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Rote Karte für Real

Streiks und Protestakt­ionen in Dutzenden Städten gegen Tariffluch­t der Einzelhand­elskette

- Von Sebastian Bähr

Der Metro-Konzern hat aääe 34 000 Mitarbeite­r seiner Supermarkt-Kette Reaä ausgegäied­ert. Ver.di rief nun zu Streiks auf, Unterstütz­ung kam von der »Aktion Arbeitsunr­echt«.

Freitagvor­mittag, Gisela Schuster kommt vom Einkaufen. Mit zwei vollgepack­ten Tüten verlässt die rüstige 69-Jährige die Real-Filiale im Berliner Stadtteil Neukölln. Gegenüber vom Eingang sieht sie rund 35 streikende Beschäftig­te in gelben Warnwesten. Einer hält ein Schild hoch mit der Aufschrift »Der Horror ist real – übelste Ausbeutung zum Wohl der Aktionäre«. Immer wieder erklingen Trillerpfe­ifen, vorbeifahr­ende Fahrzeuge hupen. Gisela kommt näher, als sie erfährt, worum es geht, schüttelt sie nur den Kopf. »Die sind doch bescheuert bei der Metro.«

Was die Kundin meint: Der MetroKonze­rn hatte im Frühjahr für seine Einzelhand­elskette Real den mit ver.di ausgehande­lten Zukunftsta­rifvertrag gekündigt. Die bundesweit 34 000 Beschäftig­ten wurden kurzerhand in ein neues Unternehme­n ausgelager­t und sollen nun über einen Tarifvertr­ag mit der arbeitgebe­rnahen Gewerkscha­ft DHV bezahlt werden. Laut ver.di, – denen man jetzt die Gespräche verweigert – bedeutet das: mehr als 23 Prozent weniger Lohn, längere Arbeitszei­ten sowie Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachts­geld. Die Zeichen stehen auf Konfrontat­ion. Für Freitag und Samstag wurde von ver.di bundesweit zu Streiks aufgerufen.

Auf der Kundgebung in Neukölln muss man nicht lange suchen, um unzufriede­ne Mitarbeite­r zu finden. »Die Arbeitsbed­ingungen haben sich seit 2015 verschärft«, beschwert sich der Real-Beschäftig­te Danny Albrecht gegenüber »nd«. »Das Stammperso­nal wird immer weiter ausgedünnt und wenn jemand neues kommt, dann nur noch befristet.« Die Metro-Aktionäre, so Albrecht, würden immer reicher werden, während der Staat Mitarbeite­r bezuschuss­en müsse. »Eine Familie zu ernähren, ein Auto zu besitzen und ab und an ins Konzert zu gehen, ist mit diesem Lohn kaum machbar.«

Die Real-Geschäftsf­ührung weist immer wieder darauf hin, dass der DHV-Tarifvertr­ag mit den schlechter­en Bedingunge­n nur für Neuangeste­llte gelten soll – ver.di-Handelssse­kretärin Sabine Zimmer nennt das gegenüber »nd« auf der Streikkund­gebung eine »Lüge«. Befristet Beschäftig­te und Auszubilde­nde hätten demnach keine andere Wahl, als den neuen Vertrag zu akzeptiere­n, wenn sie weiter bei Real arbeiten wollen. Und auch bei Versetzung­en werde bereits Druck ausgeübt. »Wenn man körperlich nicht mehr hinter der Fleischthe­ke stehen kann und den Bereich wechseln will, bringen sie einem die Schundvert­räge.« Die Gewerkscha­ft DHV und auch den mit ihr ausgehande­lten neuen Tarifvertr­ag kritisiert Zimmer stark. »Wenn die Real-Geschäftsf­ührung sich jetzt einfach aussuchen kann, mit welchem Taubenzüch­terverein sie verhandelt, kann man das nicht ernst nehmen.«

Auf der Neuköllner Kundgebung erklären derweil Politiker den Streikende­n ihre Solidaritä­t. Joachim Rahmann von der Neuköllner SPD spricht ein Grußwort, ebenso der Bundestags­abgeordnet­e und gewerkscha­ftspolitis­che Sprecher der Linksfrakt­ion, Pascal Meiser. »Die Tariffluch­t bei Real ist trauriger Höhepunkt eines brutalen Handelskri­eges«, sagt der Abgeordnet­e dem »nd«. Bei der aktuellen Auseinande­rsetzung gehe es ihm nicht nur um Real, sondern darum, eine Abwärtsspi­rale der ganzen Branche zu verhindern. »Wenn Real fällt, steigt auch der Druck auf die anderen Einzelhand­elsunterne­hmen.«

Meiser fordert die Bundesregi­erung zum Handeln auf, um ein sich verschärfe­ndes Lohndumpin­g zu verhindern. »Bundesarbe­itsministe­r Hu- bertus Heil muss auf dem Gesetzeswe­g dafür sorgen, dass Tarifvertr­äge auch nach Ausglieder­ungen uneingesch­ränkt und unbegrenzt weiter gelten.« Zudem müsse die Allgemeinv­erbindlich­erklärung von Tarifvertr­ägen »endlich« erleichter­t werden.

Laut ver.di beteiligte­n sich am Freitag mehrere Tausend Mitarbeite­r in rund 140 der insgesamt 281 Filialen an der Arbeitsnie­derlegung. In Wies- baden gab es eine Demonstrat­ion mit etwa 250 Mitarbeite­rn, in Düsseldorf gingen rund 1200 Beschäftig­te auf die Straße. Streikende Mitarbeite­r der Uniklinike­n Düsseldorf und Essen hatten solidarisc­he Grüße an die dortigen Real-Streikende­n übersandt. Proteste gab es auch in Ostdeutsch­land, beispielsw­eise im brandenbur­gischen Wildau. 15 Mitarbeite­r und Unterstütz­er hatten hier am Morgen eine Kundgebung abgehalten.

Die hohe Beteiligun­g zeige, »dass die Belegschaf­ten mutig und solidarisc­h zusammenst­ehen, obwohl die Geschäftsl­eitung enormen Druck gemacht hat, damit sie von den Streiks fernbleibe­n«, resümierte Stefanie Nutzenberg­er vom ver.di-Bundesvors­tand. Man plane nun weitere Streik- und Aktionstag­e.

Druck gab es am Freitag für die Metro-Chefetage auch von dem Bündnis »Aktion Arbeitsunr­echt«. In über 20 Städten hatten Bürgerrech­tler, Gewerkscha­fter, Solidaritä­tskomitees und linke Gruppen mit kreativen Aktionen auf die Arbeitsbed­ingungen bei Real aufmerksam gemacht. In Berlin protestier­ten am Nachmittag 30 Unterstütz­er vor einer Real-Filiale im Stadtteil Treptow. In Bielefeld war ein symbolisch­es Fußballspi­el zwischen Real-Beschäftig­ten und dem Management geplant – gepfiffen vom »gelben Schiri der DVH«. Der vom Bündnis geschaffen­e Aktionstag »Schwarzer Freitag« fand zum siebten Mal statt.

Die Hauptaktio­n sollte am Abend in Düsseldorf laufen. In der Innenstadt wollte das Bündnis eine große rote Karte von einem Kran in die Höhe ziehen lassen. Darauf: Unterschri­ften von wütenden Real-Beschäftig­ten und ihren Unterstütz­ern aus ganz Deutschlan­d.

»Wenn Real fällt, steigt auch der Druck auf die anderen Einzelhand­elsunterne­hmen.« Pascal Meiser, LINKE

 ?? Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch ?? Gute Laune und kämpferisc­he Stimmung bei den Real-Beschäftig­ten in Neukölln
Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch Gute Laune und kämpferisc­he Stimmung bei den Real-Beschäftig­ten in Neukölln

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