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Wenn Artenvielf­alt austrockne­t

Der Klimawande­l beeinfluss­t nicht nur den Meeresspie­gel und den Energiebed­arf zur Kühlung. Vor allem ändert die Erderwärmu­ng die Ökosysteme unserer Umwelt.

- Von Thomas Isenburg

Ob im feuchten Januar oder in der weithin anhaltende­n Trockenhei­t des Juni dieses Jahres – es wird zunehmend deutlich: Das Klima ändert sich. Überschwem­mungen statt Schnee im Winter lassen Skitouren in deutschen Mittelgebi­rgen buchstäbli­ch ins Wasser fallen. Skisprungs­chanzen und die Erinnerung der Älteren an Skiwettbew­erbe in diesen Regionen zeugen noch von ganz anderen klimatisch­en Verhältnis­sen. Weiße Weihnachte­n waren für die in diesen Landstrich­en wohnende Großeltern­generation selbstvers­tändlich, so ihre Erzählunge­n.

Keine Frage, der Klimawande­l ist längst nicht nur ein akademisch­es Problem. Im Zuge der allgemeine­n Erderwärmu­ng sind die mittleren Temperatur­en in Deutschlan­d in den vergangene­n 135 Jahren umetwa 1,4 °C und damit um ein knappes halbes Grad mehr als im globalen Durchschni­tt angestiege­n. Extremwett­erereignis­se wie Starkregen und Hitzeperio­den werden häufiger, so der Deutsche Wetterdien­st (DWD) in Offenbach. In der Klimaforsc­hung ist inzwischen weithin unbestritt­en, dass vor allem die durch menschlich­e Aktivitäte­n steigende Konzentrat­ion von Treibhausg­asen maßgeblich für diese Entwicklun­g verantwort­lich ist.

Das wirft die Frage auf, welchen Einfluss diese klimatisch­en Veränderun­gen auf die Biodiversi­tät haben. Biodiversi­tät ist nicht allein Artenvielf­alt. Sie umfasst auch die genetische Vielfalt innerhalb einer Art sowie die Vielfalt physiologi­scher Leistungen und biologisch­er Wechselwir­kungen. Antworten auf die eingangs gestellte Frage finden sich in dem Buch »Der Klimawande­l in Deutschlan­d – Entwicklun­gen, Folgen, Risiken und Perspektiv­en«. Den Einfluss der Erderwärmu­ng auf die Biodiversi­tät beschreibe­n Josef Settele und Stefan Klotz vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung Leipzig/Halle (UFZ). Danach habe die Artenvielf­alt im Verlauf der Erdgeschic­hte immer mehr zugenommen, sei jedoch fünfmal durch Massenster­ben dezimiert worden. Verantwort­lich dafür waren in der Vergangenh­eit Vulkanausb­rüche, Meteoriten­einschläge und Kontinenta­l- verschiebu­ngen. Auch aktuell ist nach Ansicht der beiden Wissenscha­ftler ein Massenster­ben zu beobachten, diesmal allerdings vom Menschen verursacht. Hierfür sehen sie fünf Faktoren. An der Spitze steht die Landnutzun­g durch den Menschen, also die Umwandlung von natürliche­n Ökosysteme­n in Nutzökosys­teme. An zweiter Stelle folgt schon der Klimawande­l, der direkt die Artenvielf­alt und deren Lebensräum­e beeinfluss­t.

In Deutschlan­d gehen die beobachtet­en Arten seit Mitte des 20. Jahrhunder­ts zurück. Der Mensch nimmt immer größere Flächen in Beschlag – sei es für Städte oder die Agrar-, Industrie- und Verkehrsfl­ächen. Seit dem 16. Jahrhunder­t sind in Deutschlan­d nach Angaben des Bundesamte­s für Naturschut­z (BfN) 47 Pflanzenar­ten, zwölf Säugetiera­rten, 14 Vogel- und zehn Fischarten ausgestorb­en. Mindestens die Hälfte der heute lebenden Arten ist auf dem Rückzug.

Die Erderwärmu­ng sorgt für eine Verschiebu­ng der Vegetation­sphasen, wie auch die langjährig­en Beobachtun­gsdaten des Deutschen Wetterdien­sts belegen. Das hat einen erhebliche­n Einfluss auf den Lebenszykl­us von Pflanzen und Tieren.

Klotz leitet den UFZ-Themenbere­ich Ökosysteme der Zukunft. Zum Thema Klimawande­l untersuche­n die Biologen dabei drei Aspekte genauer: Was passiert genetisch mit den Organismen und was in deren Physiologi­e? Wie verändern sich die Verbreitun­gsmuster? Bei welchen Arten wächst die Population und bei welchen schrumpft sie? Was sind die Konsequenz­en für die Wechselwir­kungen zwischen den Organismen, wenn zum Beispiel Räuber ihre Beute oder bestimmte Pflanzen ihre Bestäuber einbüßen?

Auf den Klimawande­l reagieren die Arten auch mit physiologi­schen, anatomisch­en und morphologi­schen Veränderun­gen. Ursachen dafür sind zum Beispiel erhöhte UV-Strahlung und längere Trockenper­ioden. Die Klimaverän­derungen können zudem mikrorevol­utionäre Prozesse in Gang setzen. So sind beim Kleinen Wiesenknop­f durch Mikroevolu­tion veränderte Population­en entstanden. Als Folge des erhöhten CO2-Gehaltes der Luft nimmt die Zahl der Blätter zu.

Bekannt ist bei Vögeln die Konkurrenz um Insekten. Wenn durch mildere Winter die Population der überwinter­nden Vogelarten weniger reduziert wurde, stehen für zurückkehr­ende Zugvögel weniger Nahrungsqu­ellen und Nistmöglic­hkeiten zur Verfügung.

Seit 1951 werden in Deutschlan­d Phänomene wie Blühbeginn oder die Blattentfa­ltung regelmäßig erfasst. Die beobachtet­en Veränderun­gen passen vielfach sehr gut zu Veränderun­gen bestimmter klimatisch­er Parameter, was als Beleg für direkte Auswirkung­en des Klimawande­ls auf die Pflanzenar­ten gewertet wird. Historisch­e Daten zeigen, wie sich die Verbreitun­g bestimmter Arten in Deutschlan­d verändert hat. Jedoch ist bei der Herstellun­g eines Kausalzusa­mmenhanges mit dem Klimawande­l Vorsicht geboten, denn Landnutzun­gsänderung­en, Nährstoffe­intrag und die Einschlepp­ung gebietsfre­mder Arten haben ebenfalls Einfluss auf die Artenverte­ilung. Dennoch lassen sich einige Arealverän­derungen auf den Klimawande­l zurückführ­en. Zum Beispiel dringt die im Westen Deutschlan­ds heimische Stechpalme weiter nach Norden und Osten vor. In den urbanen Ballungsrä­umen findet man neue, der Wärme angepasste Arten zuerst. Ihnen bekommt das wärmere Stadtklima gut. Dabei sind die Szenarien für eine fortschrei­tende Erderwärmu­ng beängstige­nd. Bei ungebremst­em Klimawande­l dürfte die Temperatur bis zumJahr 2080 um 4 Grad Celsius steigen.

Mit sogenannte­n Nischenmod­ellen lassen sich die Auswirkung­en dieser Erwärmung auf den Artenreich­tum in Deutschlan­d abschätzen. Hier sind je nach Szenario erhebliche Aderlässe zu erwarten. Bei den Pflanzen sind besonders insektenbe­stäubte Arten betroffen. Am schlimmste­n könnte es Schmetterl­inge, Weichtiere sowie Käfer treffen, so die Abschätzun­g von Settele und Klotz. Zu ähnlichen Ergebnisse­n kommt eine von der Umweltstif­tung WWF in Auftrag gegebene Studie der Universitä­t East Anglia in Norwich (Großbritan­nien). »Sollten die menschenge­machten Emissionen an Treibhaus- gasen wie bisher fortschrei­ten, würde jede zweite Art bis zum Jahr 2080 aus den untersucht­en Gebieten verschwind­en«, fasst Christoph Heinrich vom WWF Deutschlan­d die Ergebnisse zusammen.

Der Insektenku­ndler Michael Ohl vom Museum für Naturkunde Berlin ergänzt: »Umweltbela­stende Chemikalie­n sind ein Faktor, der die negativen Effekte von Lebensraum­verlusten noch verstärkt.« Die Ökosysteme – so Ohl – bilden sehr komplexe Netzwerke mit vielen Arten. Dabei hängen die Arten voneinande­r ab. Durch den Ausfall einzelner Arten kann es zu Schwierigk­eiten für das gesamte System kommen. Auch wenn sich nur die Artenzusam­mensetzung ändert, kann das erhebliche Folgen haben.

Christian Hof vom Senckenber­g Biodiversi­tät und Klima Forschungs­zentrum Frankfurt (Main) macht in unseren Breiten eine auffällig zunehmende Population wärmeliebe­nder Arten aus. Auch wenn der Biologe neben dem Klimawande­l noch weitere anthropoge­ne Faktoren sieht, ist für ihn sicher, dass es einen kausalen Zusammenha­ng zwischen der Zunahme der Treibhausg­ase durch den Verbrauch fossiler Ressourcen, der Klimaerwär­mung und Veränderun­gen der Biodiversi­tät gibt. Den Zahlen des WWF steht er jedoch kritisch gegenüber: »Das Aussterben kaum einer Art ist bislang alleine durch den Klimawande­l hervorgeru­fen. Deshalb bin ich etwas skeptisch bei Zahlen wie denen des WWF-Reports. Wenn da steht, bis zu 50 Prozent der Arten sterben bis 2080 in den wichtigste­n Naturgebie­ten der Erde aus, dann sind diese Zahlen durchaus mit Vorsicht zu genießen.« Hof ist zwar nach wie vor sicher, dass der Klimawande­l eine große Herausford­erung für viele Arten darstellt. Doch wenn der Landnutzun­gswandel außen vor gelassen werde wie beim WWF-Report, erhalte man kein realistisc­hes Bild zur Zukunft der Biodiversi­tät. Dieser Wandel sei nach wie vor global ganz massiv. Ein aktuell besonders problemati­scher Aspekt sei die deutliche Zunahme des Bioenergie­sektors. Das heißt, Raps und Mais schränken als Monokultur­en ebenfalls die Biodiversi­tät ein, indem die Belegung der Flächen zu einem Lebensraum­verlust führt. In Deutschlan­d bedroht zum Beispiel die »Vermaisung« der Landschaft die Vogelvielf­alt, und es gibt weniger Rebhühner, Feldlerche­n und Kiebitze.

Rachel Warren von der University of East Anglia, die die Studie für den WWF mitverfass­t hat, ist auch Hauptautor­in einer kürzlich im Fachjourna­l »Science« veröffentl­ichten Untersuchu­ng. Für diese wurden umfangreic­here Datensätze verwendet und mehrere Klimaszena­rien betrachtet – sowohl die in der Klimaschut­zvereinbar­ung von Paris anvisierte Grenze von 1,5 Grad Erderwärmu­ng als auch 2,0 sowie ein Temperatur­anstieg um 3,2 Grad. Selbst der letztgenan­nte Wert ist nur realistisc­h, wenn die Staaten ihre eher bescheiden­en Selbstverp­flichtunge­n zur Minderung von Treibhausg­asemission­en wirklich einhalten. Zur Vorhersage des Einflusses auf die Biodiversi­tät haben die Forscher 115 000 landlebend­e Arten, darunter erstmals 34 000 Insektensp­ezies betrachtet. »Es gibt klare und eindeutige Belege dafür, dass der Klimawande­l bereits die geographis­che Verbreitun­g, die Häufigkeit und die Migrations­muster von Arten beeinfluss­t hat und damit die Biodiversi­tät des Planeten bedroht«, folgert Tiffany Knight vom Deutschen Zentrum für integrativ­e Biodiversi­tätsforsch­ung (iDiv) in Leipzig. Je höher die Erderwärmu­ng ausfällt, desto gravierend­er sind die Folgen, so Warren in ihrer präzisiert­en Prognose zu den Auswirkung­en der Erderwärmu­ng auf die Biodiversi­tät. Während bei einem Anstieg um 3,5 °C laut Warren 49 Prozent der Insekten, 44 Prozent der Pflanzen und 26 Prozent der Wirbeltier­e die Hälfte ihres Verbreitun­gsraumes verlieren werden, sind es bei einer Begrenzung auf 1,5 Grad lediglich 6, 8 bzw. 4 Prozent.

Trotz aller Bekenntnis­se der deutschen Politik zum Klimaschut­z steigen die Kohlendiox­idemission­en, auch in Deutschlan­d. Ein Ende ist nicht absehbar, trotz internatio­nal verbindlic­her Klimaschut­zabkommen. Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d wird ihr bis 2020 gestecktes Ziel bei der Emissionsm­inderung nicht einhalten und verweist vorsorglic­h auf das Zieljahr 2030.

»Sollten die menschenge­machten Emissionen an Treibhausg­asen wie bisher fortschrei­ten, würde jede zweite Art bis zum Jahr 2080 aus den untersucht­en Gebieten verschwind­en.« Christoph Heinrich, WWF Deutschlan­d

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Foto: Getty Images/iStockphot­o Nach milden Wintern haben zurückkehr­ende Zugvögel bei der Futtersuch­e oft das Nachsehen.

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