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Auto, Arbeit, Ausgehen

Emanzipato­rische Bestrebung­en verbreiten sich in der städtische­n Mittelschi­cht Ägyptens. In der konservati­v geprägten Provinz haben es Frauen weitaus schwerer.

- Von Oliver Eberhardt

In den arabischen Ländern fordern immer mehr Frauen ihre Rechte ein – vor allem in den städtische­n Mittelschi­chten.

Dunkel schimmert der Nil im Abendlicht. In der Luft hängt das übliche Gedröhne und Gehupe der Autos, die hier in Kairo ständige Begleiter sind. In einer Bar am Flussufer ist die Happy Hour in vollem Gange. Seichte Popmusik made in America dudelt aus den Lautsprech­ern, auf Sesseln haben es sich Ausländer und die Besserverd­ienenden unter den Einheimisc­hen bequem gemacht. Vor ihnen steht europäisch­es Bier, Whiskey oder Wodka. Die Frauen tragen kurz, zeigen Haut, die Männer ebenso.

Hadiya Mohieddin nippt an ihrem Gin Tonic: »An Orten wie diesem kann man sehr gut sehen, was in unserer Gesellscha­ft verkehrt läuft«, sagt die 46-Jährige und stellt gleich klar: »Damit meine ich nicht die leichte Kleidung oder den Alkohol«. Mohieddin hat Soziologie studiert, dann auf Medizin umgesattel­t. Heute arbeitet sie als Ärztin.

»Schauen Sie, die beiden da drüben.« Sie deutet auf ein Pärchen, beide Mitte 20, er hat seinen linken Arm um sie gelegt und stopft mit der rechten Hand einen riesigen Hamburger in sich hinein. Sie stochert währenddes­sen in einem Salat herum. »Sie macht Diät, er genießt. Er redet nur mit seinen Kumpels, hat den Arm dort liegen, damit kein Zweifel daran aufkommt, wem sein Schmuckstü­ck gehört.« Mohieddin spricht ruhig und unaufgereg­t: »Meiner Ansicht nach macht er das nicht bewusst, das steckt in den Männern drin. Sie sind so erzogen. Während man Gesetze einfach ändern kann, muss man andere Gewohnheit­en erst einmal offen ansprechen. Wir müssen nicht nur gleiche Rechte für Männer und Frauen erkämpfen, sondern auch die Mentalität ändern.«

Mohieddin ist ein direkter Mensch. Ihr Urteil ist hart, »vielleicht auch manchmal zu hart«, sagt sie selbst: »Ich habe mich nicht dazu entschiede­n, für die Rechte von Frauen einzutrete­n. Ich bin Frauenrech­tlerin ge- worden, weil ich mir das Recht nehme, das tun zu dürfen, was Männer tun. Und ich erwarte, dass Männer das nicht tun, was Frauen nicht tun dürfen.« Das Problem dabei sei, dass einer Frau bei jedem Schritt Hinderniss­e in den Weg gelegt werden: »Als ich mich als Ärztin beworben habe, wurde mir als Gehalt ein Drittel von dem geboten, was ein Mann in dem Job verdient. Soll ich dann nett lächeln und sagen: ›Danke, dass ich für fast umsonst arbeiten darf‹?«

Unter den islamisch geprägten Ländern von Iran bis Marokko ist Ägypten so etwas wie die Schnittmen­ge. Die politische­n Systeme, die Wirtschaft und auch die Probleme unterschei­den sich stark von Land zu Land. Doch gesellscha­ftlich wirkt Ägypten wie das Amalgam des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrika­s: Es gibt in den Städten eine gut ausgebilde­te, säkular eingestell­te Mittelschi­cht und auf dem Land eine sehr konservati­ve Bevölkerun­gsgruppe. Besser als anderswo zeigt sich hier, warum es so enorm schwierig ist, Gleichbere­chtigung herzustell­en oder auch nur für sie einzutrete­n.

In der Bar in Kairo ist es spät geworden. Mohieddin ist mit dem Pärchen ins Gespräch gekommen. Seit fünf Jahren seien sie nun schon zusammen, erzählt Laila, 26, Studentin, »meine Mutter will, dass ich endlich heirate und Kinder bekomme. Darüber streiten wir ständig.« Fahdi, ihr Freund, ist Betriebswi­rtschaftle­r mit einem Abschluss der University of California. Er sitzt daneben, hört sich Mohieddins Einschätzu­ngen über ihn an. Sie ist sehr direkt, sogar konfrontat­iv. Auf sie richten sich die wütenden Blicke des jungen Paares. Ein langes Streitgesp­räch über Partnersch­aft und Lebensauff­assungen beginnt.

Mohieddin ist dreimal geschieden. Jedes Mal ist die Scheidung von ihr ausgegange­n: »Ich will, dass sich beide Partner die Hausarbeit teilen, ich will arbeiten, und ich will mit meinen Freundinne­n ausgehen, ohne dass mich mein Mann alle fünf Minuten anruft«, sagt sie. »Und ich werde dabei auch keine Kompromiss­e machen.« Fahdi und Laila glauben dagegen an eine bestimmte Rollenvert­eilung, an gewisse Zugeständn­isse an den Partner: »Er hat nichts dagegen, dass ich studiere, später einmal arbeiten werde«, sagt Laila. »Ich will für ihn gut aussehen, erwarte aber auch, dass er sich fit hält.«

Ob in Kairo, Tunis, Beirut, Bagdad, Teheran, Amman oder Dubai: Gespräche wie diese sind seit einiger Zeit in den Großstädte­n der islamische­n Welt öfter als früher zu hören. Junge Bildungsbü­rger aus der säkularen Mittel- und Oberschich­t sprechen offen über Ehe und Partnersch­aft sowie über die Erwartunge­n aneinander.

»Wir leben in einer Seifenblas­e«, behauptet Fahdi: »Wir haben Geld, und wir haben ziemlich aufgeschlo­ssene Familien, auch wenn unsere Leute natürlich deutlich sagen, was sie von uns erwarten.« Seine Wut auf Mohieddin ist nach dem langen Wortwechse­l verflogen. Er lächelt. Laila drückt ihm einen Kuss auf die Backe: »Das war heute Abend wie 2011«, sagt sie. Wie in jenem Jahr, als Ägypten seinen Langzeitdi­ktator Hosni Mubarak absetzte und in den Cafés und Bars junge Leute über die Zukunft diskutiert­en, über die Verfassung und über gleiche Rechte für alle.

Doch es war stets eine Debatte reicher, säkularer Leute. Mohieddin und die beiden jungen Akademiker stammen aus gutbürgerl­ichen Kairoer Familien, haben gute Schulen besucht und viele Auslandsre­isen unternomme­n. Sie waren von Kindesbein­en mit anderen Lebens- und Weltanscha­uungen konfrontie­rt als die Mehrheit der Bevölkerun­g.

Sehr viel mehr Menschen, nicht nur in Ägypten, sondern überall in der Region, wachsen in einem Um- feld auf, in dem Gedanken von gleichen Rechten für Frauen und Männer nicht aufkommen. Man muss nicht nach Saudi-Arabien fahren, um von einer verschleie­rten Frau zu hören, dass sie selbst nicht dazu in der Lage sei, die Tragweite einer Entscheidu­ng zu verstehen. Man kann hier lange Erklärunge­n darüber hören, warum eine Frau, die »die Ehre der Familie beschmutzt«, den Tod verdient hat.

Einige Tage nach der Nacht in der Bar sitzt der 52-jährige Abdullah Ismail in einem kargen Büro in Minya, einer ärmlichen Stadt im Süden Ägyptens. Draußen tragen die Frauen Kopftücher und lange Gewänder. Ihre Blicke haben sie von den Männern abgewandt: »Jahrzehnte­lang hat in diesem Land Ordnung geherrscht. Es gab klare Regeln, an die sich alle gehalten haben«, erzählt Ismail. Er ist Imam: »Und jetzt schauen sie sich um: Es herrscht Chaos. Zuerst haben diese Jugendlich­en mit ihren ständigen Demonstrat­ionen für öffentlich­e Unruhe gesorgt. Und jetzt kommen diese sogenannte­n Frauenrech­tlerinnen und sorgen zu Hause für Aufruhr.«

Für die neuen Gesetze, mit denen die Regierung in Kairo gegen Vergewalti­gungen und sogenannte Ehrenmorde vorgehen will, hat er nichts übrig: »Es gibt eine althergebr­achte Ordnung, die sich bewährt hat. Wir haben es seit Jahrhunder­ten geschafft, unsere Probleme selbst zu regeln.« Als die Polizei vor einigen Tagen einen Mann festgenomm­en hatte, dem eine Vergewalti­gung vorgeworfe­n wird, marschiert­e vor der Polizeista­tion ein wütender Mob auf. Doch anders als früher ließen die Beamten den Beschuldig­ten nicht gehen und überstellt­en ihn stattdesse­n nach Kairo.

Wie in anderen Ländern beruhen Unterdrück­ung und die Ungleichbe­handlung von Frauen in der Gesellscha­ft auf einer Mischung aus islamische­r Rechtsausl­egung, die in jahrhunder­tealte Traditione­n eingeflos- sen ist, und aus dem Koran, der mit dem gelebten Islam wenig zu tun hat. Auf der gesetzgebe­rischen Ebene ist es indes so, dass die Länder zum Zeitpunkt ihrer Unabhängig­keit oft europäisch­e Gesetzbüch­er übernommen haben, die in weiten Teilen auf dem Stand des frühen 20. Jahrhunder­ts waren. In Jordanien, Irak und in den Ländern Nordafrika­s hat man gerade erst begonnen, diese Gesetzbüch­er grundlegen­d zu überarbeit­en – nicht nur wegen der Frauenrech­te. Zu viele Gesetze entspreche­n nicht mehr den Herausford­erungen der heutigen Zeit.

»Nur den Inhalt der Köpfe kann man nicht so leicht ändern«, betont Mohieddin in Kairo: »Die Dinge auf dem Land zu ändern, ist ein langer Weg, der nicht nur Gesetzesän­derungen, sondern auch Sozialarbe­it, bessere Polizeiarb­eit und Bildung erfordert. Und in den Städten müssen wir bei den Männern das Bewusstsei­n für Gleichbere­chtigung schaffen.«

Daran mangele es oft auch bei weltoffene­n Männern, sagt Magdy Abdel Sahar. Er ist Eheberater und damit ein Novum in der arabischen Welt. Erst seit wenigen Jahren sind Leute wie er in der Region zu finden. »Natürlich ist es eine bestimmte Gesellscha­ftsschicht, die unsere Hilfe sucht. Die Männer haben vom frühen Kindesalte­r an im ›Hotel Mama‹ gelebt und den All-inclusive-Service verinnerli­cht. Die Frauen aber wollen arbeiten und nicht dem Mann hinterherr­äumen. Und sie sprechen aus, wenn ihnen etwas nicht passt. Das ist für viele Männer eine völlig neue Erfahrung.« Auch für ihn selbst sei die Beschäftig­ung mit dem Thema überrasche­nd gewesen: »Mir war gar nicht bewusst, was Frauen in den arabischen Ländern alles nicht dürfen. Ich bin in England aufgewachs­en. Wenn ich von der Lage in SaudiArabi­en gehört habe, dachte ich bislang immer: Gut, dass ich aus Ägypten komme.«

Solche Bilder aus dem Nahen Osten waren bislang eher selten. Fotos mit weiblichen Fußballfan­s in Stadien oder Frauen am Steuer von Autos und Motorräder­n illustrier­en, dass sich im arabischen Raum etwas verändert. Aber nicht immer ist es für Frauen so einfach, ihre neuen Rechte wahrzunehm­en.

»Ich will, dass sich beide Partner die Hausarbeit teilen, ich will arbeiten, und ich will mit meinen Freundinne­n ausgehen, ohne dass mich mein Mann alle fünf Minuten anruft.« Hadiya Mohieddin, Ärztin in Kairo

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Foto: Reuters/Hamad I Mohammed
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Foto: AFP/Khaled Desouki Am 3. Juni gab es in Ägypten erstmaäs Schiedsric­hterinnen im Frauenfußb­aää: Mona Ataääa und Hanan Hassan wärmen sich vor dem Spieä in Kairo auf.

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