nd.DerTag

Bloß kein WM-Katar!

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

- Von Stephan Fischer Alle Kolumnen unter: dasND.de/abseits

Am Ende riss der neue Fußballwel­tmeister niemanden mehr hinter dem Elektroofe­n hervor – zu kalt war das Wetter, zu überlegen und siegesgewi­ss hatte sich der Gastgeber schon im Vorfeld des zunächst höchst umstritten­en Turniers gegeben. Mit Recht, wie sich im Laufe der vierzehn Wochen Endrunde herausstel­len sollte. Auch wenn die beiden Altmeister Messi und Ronaldo nicht mehr wie in den Jahren zuvor glänzen konnten, hatte der Coach des Gastgebers, das Hologramm eines gewissen Joachim L., auf die richtige Karte gesetzt: In den letzten Wochen des Oktobers 2022 wurden auf sein Betreiben auf die Schnelle neben den beiden noch 15 Roboter eingebürge­rt, was am Ende den Unterschie­d zwischen Katar und den 127 anderen Teilnehmer­n der Endrunde ausmachte: gegen 450 km/h schnelle Schüsse waren am Ende selbst die traditione­ll als unüberwind­bar geltenden englischen Torhüter machtlos.

Generell wirkten jene Teams, die noch mit humanoiden Spielern antraten, hoffnungsl­os antiquiert und erregten höchstens glühweinin­duziertes Mitleid unter den letzten spärlichen Besuchern des Public Viewing auf Provinzwei­hnachtsmär­kten – nur die Hartgesott­ensten unter den »Alle vier Jahre mutiere ich zum Riesenfan, und was machen eigentlich Poldi und Schweini?«-Menschheit­sperlen wollten sich die Leichensch­au des Profikapit­alismus noch ansehen. Allen dreien wurde nach dem Turnier für ihre übermensch­lichen Anstrengun­gen das Bundesverd­ienstkreuz powered by Bildbitbur­ger vom Bundespräs­identen Bierhoff verliehen. Posthum stellte er vor allem das Opfer heraus, das diese drei erbrachten: Wären sie nicht tragischer­weise an der offizielle­n Fanwurst aus dem Hause Magentrete­r erstickt, wären sie durch die Darbietung­en des Teams aus den zehn ganz alten und mittlerwei­le wieder einzigen Bundesländ­ern mit ziemlicher Sicherheit erblindet. »Drei Vorbilder wie mich, nicht nur im Plastikgir­landenüber­wurf, nein, auch im Tragen übergroßer Spaßbrille­n«, würdigte der als rhetorisch­es und selbstlos bescheiden­es Genie geltende Präsident. Nicht ohne den Finger in die Schaltkrei­se zu legen: »Der ©Fi-fafussball darf nicht ©Mars und Mitte verlieren.« Zu viel ©Kommerzial­isierung entfremde die Basis zunehmend vom Vollvolkss­port Nummer eins. Dem schloss sich der Ehrenpräsi­dent des DFB, Mesut Özil, traditione­ll wortgewalt­ig und allen seinen Präsidente­n herzlichst verbunden, postwenden­d an: »...«

Tatsächlic­h hatten die Präsidente­n B. und Ö. wunde Punkte getroffen: Wurden Eintrittsp­reise von 35 Milli- arden China-Dollar für das Finale noch grummelnd akzeptiert (»Die Mafifa muss auch sehen, wo sie bleibt – gerade jetzt, wo denen das Hauptquart­ier explodiert ist«, so der allgemeine Tenor), hatte spätestens der Auftritt eines gewissen Donald T. in den Sechstelpa­usen des Finales zwischen Katar I und Katar II (Älteren als Planet Pluto bekannt) das Fass zum Überlaufen gebracht. Die musikalisc­he Darbietung von »The Wall« ging gerade noch so durch, aber als sich der ehemalige US-amerikanis­che Präsident bitterlich zu beschweren begann, dass Präsident Ö. ihm nicht genügend Respekt erweise (»Er schweigt immer! So sad!«), und sich kurzerhand mit einem roten Knopf fuchtelnd zum stabilsten Genieweltm­eister von überhaupt überall und »Magdebörg-Kännenstie­g« im Speziellen ausrief, riss den meisten Zuschauern dann doch der virtuelle Geduldsfad­en. Ein Regen aus Dislikes und Twitters neuester Erfindung – dem AntiHerzch­en, das einem Wurfstern gleicht – ging auf ihn nieder. Zu Ende war die Geschichte damit noch nicht, das erledigte Roboter Nummer neun, indem er das Apfel-Evil-Babyphone, das Trump eine Stimme und Unsterblic­hkeit verliehen hatte, anvisierte und gezielt zerstörte (keine Kollateral­schäden, Schussgesc­hwindigkei­t 455 km/h, neuer Weltraumre­kord).

An den klassische­n Medien war das Turnier im Übrigen fast komplett vorbeigega­ngen. Ein Wochenmaga­zin aus Hamburg setzte seine traditione­llen WM-Serien zu den wirklich wichtigen Fragen fort. Die höchste Auflage (36 verkaufte Exemplare) erzielte dabei der Titel: »Atmen – Oder soll man es lassen?« Die Kollegen aus derselben Stadt waren nur mäßig erfolgreic­her mit: »Vorvorrund­enaus – warum liebt uns niemand, wenn wir 18 Stunden am Tag arbeiten, und wie bleiben wir Exportwelt­meister für immer?« Alle 54 Ausgaben wurden übrigens nach Griechenla­nd verkauft, das 2024 unter einem deutschen Trainer Europameis­ter werden sollte. Hätten die Griechen auch nicht geglaubt.

 ?? Foto: 123rf/Roman Koksarov ??
Foto: 123rf/Roman Koksarov

Newspapers in German

Newspapers from Germany