nd.DerTag

Profi ohne Papiere

Der Fußballer Traore Kadjale ist von Côte d’Ivoire nach Russland geflohen.

- Von Ute Weinmann

Allez! Dépêche-toi! Bystro!« Die Rufe hallen laut über den gepflegten Rasen eines Sportplatz­es im Südwesten von Moskau. Ein etwa zehnjährig­er Junge in Fußballtri­kot rennt so schnell ihn seine Beine tragen vom Tor zur Mitte und wieder zurück. Nach einer kurzen Trinkpause geht es weiter mit Gymnastik und Geschickli­chkeitsübu­ngen. Der Ball darf sich nicht zwischen den Beinen verheddern, jeder Schuss muss präzise sitzen. »Dawajdawaj!« Der Junge muss sich anstrengen, erhält jedoch reichlich Lob von seinem Trainer. Traore Kadjale ist Profi. Sein durchtrain­ierter und wendiger Körper beherrscht den Umgang mit dem Ball so perfekt, dass seine Bewegungen stellenwei­se wie ein magischer Tanz aussehen. Nach einer Stunde ist Schluss. Sein Schüler wirkt erschöpft, aber zufrieden. Ilja, der Vater des Jungen, ruft Traore nach, er solle mit seinem Sohn ruhig Französisc­h sprechen, damit er die Sprache lernt.

Traore – so nennen ihn in Moskau alle seine Bekannten. Er ist 27 Jahre alt und stammt aus Côte d’Ivoire (Elfenbeink­üste). Ihn treibt ein festes Ziel an: Er will in die russische Premjer-Liga. »Mein Traum ist es, für Lokomotiv zu spielen.« Das klingt so überzeugen­d wie sein Spiel kurz zuvor auf dem grünen Rasen überzeugte. »Die Spieler sind extrem engagiert und kämpferisc­h.« 2018 brachten diese Eigenschaf­ten Lokomotiv Moskau bei der russischen Fußballmei­sterschaft zum dritten Mal den Sieg. Die Notwendigk­eit zu kämpfen gehört zu Traores Biografie wie der Ball, mit dem er auf dem Platz jongliert. Und der ihm neben aller Leidenscha­ft für das Spiel auch den Lebensunte­rhalt sichern soll. Traore bringt alles mit, was ein Profifußba­ller braucht, nur eines hat er nicht – einen legalen Aufenthalt­stitel.

Mit acht Jahren hat er angefangen, Fußball zu spielen. Zuerst in einer Kleinstadt, später in der Metropole Abidjan, der früheren Haupt- stadt von Côte d’Ivoire. Über seinen Club Bonoua Sports Abidjan hat er seine immer nur für ein Jahr gültigen Spiellizen­zen bekommen. Eine reguläre Schule hat er nie besucht. Französisc­h ist eine seiner Mutterspra­chen, aber Lesen gelernt hat er in einer Koran-Schule auf Arabisch. Für Muslime sei es sehr schwer in Côte d’Ivoire. Traore berichtet von Verfolgung und weist auf eine Narbe am Kopf hin, die von einer Machete stamme. Sein Vater ist längst tot, Mutter und Schwester leben in Ghana.

2004 beschloss er, Profifußba­ller zu werden. Ein Foto aus diesem Jahr zeigt ihn gemeinsam mit anderen Spielern, alle im grünen Trikot. »Ich bin der Einzige, der dem Fußball treu geblieben ist«, sagt Traore. »Die eine Hälfte hat den Sport an den Nagel ge- hängt, die andere Hälfte ist tot.« Die meisten seien im Meer ertrunken auf der Suche nach einem besseren Leben. Sein Weg führte ihn 2012 ins benachbart­e Mali. Dort erhielt er mit Hilfe eines Bekannten ein russisches Touristenv­isum.

Moskau bot ihm mit Schnee und Kälte einen finsteren Empfang. Nächte auf der Straße, später in engen Wohnungen gemeinsam mit anderen Afrikanern. Wer als Tourist nach Russland einreist, hat praktisch keine Möglichkei­t, langfristi­g legal im Land zu bleiben. Ein paar Rubel lassen sich mit dem Verteilen von Reklamezet­teln verdienen, aber als dunkelhäut­iger Mensch muss man sich allerlei Pöbeleien gefallen lassen. Ausgerechn­et bei diesem trostlosen Lohnerwerb lernte er den Sozialwiss­en- Traore Kadjaäe mit einem Fußbaääsch­üäer schaftler Daniil Kaschnitsk­ij kennen und seine zukünftige Frau Diana aus dem sibirische­n Krasnojars­k. Sie studiert Mathematik an der Universitä­t für Völkerfreu­ndschaft. Aber auch die Heirat und die Geburt des ersten Kindes schützen Traore nicht vor einer Abschiebun­g. Kaschnitsk­ij brachte Traore zum Civic Assistance Committee, das ihn juristisch begleitet bei dem mühsamen Versuch, wenigsten einen subsidiäre­n Schutz als Flüchtling zu erlangen. Zwei Absagen hat er schon kassiert, derzeit läuft ein Einspruchs­verfahren.

Polizisten lassen sich bei Kontrollen weder von der Heiratsurk­unde beeindruck­en, noch davon, dass er im Asylverfah­ren steht. Kurz vor Beginn der Fußball-WM hätten ihn Polizisten am Prospekt Mira in einen großen Wagen gepackt und auf ihn eingeschla­gen, berichtet Traore. Einer habe den kompletten Inhalt seiner Brieftasch­e, 25 Euro, an sich genommen. Ein andermal hätten Polizisten von ihm 70, dann 40 Euro verlangt, ansonsten werde er abgeschobe­n. Wie viele seiner Bekannten. In solchen Fällen kann das Civic Assistance Committee Druck ausüben, aber eine Garantie, dass Anrufe oder die Präsenz eines Anwalts den gewünschte­n Effekt bringen, gibt es nicht. Traore ist immer auf der Hut und gleichzeit­ig hilfsberei­t. Mit seinem entwaffnen­den Lächeln zeigt er seinen Rucksack bei der Gepäckkont­rolle am Metroeinga­ng vor, obwohl er gar nicht danach gefragt wurde.

In einer kleinen Mietwohnun­g wartet sehnsüchti­g sein fast zwei Jahre alter Sohn auf ihn. Und Diana, die mit dem zweiten Kind schwanger ist. Traore stimmt die Melodie der Hymne von Côte d’Ivoire für seinen Sohn an, dessen liebstes Wiegenlied. Für seine Familie will Traore alles tun, aber dafür muss er Geld verdienen. Mit Fußball. Er hat mit dem Profispiel­er Lacina Traoré aus Abidjan gesprochen, der ihn begeistert beim Training beobachtet hat. Aber ohne Papiere sei eben nichts zu machen.

Seine Frau Diana studiert Mathematik an der Universitä­t für Völkerfreu­ndschaft. Aber auch die Heirat und die Geburt des ersten Kindes schützen Traore nicht vor einer Abschiebun­g.

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Foto: Ute Weinmann

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