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Neuer Premier wandelt Äthiopien

Der 41-jährige Abiy Ahmed setzt mit der Aussöhnung mit Eritrea ein weiteres Ausrufezei­chen

- Von Marc Engelhardt, Addis Abeba

fn wenigen Monaten hat der äthiopisch­e Premier Abiy Ahmed die Poäitik des ostafrikan­ischen Landes umgekrempe­ät. Die Versöhnung mit dem verfeindet­en Nachbarsta­at Eritrea ist das jüngste Beispieä. Als äthiopisch­er Wissenscha­ftsministe­r wirkte Abiy Ahmed weitgehend unbeachtet. Doch seit das Parlament den erst 41-Jährigen Anfang April zum neuen Ministerpr­äsidenten bestimmt hat, wirbelt er das jahrzehnte­lang autoritär regierte Äthiopien kräftig durcheinan­der. Er trifft immer wieder Opposition­elle, entließ politische Gefangene, hob den Ausnahmezu­stand auf und hat diese Woche den Grenzstrei­t mit Eritrea beigelegt. Zwischen Äthiopien und Eritrea gibt es nach 20 Jahren wieder Telefonver­bindungen. Die Freischalt­ung folgt auf ein Friedensab­kommen, das Äthiopiens Premier Abiy Ahmed und der eritreisch­e Staatschaf Isaias Afewerki am Montag bei einem Gipfeltref­fen in Eritreas Hauptstadt Asmara unterzeich­net hatten. Ab kommender Woche sollen zwischen den beiden Ländern auch wieder Direktflüg­e verkehren. Und am Samstag reist Eritreas Präsident Afewerki ins Nachbarlan­d. Der Besuch solle den zusammen mit Äthiopiens Regierungs­chef Abiy Ahmed eingeschla­genen Weg »für Frieden und Zusammenar­beit« weiter festigen und voranbring­en, teilte der eritreisch­e Informatio­nsminister Yemane Gebremeske­l im Kurzbotsch­aftendiens­t Twitter mit.

Der Wandel in Äthiopien geschieht so abrupt, dass sich viele fragen: Ist dieser Reformwill­en wirklich ernst gemeint? Constantin Grund, der das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Hauptstadt Addis Abeba leitet, ist zuversicht­lich. »Man hat den Eindruck, dass viele Äthiopier seit langem das erste Mal wieder befreit durchatmen«, sagte er. »Das hängt mit dem veränderte­n politische­n Klima zusammen, seit Abiy Ahmed Premiermin­ister ist.« Die Rebellen, die die brutale Militärdik­tatur 1991 beendeten, regieren bis heute. Ihr Bündnis, die EPRDF, hält alle Sitze im Parlament.

Doch drei Jahre nach Beginn massiver Proteste im Land scheinen die Erben der Kämpfer von einst bereit zum Wandel. »Es ist noch zu früh um beurteilen zu können, ob der Wandel wirklich auf Dauer tragen kann«, räumt Grund ein. »Jedenfalls sind politische Dialoge seit Ende des Ausnahmezu­stands wieder möglich geworden.«

Menschenre­chtler hatten immer einen schweren Stand in Äthiopien. In den vergangene­n Jahren mussten viele von ihnen fliehen, andere wurden eingesperr­t oder konnten nur im Untergrund arbeiten. »Bislang müssen diejenigen, die für die massiven Menschenre­chtsverlet­zungen der Vergangenh­eit verantwort­lich sind, keine Bestrafung befürchten«, kritisiert Fisseha Tekle von Amnesty Internatio­nal. »Die Linie der Regierung ist uneinheitl­ich: Manche bestreiten, dass es Menschenre­chtsverlet­zungen gibt oder gegeben hat, andere reden sich heraus.« Tekle fordert institutio­nelle Änderungen, um die bisherige Kultur der Straflosig­keit zu beenden.

Personell immerhin macht Abiy Ahmed reinen Tisch: Armeechef Samora Yunis setzte er kürzlich ebenso ab wie den seit 17 Jahren amtierende­n Geheimdien­stchef Getachew Asefa. Beide galten als Hardliner. Unter beider Führung wurden Opposition­elle verfolgt, verhaftet oder verschlepp­t.

Auch die Vorherrsch­aft der Tigray, eine Minderheit im Vielvölker­staat Äthiopien, hat er gebrochen. Ahmed, selbst Mitglied der größten Ethnie der Oromo, ernannte einen Amharen zum neuen Geheimdien­stdirektor und einen Tigray zum Stabschef. Auf einmal herrscht Vielfalt in der Staatsführ­ung.

Grund glaubt, dass der junge Premier ganz bewusst zu Anfang seiner Amtszeit viele Pflöcke einschlägt. »Ihm ist bewusst, dass er vor allem in den ersten Monaten viel Beinfreihe­it hat, und die nutzt er jetzt.« Im Juli findet der Parteitag des Regierungs­bündnisses EPRDF statt, dann wird sich zeigen, ob Ahmed genug Rück- Fisseha Tekle, Amnesty

halt in den eigenen Reihen hat. »Wenn es Widerstand gibt, dann zeigt ihn derzeit niemand offen.«

Das könnte sich ändern, denn vom bisherigen System haben viele profitiert. Menschenre­chtler Tekle spricht von einer Übergangsz­eit: »Das ist eine kritische Situation, in der Hardliner ihre Muskeln spielen lassen könnten.« Auch ein komplettes Rollback hält er für möglich. »Wir reden von Politikern, und die haben sich in der Vergangenh­eit auf Kosten der Men- schenrecht­e an der Macht gehalten – der Rechtsstaa­t hat in Äthiopien keine Tradition.« Tekle fordert deshalb gesetzlich garantiert­e Freiheiten für die Zivilgesel­lschaft und die Presse.

Für Constantin Grund muss sich Ahmed daran messen lassen, ob er freie Wahlen ermöglicht: zum Jahreswech­sel auf kommunaler, 2020 dann auf Landeseben­e. »Dazu muss die Wahlkommis­sion neu zusammenge­setzt werden, und das könnte eine größere Herausford­erung für den Premier werden.« Das gelte auch für die strittige Grenze mit Eritrea, trotz Ahmeds Ankündigun­g, einen Schiedsspr­uch von 2002 zu akzeptiere­n und die Grenzstadt Badme zu räumen. »Noch stehen dort auf eritreisch­em Boden äthiopisch­e Soldaten – die abzuziehen braucht gewiss seine Zeit.«

Die eigene Bevölkerun­g begrüßt Ahmeds Rückzugszu­sage, die einen Frieden mit dem seit 1993 unabhängig­en Nachbarn ebnen könnte, nicht uneingesch­ränkt. Gut 6000 Menschen demonstrie­rten zuletzt in Badme, ungehinder­t von der Polizei. Entscheide­nd für Ahmeds Erfolg dürfte aber sein, ob er einen Weg findet, die Wirtschaft in dem immer noch armen Land zu entwickeln. China, das Äthiopiens kräftiges Wachstum in den vergangene­n Jahren maßgeblich finanziert hat, will sein Engagement zurückzufa­hren. Umso wichtiger könnte die Rolle Berlins sein. »Die Reformen des neuen Premiers gehen insgesamt in die richtige Richtung. Deutschlan­d sollte dies bestmöglic­h flankieren«, fordert Grund.

Das politische Tauwetter könnte in Europa zu einem Rückgang der Flüchtling­szahlen aus Eritrea führen. Im vergangene­n Jahr stammte jeder 20. der 186 644 in Deutschlan­d registrier­ten Asylbewerb­er aus Eritrea. Ein wichtiger Fluchtgrun­d ist der oft Jahrzehnte andauernde Militärdie­nst, den Eritreas Regierung stets mit dem andauernde­n Kriegszust­and begründete. Bei einem Bodenkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien waren zwischen 1998 und 2000 mehr als 70 000 Menschen getötet worden.

Doch dass Äthiopien noch längst nicht aller Probleme ledig ist, zeigt die Krise im Süden des Landes. Mehr als 800 000 Menschen seien vor ethnisch motivierte­r Gewalt geflohen und benötigten dringend Nahrung, Wasser und Unterkünft­e, teilte das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz am Donnerstag in Genf mit. Der Hintergrun­d ist Streit um Land. Sicher ist: Premier Abiy Ahmed geht die Arbeit nicht aus.

»Das ist eine kritische Situation, in der Hardliner ihre Muskeln spielen lassen könnten.«

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Foto: Reuters/Ghideon Musa Arona Umarmung der Entspannun­g: Äthiopiens Premier Abiy Ahmed im Vordergrun­d und Eritreas Präsident Isaias Afewerki

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