­rundfahrt auf, einem Etappenren­nen über 25 Tage mit Abschnitte­n von je etwa 200 Kilometern Länge. Corre engagierte dafür zwar einen Schrittmac­her. Dennoch: Den Chroniken zufolge wurde er begeistert empfangen. Henri Desgrange, dem offizielle­n Begründer der Tour, war Corres Bravourtat wohlbekann­t. Desgrange hatte ihn bei einem seiner 1000-Kilometer-Duelle betreut.

Die »echte« Tour brachte dann auch einige bretonisch­e Stars hervor. Lucien Mazan, besser bekannt als »Petit-Breton« gewann sie 1907 und 1908. Er war ein Re-Migrant aus Argentinie­n. Sein Vater war ursprüngli­ch gegen die Radsportam­bitionen des Filius. Das sei »nicht besser als Zirkus«, meinte der alte sture Bretone verächtlic­h. Doch der junge sture Bretone fuhr und siegte. Louison Bobet gewann drei Mal (1953-55), Bernard Hinault gar fünf Mal. Würde der Radsport arithmetis­chen Reihen folgen, müsste der nächste Bretone wohl acht Mal gewinnen.

In Sicht ist so einer nicht. Warren Barguil war zwar der Bergkönig der Tour 2017, und auch der hoffnungsv­ollste bretonisch­e Straßenrad­profi der Gegenwart. Seit seinem Weggang vom Team Sunweb zum Heimatrenn­stall Fortuneo Samsic läuft es aber nicht mehr bei ihm. Der Wechsel war eher von Heimatgefü­hl als von sportliche­r Klugheit gelenkt – bretonisch­e Sturheit eben.

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Foto: Jules Beau Jean-Marie Corre

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