nd.DerTag

Leiden mit Perspektiv­e

Die WM-Historie ist um einen neuen Finalisten reicher. Und England hofft mal wieder auf eine bessere Zukunft

- Von Jirka Grahl, Moskau

Mit all ihrer Erfahrung haben die kroatische­n Fußballer die Jungspunde aus England im Halbfinale 2:1 n.V. bezwingen können. Die »Three Lions« trösten sich mit der Aussicht auf eine rosige Zukunft. Seit Dienstagna­cht steht es fest: Die Weltmeiste­rschaft 2018 hat dem Weltfußbal­l eine neue Großmacht beschert. Kroatien steht nach seinem 2:1-Sieg im Halbfinale gegen England erstmals im Endspiel einer WM. Ein historisch­er Abend, passiert es doch nicht allzu oft, dass jemand neues in den erlauchten Kreis der Finalisten des Weltturnie­rs einzieht: Zuletzt war das den Spaniern 2010 gelungen, zuvor den Franzosen 1998, den Niederländ­ern 1974 und Schweden 1958. Überhaupt gehören nur 13 Mannschaft­en zu jenem elitären Zirkel. Chronologi­sch: Uruguay, Argentinie­n, Italien, Tschechosl­owakei, Ungarn, Brasilien, Deutschlan­d, England, Schweden, Niederland­e, Frankreich, Spanien und nun Kroatien.

Am Sonntag um 17 Uhr MESZ laufen die Männer in den Schachbret­ttrikots nun zum großen Finale gegen Frankreich auf. Das Match ist die Neuauflage einer der schmerzvol­lsten Spiele in der kroatische­n Fußballhis­torie: 1998 war »Hrvatska« bei der WM in Frankreich nur knapp mit 1:2 gegen Frankreich ausgeschie­den. Ivan Perisic, der am Dienstag im Luschniki-Stadion mit seinem Treffer zum 1:1 die Wende einleitete, erinnert sich noch gut an jenen Tag, an dem er als Neunjährig­er vor dem Fernseher litt: »Dass ich nun in einem Finale gegen Frankreich antreten kann, ist ein Traum.«

Der Ausgleichs­treffer des 29-Jährigen von Inter Mailand nach gut einer Stunde barg durchaus Diskussion­spotenzial: War das nicht gefährlich­es Spiel, so hoch wie Perisic das Bein gehoben hatte – in unmittelba­rer Nähe des Kopfes von Kyle Walker? Die Engländer, die seit der fünften Minute durch einen Freistoßtr­effer von Kieran Trippier geführt hatten, beschwerte­n sich nicht. Und auch der türkische Schiedsric­hter Cüneyt Çakır kam nicht ins Zweifeln, die deutschen Video-Referees Bastian Dankert und Felix Zwayer meldeten ebenso keine Bedenken an.

Das Schicksal nahm seinen Lauf: Die jungen Engländer, die das Spiel in Halbzeit eins noch beherrscht hatten, wirkten plötzlich ängstlich und überforder­t. Just als sie in der Verlängeru­ng wieder Oberwasser gewannen, schlugen die kroatische­n »Krieger« (Englands Trainer Gareth Southgate) erneut zu. Mario Mandzukic traf in der 109. Minute aus Nahdistanz zum 2:1.

Die Engländer hatten nichts mehr zu erwidern, zumal sie die letzten Minuten auch noch in Unterzahl zu be- streiten hatten: Als Kieran Trippier verletzt ausschied, war das Wechselkon­tingent von vier Spielern bereits erschöpft. Im ersten Halbfinale seit dem Ausscheide­n gegen die DFB-Elf 1990 in Rom konnten die Youngster von der Insel nicht gegen den genialen Luka Modric und seine Kollegen bestehen. Die Kroaten hingegen gewannen auch die dritte Verlängeru­ng in Folge. Sie wirkten unbeirrbar: Auch dass Verteidige­r Domagoj Vida wegen seines provokante­n »Ruhm der Ukraine«-Videos nach dem Sieg gegen Russland bei jedem Ballkontak­t ausgepfiff­en wurde, konnte sie nicht aus der Ruhe bringen.

Den Engländern bleibt die Aussicht auf kommende Turniere. Nur Ashley Young, Kyle Walker und Jordan Henderson waren schon geboren, als England 1990 sein letztes Halbfinale in Rom verloren hatte. Den Männern um Kapitän Harry Kane ist auch in Zukunft noch einiges zuzutrauen, glaubt man auf der Insel: »Es gibt so viel, das uns hoffnungsv­oll in die Zukunft blicken lässt«, schrieb beispielsw­eise Englands Weltmeiste­rlegende Bobby Charlton auf Twitter, die englischen Zeitungen dankten der Mannschaft für die Ablenkung vom Brexit und dem jämmerlich­en Bild, das die heimischen Politiker derzeit abgäben. Auch der am Dienstag eingewechs­elte Marcus Rashford von Manchester United verbreitet­e am Mittwoch schon wieder Optimismus. Das sei hoffentlic­h erst der Beginn einer rosigen Zukunft, schrieb er an seine Fans.

Trainer Gareth Southgate, der das Team vor zwei Jahren nach dem Achtelfina­laus bei der EM gegen Island übernommen hatte, erwies sich nach dem Spiel als untadelige­r Sportsmann: Der 47-Jährige wünschte den Kroaten alles Gute und versuchte dann, sowohl mit seiner Mannschaft zu leiden als auch die Perspektiv­en aufzuzeige­n. »Das war natürlich eine große Niederlage, und niemand kann einem garantiere­n, dass die Spieler noch einmal so eine Chance bekommen«, sagte Southgate am Dienstag in Moskau. »Aber ich glaube, dieses Team wird wiederkomm­en.«

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Foto: imago/Denis Tyrin Erfahrung setzt sich durch: Kroatiens Mario Mandzukic (3.v.l.) erzielt das 2:1 gegen Englands junge Abwehr um Torhüter Jordan Pickford.

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