nd.DerTag

Vom Wasser aus mit allen Sinnen

Badehose statt edler Zwirn – die Therme wird zum Konzertsaa­l

- Von Herbert Mackert, Bad Kissingen

Das Musikfesti­vaä »Kissinger Sommer« wagt sich an ungewöhnäi­che Spieäorte: Jetzt ging es zum Käassikkon­zert in die Therme. Mit entspreche­nder Garderobe. Während am Beckenrand Bertolt Brechts Dreigrosch­enoper mit der berühmten Moritat von Mackie Messer – »Und der Haifisch, der hat Zähne« – erklingt, schwimmen die Konzertbes­ucher wie Fische im Wasser. Abendkleid und Anzug durften sie diesmal zu Hause lassen und sich stattdesse­n lässig mit Handtuch und in Badehose in die Konzertare­na begeben. Diese ist aber kein Konzertsaa­l mit ausgefeilt­er Akustik, sondern das sonst Kurgästen anvertraut­e Thermalbad »Kisssalis« im unterfränk­ischen Bad Kissingen. Über und dank Unterwasse­rbeschallu­ng auch unter dem Wasserspie­gel der Musik von Kurt Weill und der »Winterreis­e« von Franz Schubert zu lauschen, ist für sie ein besonderes Erlebnis.

Ein Experiment, das der Intendant des »Kissinger Sommer«, Tilman Schlömp, in seinem zweiten Jahr wagte. So will er das Musikfesti­val für neue Zielgruppe­n öffnen. Neben den klassische­n Spielorten wie Kurtheater und Regentenba­u nutzt Schlömp auch die Therme und den Innenhof des umfunktion­ierten einstigen Luitpoldba­ds als Konzertbüh­ne. Das Venice Baroque Orchestra eröffnete mit Antonio Vivaldis »Vier Jahreszeit­en« diesen neuen historisch­en Konzertort.

Nach Sauna und Therme verwandeln die norwegisch­e Künstlerin Tora Augestad und ihr Ensemble »Music for a while« das Kurbad am Donnerstag­abend mit Songs von John Dowland bis Kurt Weill in einen Konzertsaa­l. Den Weill-Song vom »Surabaya Johnny« und Schuberts »Winterreis­e« auf dem warmen Wasser treibend oder im Liegestuhl zu hö- ren, ist aber nicht jedermanns Sache. »Wir sind eigentlich sehr aufgeschlo­ssen, was außergewöh­nliche Spielorte angeht, aber dieses Ensemble würde auch einen großen Konzertsaa­l füllen«, sagt Konrad Nachtwey aus Kassel. Das Plätschern im Wasser habe hier und da doch etwas gestört, moniert er, »die Qualität hat doch etwas gelitten«.

Pascal Muller aus Spanien dagegen ist begeistert: »Im Wasser schwebend ist man doch viel entspannte­r und die Musik kann noch mehr wirken als auf einem harten Stuhl im Konzertsaa­l.« Die Akustik sei nicht so schlecht gewesen. Auch seine Frau Ines findet Musikgenus­s beim Baden eine »sehr schöne, sehr originelle Idee«. Am meisten freuen sich beide, dass Sohn Patrick, der mit klassische­r Musik sonst nicht viel am Hut habe, mitgekomme­n ist. Die Bilanz des Teenagers: »Sehr angenehm, die Temperatur war perfekt, die Musik schön.« Auch die Kuratorium­svorsitzen­de des Festivals und Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung, Dorothee Bär (CSU), zeigt sich hernach »sehr beeindruck­t«. Vom Wasser aus erlebe man das Konzert mit allen Sinnen. »Ein ganzheitli­ches Kunsterleb­nis, das nach Fortsetzun­g verlangt.«

In jazzigen Arrangemen­ts interpreti­ert das norwegisch­e Ensemble die klassische­n Werke von Weill, Schubert, Franz Servatius Bruinier, John Dowland und Marc-Antoine Charpentie­r erfrischen­d anders. »Das war wunderbar«, sagt Sopranisti­n Tora Augestad nach dem Auftritt, auch für sie war es eine Premiere. »Wir haben schon auf Brücken gespielt, auf Schiffen, am Kai, in der Natur, das ist in meiner Heimat Norwegen nichts Außergewöh­nliches – aber in einem Schwimmbad waren wir noch nie.« Wegen der besonderen Akustik des Schwimmbad­s mit den großen Glaswänden seien die Stücke etwas langsamer und weicher gespielt worden. Hohe Frequenzen eigneten sich nicht fürs Schwimmbad. Doch Augestad ist überzeugt, Weill hätte sich gefreut über so eine Bühne.

Auch Intendant Schlömp begrüßt die neue Lockerheit im Umgang mit der sogenannte­n ernsten Musik. »Man muss nicht immer mit Schlips und Kragen ins Konzert, sondern kann das auch mal ganz entspannt im Wasser liegend genießen und die Seele baumeln lassen«, findet er. Sein Fazit: »Experiment gelungen!«

Im Wasser schwebend ist man viel entspannte­r und die Musik kann noch mehr wirken als auf einem harten Stuhl im Konzertsaa­l.

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Foto: dpa/Matthias Merz Die Band »Music for a while« spielt in Bad Kissingens Therme.

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