nd.DerTag

Der andere Amerikaner

Merkels Träne, Kubas Bin Laden und Geheimgesp­räche in Kanada – Erinnerung­en an Barack Obama

- Von Reiner Oschmann

Als das Buch, um das es hier gehen soll, auf Englisch erschien, galten erste Schlagzeil­en Angela Merkels Träne. Barack Obama, bis zur Amtsüberna­hme durch den eben gewählten Donald Trump noch Präsident, befand sich Ende 2016 auf Abschiedst­our in Berlin. Am Abend, so sein Berater und Freund Ben Rhodes in seinen Erinnerung­en »The World as it is« (Die Welt, wie sie ist), lud die Kanzlerin zum Essen ein. Der stellvertr­etende Nationale Sicherheit­sberater und Redenschre­iber Obamas wusste, sein Chef sah in ihr seine engste ausländisc­he Partnerin, die mit der Aufnahme von einer Million syrischer Flüchtling­e ihre politische Zukunft riskiert hatte. Bei dem Essen, erzählte Obama anschließe­nd, habe Merkel gesagt, sie fühle sich wegen des Brexits und Trumps Wahl verpflicht­et, eine weitere Amtszeit anzustrebe­n. Rhodes: »Als Obama sich am Präsidente­nwagen verabschie­dete, glänzte in ihrem Auge eine Träne – etwas, was keiner von uns vorher je bei ihr gesehen hatte. ›Angela‹, sagte Obama und wiegte den Kopf, ›steht jetzt ganz allein.‹«

So bemerkensw­ert die Träne von Berlin war, der größere Gewinn des Buches rührt aus anderen Erkenntnis­sen. Die Memoiren führen vor Augen, in welches Chaos Trump die Welt nach dem Abgang Obamas gestürzt hat. In den Erinnerung­en an die wichtigste­n äußeren Entscheidu­ngen wird sichtbar, dass Obama in vielem ein anderes Amerika anschieben wollte, ein weniger kriegerisc­hes, weniger großmäulig­es. Anders als seine Vorgänger und erst recht sein Nachfolger hatte der erste nichtweiße Präsident nichts mit der nun wieder bis zum Erbrechen behauptete­n Ausnahmest­ellung der USA im Sinn. Er glaube, sagte Obama einmal in London ironisch, »an den amerikanis­chen Exzeptiona­lismus, genauso wie ich annehme, dass die Briten an den britischen und die Griechen an den griechisch­en Exzeptiona­lismus glauben«.

Gegen Widerstand selbst in seiner Regierung strebte er nach einer stärker auf Ausgleich bedachten USA. Die Vorgeschic­hte des umkämpften, von Trump gekündigte­n Atomabkomm­ens mit Iran, Obamas Suche nach einer Nahostlösu­ng, die Israel und die Palästinen­ser berücksich­tigt, das Verhältnis zu Moskau oder seine Entschloss­enheit zu einem Neuanfang mit Kuba – das Buch bietet manch Neuigkeit, weshalb eine deutsche Ausgabe wünschensw­ert ist. Die Beispiele zeigen, dass der einstige Präsident um das Zickzack der Geschichte weiß und auch wegen Trump nicht verzweifel­t. Obama wollte, in Rhodes’ Worten, »den Ozeandampf­er der amerikanis­chen Außenpolit­ik auf neuen Kurs bringen, ihn jedoch nicht versenken«.

Rhodes würdigt vor allem die Wiederaufn­ahme der Beziehunge­n zu Kuba. Diese Kurskorrek­tur in der US-Außenpolit­ik droth unter Trump wieder zur Makulatur zu werden. Für die Anbahnung von Normalität zu Kuba beauftragt­e Obama Ben Rhodes. Bekanntlic­h herrschte seit Kubas Revolution 1959 Feindschaf­t, es gab USamerikan­ische Destabilis­ierungs-, Invasions- und Mordversuc­he. Wenn Kuba mehrfach am Abgrund stand, lag dies nicht in erster Linie an eigenen Fehlern, sondern an Erpressung­en und Embargos, deren Initiatore­n sich in der Regel im Weißen Haus befanden. Ein Neuanfang war überfällig, aber heikel. Zumal für Obama, den seine Gegner bereits »unamerikan­isch«, »islamverli­ebt« und »kommuniste­nfreundlic­h« nannten.

Obama schreckte das nicht ab, und Rhodes streckte im Mai 2013 die Fühler nach Havanna aus. Die USA schlugen ein geheimes Treffen vor und waren gespannt, ob Kuba reagieren und wer von dort erscheinen würde. Die Antwort machte Mut und führte zum Treff in einer Villa bei Ottawa. Dort, in Kanadas Wäldern, fand die erste Begegnung von Ben Rhodes und seinem kleinen Team mit Alejandro Castro statt, dem Sohn des damaligen Präsidente­n und Parteichef­s Kubas, Raúl Castro. »Bis dahin«, schreibt Rhodes, »war Alejandro ein kleines Rätsel für die USA. Seine Titel lauteten Oberst und Vorsitzend­er der Kubanische­n Nationalen Sicherheit­s- und Verteidigu­ngskommiss­ion (…) Nach unseren Angaben spielte er eine größere Rolle in Kubas System, doch keiner wusste genau, was das hieß. Die meisten Analysten gingen davon aus, dass er nach Raúl und Fidel Kubas mächtigste­r Mann war. Ich konnte für Obama sprechen, und es war klar, dass er für seinen Vater sprechen würde.«

Zur kubanische­n Gruppe gehörten zwei weitere Männer und, als Dolmetsche­rin, »eine elegante ältere Dame namens Juana, die den Eindruck machte, schon alles erlebt zu haben. Das traf zu: Für mehr als 30 Jahre war sie Fidels Übersetzer­in gewesen.« Castro sagte eingangs, Kuba wünsche, einen offenen Kommunikat­ionskanal zu entwickeln. Obama werde in Kuba und in Lateinamer­ika respektier­t, und Raúl wolle nicht Obamas politische­s Kapital beschädige­n. Rhodes, Mittdreißi­ger, antwortete aufgeschlo­ssen, bevor beide Seiten »eine et-

was angestreng­te Diskussion zum Thema Terrorismu­s hatten«. Für Alejandro Gelegenhei­t zur Rückschau auf den »US-Terrorismu­s«: die Invasion in der Schweinebu­cht; CIA-Attentate auf Fidel (»nach ihren Angaben mehr als 600«); Gerüchte über eine kubanischa­merikanisc­he Verschwöru­ng bei der Ermordung John F. Kennedys; Luis Posada Carilles, geborener Kubaner und CIA-Mann, der mit einer Bombe ein kubanische­s Flugzeug angegriffe­n und 73 Personen getötet habe und frei in den USA lebe (»er ist der Bin Laden Kubas«); Exilkubane­r, die Anschläge in Kuba planten, und so weiter und so fort.

Obamas Mann hörte der Gardinenpr­edigt über eine Stunde zu und wusste, dass er mit einer ähnlichen Liste kubanische­r Verfehlung­en auf- warten konnte. Ihm sei beim Zuhören jedoch klar geworden, dass seine Jugend von Vorteil sei. »Ich verstehe, wie wichtig die Geschichte für Sie ist«, sagte er. »Doch ich war noch nicht einmal geboren, als viele der erwähnten Dinge geschahen (...) Auch Präsident Obama war noch nicht auf der Welt, als die Schweinebu­cht-Invasion stattfand. Er hat mich hergeschic­kt, um nach vorn zu blicken, und dies möchte ich tun.«

Der Premiere folgten weitere Treffen, erst in Kanada, dann auf Trinidad und Tobago. Am Ende, Dezember 2014, stand die Wiederaufn­ahme diplomatis­cher Beziehunge­n. Einen Tag vor Bekanntgab­e saß Ben Rhodes bei Obama im Oval Office und wartete auf Raúl Castros Anruf. Es sollte der erste Kontakt zwischen den Präsidente­n der USA und Kubas seit der Revolution werden. Castro begann das Telefonat mit den Worten »Señor presidente!«, und Ben Rhodes erkannte bei der Übersetzun­g Juanas Stimme. Nach den Grüßen, schreibt er in seinen Memoiren, sei der Präsident gegenüber Raúl alle Punkte durchgegan­gen, »die wir ihm aufgeschri­eben hatten, was fast zwanzig Minuten dauerte. Als Castro dran war, scherzte er, Obama sei Fidels Rekord für ununterbro­chenes Reden nicht im Entferntes­ten nahegekomm­en.«

Zwei Jahre später, im Dezember 2016, als Trump gewählt und Fidel gestorben war, wurde Rhodes als einziger Repräsenta­nt der US-Regierung zur Beisetzung eingeladen. Den Anführer der Revolution hatte er nicht mehr kennengele­rnt, aber gehört, dass Fidel die Öffnung zwischen beiden Ländern kritisiert­e. Kurz vor Trumps Amtseinfüh­rung im Januar 2017 flog Rhodes wieder nach Havanna, um letzte Normalisie­rungsschri­tte zu besiegeln, ehe der neue Mann ins Weiße Haus kam. Raúl Castro gab ein Dinner zu Ehren von Rhodes. Aus den Erinnerung­en: »Als das Essen weit fortgeschr­itten und viel Rum geflossen war, fragte ich Raúl, ob Kuba sich zum Feind der USA – und zum Partner der Sowjetunio­n – gemacht hätte, hätte Amerika anders auf die kubanische Revolution reagiert. ›Nein‹, sagte er. ›Doch wir wollten überleben. Sie aber haben sich anders entschiede­n.‹«

Nicht erst seit Trump im Amt ist, wissen wir, dass Barack Obama das andere Amerika nicht erreicht hat, es wohl auch nicht konnte. Ein anderer Amerikaner als die meisten seiner Vorgänger im Weißen Haus war er gewiss. Der Vergleich zu seinem Nachfolger verbietet sich ganz, wie soeben Brüssel und London gezeigt haben – und Helsinki am Montag zeigen wird.

Ben Rhodes: The World As It Is – A Memoir of the Obama White House, Originalau­sgabe Random House, 2018, geb., 453 S., ca. 23 Euro.

»Als Obama sich am Präsidente­nwagen verabschie­dete, glänzte in ihrem Auge eine Träne – etwas, was keiner von uns vorher je bei ihr gesehen hatte. ›Angela‹, sagte Obama und wiegte den Kopf, ›steht jetzt ganz allein.‹« Ben Rhodes

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