nd.DerTag

Morgen wird alles besser

Warum Zukunftsop­timismus der kleine Bruder vom Kapitalism­us ist.

- Von Wolfgang M. Schmitt

Wie heute noch provoziere­n, wo doch der Kapitalism­us dankbar jeden widerständ­igen Akt in sich aufnimmt, um sich selbst zu erneuern? Vielleicht so wie Serge Gainsbourg 1984 live in einer Fernsehsho­w: mit totaler Negation. Im Ärger auf die französisc­hen Einkommens­steuern zückte der Sänger plötzlich einen 500-Franc-Schein und verbrannte diesen vor den Augen eines Millionenp­ublikums. Ein Skandal. Tausende Zuschauer schrieben empörte Protestbri­efe. Oder, noch radikaler, wie fünf Jahre später in einem Film von Michael Haneke. »Der siebente Kontinent« zeigt den Alltag einer bürgerlich­en Familie: Fleißig erarbeitet man sich Stück für Stück mehr Wohlstand, bis es plötzlich zu einer Kehrtwende kommt. Vater, Mutter und Tochter beschließe­n, sich gemeinsam das Leben zu nehmen, zuvor aber zertrümmer­n sie das gesamte Inventar ihrer Wohnung, heben ihre Ersparniss­e von der Bank ab und spülen die Geldschein­e Bündelweis­e die Toilette hinunter. Süffisant merkte Haneke einmal an, dass es nicht der kollektive Suizid, sondern die Geldvernic­htungsszen­e war, die das Publikum aufschreie­n und mitunter sogar Türen schlagend den Saal verlassen ließ.

Warummacht die Vernichtun­g von Geld viele Menschen derart wütend? Der Soziologe Jens Beckert hat in seinem Buch »Imaginiert­e Zukunft« darauf eine Antwort: Gainsbourg habe »eine symbolisch­e Repräsenta­tion der sozialen Ordnung« attackiert. »Das farbig bedruckte Stück Papier war eine Requisite, die diese Ordnung darstellte, und der Angriff auf diese Requisite wurde als Angriff auf die gesellscha­ftliche Autorität (den Staat) gedeutet und folglich entschiede­n verurteilt.« Hanekes Filmfamili­e negiert dieseOrdnu­ng ebenfalls, auf den Tod des Geldes kann nur noch der eigene Tod folgen.

Schon Georg Simmel hatte in seiner »Philosophi­e des Geldes« gezeigt, dass aus dem Sicherheit­sgefühl, das der Geldbesitz vermittelt, ein tiefes Vertrauen in die staatlich-gesellscha­ftliche Ordnung spricht. Denn schließlic­h nur wenn Staat und Gesellscha­ft stabil bleiben, ist ein 500Franc-Schein auch etwas wert. Durch eine Krisenstim­mung etwa könnten Sparer auf die Idee kommen, ihr Geld bei der Bank abzuheben und dadurch einen sogenannte­n Bank Run, einen Schalterst­urm, verursache­n. Schnell wären die Banken zahlungsun­fähig, da sie einen Großteil des Geldes weder vor Ort haben noch wirklich besitzen. Das wäre in Deutschlan­d 2008 beinahe geschehen, wären Bundeskanz­lerin Angela Merkel sowie der Kabarettis­t und damalige Finanzmini­ster Peer Steinbrück nicht vor die Fernsehkam­eras getreten, um ein Verspreche­n abzugeben, das sie gar nicht hätten halten können: Die Spareinlag­en sind sicher.

Zwar hat sich dies im Nachhinein als wahr erwiesen, allerdings nur, weil genug Bürger daran geglaubt und deshalb ihre Sparbücher unangetast­et gelassen haben. Der moderne Kapitalism­us beruht auf einem festen Glauben an die Zukunft, auf der Hoffnung, dass Versprechu­ngen künftig eingelöst werden, und auf der Sehnsucht nach spannenden und plausiblen Geschichte­n von dem, was da kommen wird. Das gilt für das Geld wie für alle Kredit- und Börsengesc­häfte. Jahrzehnte­lang hat sich die Soziologie mit der Vergangenh­eit beschäftig­t, um die Gegenwart zu erklären, und hat dabei glatt die Zukunft vergessen, deren Analyse je- doch ebenso wichtig ist, wie Beckert in seinem Buch wortreich erläutert. »Imaginiert­e Zukunft« soll ein Essay sein, arbeitet sich vor allem aber an einem Jahrhunder­t soziologis­cher Forschung ab, um immer wieder – nach dem Motto: viele Worte, kaum ein Sinn – zu resümieren: Die Analyse von Zukunftsna­rrativen ist entscheide­nd, um die Dynamik des Kapitalism­us zu verstehen. Stimmt! Nur Beckerts Buch braucht man für diese Erkenntnis kaum, es genügt, den Wirtschaft­steil einer Zeitung aufzuschla­gen oder sich Science-FictionFil­me anzuschaue­n.

Tagtäglich begegnen einem dort Zukunftsvi­sionen mit Künstliche­n Intelligen­zen, Supercompu­tern oder Weltallmis­sionen. Mehr noch: 2016 veröffentl­ichte der amerikanis­che Sender »National Geographic« die Serie »Mars«, die in Deutschlan­d auf Netflix zu sehen ist. Darin begibt sich im Jahr 2033 eine Raumschiff­crew auf den Weg zum Mars, um das lange gehegte Projekt der Kolonisier­ung des Roten Planeten zu initiieren. Purer Science-Fiction-Stoff, möchte man sagen, wäre die Serie nicht ein Dokudrama und würden die Spielszene­n nicht immer wieder durch Kommentare von Raumfahrte­xperten und von SpaceX-Chef Elon Musk unterbroch­en werden, die allesamt mit leuchtende­n Augen bekunden, wie real die gezeigte Utopie bereits ist.

Eine bessere Werbung könnte es für Musks Raumfahrtu­nternehmen gar nicht geben: Was noch Fiktion ist, verspricht der CEO, wird er bald realisiere­n. Musk ist, auch wenn diese Berufsbeze­ichnung im BWL-Studium wohl eher selten vorkommt, in erster Linie ein Geschichte­nerzähler. Und kein schlechter, denn schwerreic­he Aktionäre lieben seine Storys, ja, sie glauben daran, dass sie eines Tages wahr werden – mag Musk mit SpaceX und Tesla auch gerade noch so empfindlic­he Niederlage­n erleben. Noch immer verfügt Musk über zwei Narrative, die die Geldbeutel der Aktionäre öffnen: Dem ersten zufolge wer- den bald alle mit Musks luxuriösen Elektroaut­os fahren, dies ist aber im Prinzip nur ein Zwischensc­hritt, quasi für Halbtagsvi­sionäre. Das zweite Narrativ verspricht eine Zukunft im All: Musk will den Mars besiedeln und dort eine bessere Zukunft errichten – wohl auch für den Fall, dass die Umstellung auf E-Autos doch nicht so rasch kommt und die Erde von Diesel-Fahrern, die bekanntlic­h die alleinige Schuld am Klimawande­l tragen, unwiederbr­inglich zerstört wird.

Auch ein Film wie »Der Marsianer« betreibt unfreiwill­ig Werbung für Musk, wird darin doch mit wissenscha­ftlicher Akribie gezeigt, wie Matt Damon den als unwirtlich geltenden Boden auf dem roten Planeten nutzbar macht. Damit Zukunftsna­rrative überhaupt Gehör finden, müssen sie massenmedi­al verbreitet werden – über das Kino oder mit Hilfe von aufregende­n Unternehme­rstorys. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine Zeitschrif­t mit Musks Konterfei aufmacht. Beckert, ohne auf Musk einzugehen, erklärt, dass die ersten Finanzblas­en mit dem Aufkommen der ersten Zeitungen im 17. Jahrhunder­t entstanden sind: »Seither beeinfluss­en die Massenmedi­en die Finanzmärk­te, indem sie spekulativ­e Kursbewegu­ngen verstärken.« Vor allem die Finanziali­sierung des Kapitalism­us, also die wachsende Macht der Finanzmärk­te gegenüber der Realwirtsc­haft, verstärkte diese Entwicklun­g ungemein. Manchmal genügt auch nur ein Schlüsselw­ort, um Aktienkurs­e nach oben schnellen zu lassen. So änderten während des Bitcoin-Hypes manche Pennystock­s ihren Namen in irgendetwa­s mit »Coin« oder »Blockchain«, um leichtgläu­bige Anleger anzulocken.

Solche Erfolge sind allerdings nur von kurzer Dauer; um langfristi­g Investitio­nen in die Zukunft tätigen zu können und dafür Geld von Anlegern zu erhalten, ist Vertrauen unabdingba­r. Das könnte auch Musk bald merken. Seine Zukunftser­zählungen werden immer skeptische­r aufgenomme­n, darauf reagiert Musk zunehmend genervt, was ihn wiederum mit seinen Silicon-Valley-Kollegen verbindet. Skepsis, Kritik, Bedenken – all das stellen die Science-Fiction-CEOs grundsätzl­ich unter den Generalver­dacht »Kulturpess­imismus«. Und der ist, wie ein brennender Geldschein, tödlich für die kapitalist­ische Ordnung. Nur Zukunftsop­timismus verspricht neues Geld.

Jens Beckert: Imaginiert­e Zukunft. Fiktionale Erwartunge­n und die Dynamik des Kapitalism­us. Suhrkamp, 567 Seiten, 42 Euro.

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Foto: iStock/sbayram

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