Das Kleine fressen
Seit Kurzem sind Insekten in der EU als Nahrungsmittel zugelassen. Zukünftig sollen sie einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Ernährung übernehmen. Ein Selbstversuch
Montagabend. Entgegen sonstiger Gewohnheiten haben alle Freund*innen die Einladung zum Abendessen abgelehnt. Also winke ich fröhlich lächelnd mit zwei Paketen in die Küche meiner Berliner Wohngemeinschaft. »Na, wie mutig seid ihr?« Die Frage verstehen die Mitbewohner*innen erst beim Blick aufs Etikett. Neben einem mit frischen Zwiebeln, Tomaten und Salat verzierten knusprigen Burger steht in Großbuchstaben: »Deutschlands erster Insektenburger«. Skeptische Blicke und eine Gegenfrage: »Das willst du wirklich essen?«
Kurze Zeit später brutzeln die vier Burger in der Pfanne. Zwiebeln, Tomaten und Salat werden geschnitten, Ketchup, Senf und klassische Hamburgerbrötchen landen auf dem Tisch – fertig ist das Abendessen. Fast Food halt, aber von der hippen Sorte.
Während IKEA noch mit Mehlwürmern für Köttbullar experimentieren lässt, hat ein kleines Start-up aus Osnabrück bereits den Sprung in die Supermarktregale geschafft: Bugfoundation bietet seine Insektenburger über den Handelsriesen REWE an. Bisher gibt es in Deutschland nur wenige Köch*innen, die Insekten auf der Menükarte haben – geröstete Heuschrecken oder Salat mit ganzen Mehlwürmern. Der Insektenburger aus der Tiefkühltruhe hat ihnen gegenüber einen Vorteil: Es sind weder Beinchen noch Flügel zu sehen.
Wie jeder andere Burgerklops besteht er aus Masse. Dessen Inhalt ist erst seit dem 1. Januar diesen Jahres in der EU als Nahrungsmittel zugelassen: eine Mischung aus Sojaprotein und pro Burger rund 1000 gemahlenen Buffolowürmern, Larven des Getreideschimmelkäfers. Alphitobius Diaperinus gilt in der Getreidelagerung und in der Geflügelproduktion als Schädling. Er nistet sich im Streu ein und kann Krankheiten übertragen. Die Larven für den Burger, die klassischen Mehlwürmern ähneln, werden in den Niederlanden gezüchtet, artgerecht, wird auf der Packung geworben.
Doch was heißt das bei Würmern? Bisher gibt es hierfür keine Standards außer dem Tierschutzrecht. Insekten sind keine Einzelgänger, sie leben in großen Mengen auf engem Raum, folglich heißt artgerecht: Massentierhaltung. Zudem vermehren sie sich schnell und leben – anders als Hühner oder Schweine – meistens auch in natürlicher Umgebung nur kurz. Die Gründer von Bugfoundation schreiben: »Wie der Großteil aller Insekten fühlen sich Buffalowürmer wohl in der Masse und leben gerne enger zusammen mit ihren Artgenossen.« Verzichtet werde zudem auf Antibiotika.
Getötet werden Insekten meist, indem sie bei Minus 18 Grad tiefgefroren werden. Wolfgang Reiter und Hanni Rützler schreiben im Fleischatlas 2018: Man wisse nicht viel darüber, ob und wie schmerzempfindlich Insekten sind. Doch die übliche Tötung komme dem »natürlichen Schicksal« der Kaltblüter, die bei geringen Temperaturen in einen »Winterschlaf« fallen, sehr nahe. Sie empfehlen zusätzlich, auf genügend Zugang zu Futter, Wasser und Freiraum zu achten. Das Werbevideo des Herstellers zeigt Lagerhallen mit großen Boxen, in denen sich Buffolowürmer über- und untereinander wuselig durcheinander bewegen.
Ob Insekten schmerzempfindlich sind, ist umstritten. Sind sie verletzt, laufen sie meist einfach weiter, anzusehen ist ihnen der Schmerz nicht. Forscher*innen gehen deshalb davon aus, dass Insekten sich wegen ihrer einfachen Hirnstruktur keines Schmerzes bewusst werden. Doch das hat man auch lange von Fischen geglaubt, heute ist klar: Sie sind intelligente Wesen und haben eine hohe Sozialkompetenz.
Tierrechtler sprechen deshalb von »Verharmlosung«. Zudem kritisieren sie, dass bei der Massenzucht von Insekten nicht offengelegt werde, wie viele Tiere vor ihrer Verwendung sterben. So begünstige Massenhaltung etwa den Kannibalismus unter den Tieren. Und grundsätzlich gelte: Jedes Tier sei als Individuum anzusehen, keines dürfe seiner Freiheit beraubt, gequält und getötet werden.
Am Abendbrottisch ist Tierethik kein Thema, aber es kommt eine Diskussion auf, was wohl passieren würde, wenn Lagerhallen voller Heuschrecken befreit würden. Bevor die Szenarien durchgespielt sind, sind die Burger fertig gebraten. »Riecht lecker«, sagt der Mitbewohner und sieht noch immer so aus, als würde er am liebsten im Zimmer verschwinden.
Aus der Pfanne riecht es tatsächlich gut, würzig und leicht nussig. Und sieht appetitlich aus, außen knusprig braun und innen fest. Los geht‘s. Erwartungsvolle Blicke. Der erste Biss. Die Erwartung weicht leichtem Ekel. »Schmeckt‘s?« Der Burger ist trockener als erwartet, eher wie ein Getreideburger, etwas krümelig und sehr würzig. Nach dem ersten Biss bleibt ein rauchiger Geschmack zurück. Der Rest am Tisch beißt beherzt zu.
»Ich darf nicht daran denken, was es ist, dann geht es«, sagt die Mitbewohnerin. Und: »Dann schmeckt er eigentlich gut.« Ihr steht ins Gesicht geschrieben, dass sie krampfhaft versucht, nicht das Wort »Wurm« in ihrem Kopf zu formulieren. »Ist alles nur Kopfsache«, sagt der Mitbewohner. »In anderen Ländern essen die Leute auch Insekten.«
Tatsächlich gehören Insekten in vielen Ländern zum Speiseplan. Auch hierzulande wurden einige Insekten – etwa Maikäfer – früher gegessen. Heute jedoch überwiegt der Ekel oder bestenfalls eine Neugierde auf Exotisches. Forschungen gehen aber davon aus, dass Insekten auch in Europa wieder fester Bestandteil der Ernährung werden müssen. 2008 hat die UN-Ernährungsorganisation FAO auf einer Konferenz in Thailand erstmals thematisiert, welche Bedeutung sie für die Welternährung haben könnten. Seitdem gibt die FAO Studien heraus, die alle zu dem Schluss kommen: Wo noch keine Kultur der Entomophagie, also der Nutzung von Insekten als Nahrungsmittel, existiert, muss sie geschaffen werden.
Alle Menschen sollen mehr Insekten essen, denn so kann die Welt besser mit tierischem Eiweiß versorgt werden als mit den Proteinen von Rindern, Schweinen oder Geflügel. Und das mit gutem Gewissen, denn die Ökobilanz kann sich etwa gegenüber der Produktion von Rindfleisch sehen lassen. So benötigen Rinder laut Zahlen aus dem Fleischatlas 2018 vom Bund für Umwelt und Naturschutz und der Heinrich-Böll-Stiftung rund acht Kilogramm Futter, um ein Kilogramm Fleisch herzustellen, Insekten dagegen nur durchschnittlich zwei Kilo. Angesichts des Flächenmangels und der immensen Kosten, die mit Futtermittelimporten verbunden sind, ein Pluspunkt. Zudem liegen die Treibhausgasemissionen um das Hundertfache niedriger, der Wasserverbrauch ist sogar um ein Tausendfaches geringer. Platz brauchen die Krabbler auch nicht. Das Fazit: Insekten sind eine brillante Alternative zu Fleisch.
Allerdings würden die Menschen in Europa auch nicht unter Proteinmangel leiden, wenn sie schicht weniger Fleisch essen würden. Wäre auch gut für die Ökobilanz, ist aber weniger attraktiv als neue, hippe Gerichte. Auch Bugfoundation stellt die Alternative zum Fleischkonsum in den Mittelpunkt seiner Werbung. Mit Verzicht lässt sich kein Geld verdienen.
Dabei ist das Problem der Welternährung eine Frage der Verteilung. Entscheidend bleibt der Zugang zu Land, Tieren und Technik. Zwar versucht die FAO die Vorteile einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft hervorzuheben, da die Tiere außerhalb von Europa eher wild gesammelt werden. Zudem sollen kleinere Zuchtfarmen den Ertrag verbessern und so gesichertes Einkommen schaffen. Doch wenn zukünftig Großkonzerne Wurmpulver herstel- len, geschieht das mit allen negativen Folgen, die jetzt auch die Nahrungsmittelindustrie kennzeichnen. So könnten deren Exporte ebenso die heimischen Märkte zerstören wie heute Hühnchen oder Milchpulver. Auch Patente auf einzelne Züchtungen, könnten Kleinbauern das Leben schwer machen.
Schon jetzt hat die globale Landwirtschaft auch auf diesen Markt negative Auswirkungen. In Kambodscha, wo der Verzehr von Vogelspinnen – in Knoblauch und Salz geröstet – an der Tagesordnung ist, geht die Angst vor Preiserhöhungen um. Mit den Wäldern, die aktuell den Plantagen von von Cashewkernen für den steigenden Export zum Opfer fallen, verschwinden die haarigen Krabbeltiere. Die Folge: Ein Stück Tarantula kostet bereits einen USDollar, damit hat sich der Preis in einer Dekade verzehnfacht.
Die Geschichte mit den Vogelspinnen kommt am WG-Abendbrottisch nicht so gut an, da ist der Gruselfaktor doch zu hoch. Doch beim Burger sind sich alle einig: Kann man essen. Oder wie es der Mitbewohner auf den Punkt bring: »Ist halt Biomasse.« Stark gewürzt und eher geeignet, Akzeptanz für ein neues Nahrungsmittel als für geschmacklichen Hochgenuss zu schaffen.