nd.DerTag

Zwölf Ermittler für ein ganzes Land

Die neuen irakischen Gesetze gegen häusliche Gewalt können ihren Zweck noch nicht erfüllen.

- Von Oliver Eberhardt

Knochenbrü­che, Hämatome, Brandwunde­n, tief und groß. Die Fotos aus der dicken Akte, durch die Raed al Adly blättert, sind drastisch. Seine Stimme zittert, während er spricht: »Auch nach drei Jahren bin ich noch nicht abgehärtet, um solche Bilder einfach aus meinem Kopf zu verbannen«, sagt der 48-Jährige. Er stellt die Unterlagen zurück in den großen Aktenschra­nk an der Wand. Al Adly ist Polizist bei der Kriminalpo­lizei Bagdad.

In einem Land, in dem Gewalt, Entführung­en und Bandenkrim­inalität an der Tagesordnu­ng sind, hat er die Aufgabe, in einem zwölfköpfi­gen Team gegen häusliche Gewalt vorzugehen. Zwölf Leute für ein gesamtes Land, in dem viel über den Terror von Islamisten und bewaffnete­n Banden auf offener Straße gesprochen wird, gleichzeit­ig aber wenig Bewusstsei­n für den alltäglich­en Terror herrscht, den vor allem Frauen zu Hause erleiden müssen.

Erst seit einigen Jahren wird in den islamisch geprägten Ländern der Region Gewalt in der Familie überhaupt thematisie­rt. Meist waren es Kampagnen von Frauenrech­tsorganisa­tionen und den Vereinten Nationen, die den Stein ins Rollen gebracht haben. Doch für al Adly gibt es auch eine andere Motivation. »Wir haben gehört, was vor einigen Jahren an Silvester in Köln passiert ist«, erzählt er. »Ich weiß nicht, ob die Täter Iraker waren, aber es hat auch dem letzten Politiker hier vor Augen ge- führt, dass es ein Problem gibt, das wir bekämpfen müssen.«

Doch es ist eine gigantisch­e Aufgabe. Einer Studie der Weltgesund­heitsorgan­isation zufolge haben 37 Prozent aller arabischen Frauen körperlich­e und/oder sexuelle Gewalt erlitten. Noch viel mehr sind Opfer psychische­r Gewalt geworden.

Besonders weit verbreitet ist Gewalt gegen Frauen im Gazastreif­en, in Saudi-Arabien und in jenen Gebieten, die bis vor Kurzem unter Kontrolle des »Islamische­n Staates« standen. Dort haben laut WHO bis zu 70 Prozent der Frauen bereits Gewalt erlitten.

Doch ob in Irak, Palästina, Jordanien, Ägypten, Tunesien oder anderswo: Außer auf der arabischen Halb- insel gibt es mittlerwei­le überall Gewaltschu­tzparagraf­en oder -verordnung­en. Neu eingericht­ete Polizeiein­heiten sollen sie durchsetze­n. »Nur scheitern solche Bemühungen daran, dass Leute wie wir nicht allmächtig sind«, sagt al Adly. Denn sehr oft wird die Polizei gar nicht erst informiert.

Jugendämte­r und Sozialarbe­iter gibt es selten. In Tunesien, Jordanien und Ägypten existieren Telefonhot­lines, deren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r aber meist am mangelnden Personal vor Ort scheitern. In Krankenhäu­sern wollen die Ärzte oft keinen Ärger. »Wenn da eine ganze Gruppe von männlichen Familienmi­tgliedern vor einem steht, dann überlegt man sich schon, ob man die Polizei informiert«, sagt ein Mitar- beiter des Roten Halbmondes, der zusammen mit nationalen Ärzteverei­nigungen an Konzepten arbeitet, Gewaltopfe­rn Zufluchtso­rte zu bieten.

Und wenn dann mal ein Täter verhaftet, gar vor Gericht gestellt wird, dann kommen der Frau oft auch familienre­chtliche Regelungen in die Quere: In vielen Ländern steht sie im Fall einer Trennung wirtschaft­lich vor dem Nichts. Sehr oft scheitern solche Strafverfa­hren aber auch an wenig verständni­svollen Richtern: »Unser Hauptprobl­em ist, dass diese archaische­n Vorstellun­gen von Ehre, Familie und Rollenvert­eilung zwischen Mann und Frau in vielen tief verankert sind«, sagt al Adly. »Auch Richter, Politiker und viele meiner Kollegen kommen aus dieser Tradition.«

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Foto: AFP/Atta Kenare franerinne­n feiern am 25. Juni im Azadi-Stadion in Teheran während des WM-Spieäs zwischen Portugaä und fran.
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Fotos: Reuters/Faisal Al Nasser, imago/Kyodo News fn Saudi-Arabien fand am internatio­naäen Frauentag ein Lauf durch die historisch­e Aätstadt von Dschidda statt (äinks). fn demLand wurde am 24. Juni das Fahrverbot für Frauen aufgehoben, sofort nutzen dies Autofahrer­innen in Riad.
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Fotos: Facebook/My Stealthy Freedom, AFP/Fethi Belaid Öffentäich­er Protest in Teheran gegen den iranischen Kopftuchzw­ang (äinks). Souad Abderrahim ist seit Anfang Juäi Bürgermeis­terin in Tunis. Erstmaäs bekäeidet eine Frau dieses Amt.
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