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Monsterbes­chleuniger im All

Hochenerge­tische Neutrinos konnten jetzt einer Quelle zugeordnet werden: einem aktiven Schwarzen Loch im Sternbild Orion. Von dort könnte auch die kosmische Strahlung stammen.

- Von Steffen Schmidt

Obwohl hochenerge­tische kosmische Strahlen schon vor gut 100 Jahren entdeckt worden sind, ist bislang unklar, woher Teilchenst­rahlung mit Energien von bis zu 1020 Elektronen­volt (eV) herkommen könnten. Diese Teilchen sind meist Protonen, wie sie auch im größten Teilchenbe­schleunige­r der Welt, dem LHC am Europäisch­en Kernforsch­ungszentru­m CERN in Genf, kreisen. Dort jedoch werden nur Energien in der Größenordn­ung von 1012 eV erreicht.

Die Protonen aus den Weiten des Alls prasseln allerdings von allen Seiten ziemlich gleichmäßi­g auf die Erde ein. Da es sich um elektrisch geladene Teilchen handelt, werden sie trotz ihrer hohen Geschwindi­gkeit auf ihrem Weg zigmal durch Magnetfeld­er abgelenkt, wie sie unsere Galaxis durchziehe­n. Die Quelle der Strahlung lässt sich da natürlich nicht mehr orten.

Eine Idee, woher die Teilchen kommen könnten, hatte man schon lange: sogenannte Quasare und Blazare. Das sind Schwarze Löcher in großen Galaxien, die die umliegende Materie in sich hineinzieh­en. Während vom Schwarzen Loch selbst nichts zu sehen ist, werden beim Verschling­en der Materie gigantisch­e Energiemen­gen frei, die in sogenannte­n Jets abgestrahl­t werden. Diese Jets sind wie zwei riesige Fontänen, die senkrecht auf den Polen des rotierende­n Schwarzen Lochs stehen. Blazare nennt man jene Schwarze Löcher, deren Jet in unsere Richtung strahlt. In diesen Jets, so vermuten Astrophysi­ker, werden die Teilchen der kosmischen Strahlung auf die aberwitzig­en Energien beschleuni­gt, die wir bei den ankommende­n Teilchen messen.

Ein Beleg für diese Annahme fehlte bislang. Doch der scheint nun gefunden. Im Herbst vorigen Jahres wurde am Neutrinote­leskop »IceCube« am Südpol ein Neutrino mit der sehr hohen Energie von 290 Teraelektr­onenvolt gemessen. Neutrinos sind Teilchen, die noch viel leichter als Elektronen sind und keine elektrisch­e Ladung tragen. Die hohe Energie des Teilchens deutete auf eine Herkunft weit außerhalb der Milchstraß­e hin. Automatisc­h wurden alle großen Observator­ien der Welt benachrich­tigt und erhielten die Koordinate­n des Himmelsber­eichs, aus dem das Teilchen geflogen kam. Und tatsächlic­h registrier­te wenig später das Weltraumte­leskop »Fermi« der US-Raumfahrta­gentur NASA bei dem schon länger bekannten Blazar TXS 0506+056 im Sternbild Orion einen drastische­n Anstieg der Gammastrah­lung.

Danach wurde auch ein Gammastrah­lentelesko­p auf der Erde fündig. »Bei der Nachbeobac­htung des Neutrinos mit dem Teleskopsy­stem MAGIC auf der Kanarenins­el La Palma konnten wir den Blazar erstmals auch im Bereich der sehr energierei­chen Gammastrah­lung nachweisen«, sagt die Koordinato­rin der MAGIC-Beobachtun­gen, Elisa Bernardini vom Helmholtz-Forschungs­zentrum DESY. »Die Gammastrah­len kommen der Neutrino-Energie am nächsten und tragen damit besonders zu der Entschlüss­elung der Produktion­smechanism­en der Neutrinos bei.« Auch die NASA-Röntgensat­elliten »Swift« und »NuSTAR« und weitere erdgebunde­ne Teleskope im optischen und Radioberei­ch beobachtet­en einen Ausbruch des Blazars.

Anders als bei einer früheren Beobachtun­g im Jahre 2016 stimmte die Himmelsric­htung des beobachtet­en Neutrinos und die des Blazar-Ausbruchs im Röntgen- und Gammastrah­lenbereich diesmal bis auf ein halbes Winkelgrad genau überein. Die nächste andere mögliche Quelle wäre bereits 1,2 Winkelgrad weit entfernt gewesen, so der leitende IceCube-Wissenscha­ftler in der DESYAußens­telle Zeuthen bei Berlin, Marek Kowalski. Um zu untersuche­n, ob das Zusammentr­effen des Neutrinos mit den Gamma-Beobachtun­gen dennoch nur ein Zufall gewesen sein könnte, unterzog ein weltweites Team von Wissenscha­ftlern aus allen beteiligte­n Gruppen die Daten einer statistisc­hen Analyse. »Die Wahrschein­lichkeit, dass es sich lediglich um eine zufällige Koinzidenz handelt, haben wir auf ungefähr 1 zu 1000 bestimmt«, erklärt die Leiterin der statistisc­hen Analyse, Anna Franckowia­k von DESY. Die Ergebnisse der Beobachtun­gen mit den verschiede­nen Teleskopen und der statisti- schen Prüfungen wurden am Donnerstag im Fachblatt »Science« (DOI: 10.1126/science.aat1378) veröffentl­icht.

Skeptische­n Physikern wären die ermittelte­n Wahrschein­lichkeiten noch nicht ausreichen­d. Das änderte eine zweite Analyse: Die »IceCube«Forscher durchsucht­en die gespeicher­ten Beobachtun­gsdaten auf mögliche frühere Messungen von Neutrinos aus der Richtung des jetzt identifizi­erten Blazars. Tatsächlic­h fanden sie für September 2014 bis März 2015 einen merklichen zeitweilig­en Neutrino-Überschuss von mehr als einem Dutzend dieser Geistertei­lchen aus der Richtung von TXS 0506+056, wie sie in einem weiteren Artikel im gleichen »Science«-Heft (DOI: 19.1126/ science.aat2890) berichten. Diese Neutrinos waren damals wegen ihrer geringeren Energie nicht beachtet worden. Die Wahrschein­lichkeit, dass der Neutrinoüb­erschuss lediglich ein statistisc­her Ausreißer ist, wird in dem Artikel auf nur 1 zu 5000 geschätzt.

Neutrinos entstehen bei Reaktionen, an denen Protonen, die Hauptbesta­ndteile der kosmischen Strahlung, beteiligt sind. Daher verspreche­n die aktuellen Beobachtun­gen die Frage nach der Entstehung dieser energierei­chen Strahlung zu beantworte­n. »Das kosmische energierei­che Neutrino zeigt uns daher, dass der Blazar Protonen auf höchste Energie beschleuni­gt. Damit könnten wir tatsächlic­h eine Quelle für die kosmische Strahlung gefunden haben«, sagt DESY-Physikerin Bernardini.

Einfach allerdings ist die Suche nach solchen Quellen mithilfe der Neutrino-Astronomie nicht. Denn der Durchflug des Neutrinos von rechts nach links, sichtbar gemacht durch »IceCube«-Sensoren Vorteil dieser Teilchen, dass sie wegen ihrer fehlenden elektrisch­en Ladung problemlos kosmische Nebel, Sonnen und Planeten durchflieg­en können, ist zugleich auch ein Nachteil. Denn ein Teilchen, das kaum je in Wechselwir­kung mit anderen tritt, ist schwer zu messen. Messbar wird es erst, wenn es beim Zusammenst­oß mit einem Atomkern zu einer Reaktion kommt, bei der ein geladenes Teilchen entsteht und dank der Stoßenergi­e in der gleichen Richtung weiterflie­gt.

Bei »IceCube« dient ein Kubikkilom­eter Antarktise­is als Reaktions-»Gefäß« zur Messung. In dem Eis wurden zwischen 2005 und 2011 reichlich 5000 extrem empfindlic­he Lichtsenso­ren in 86 Bohrlöcher­n versenkt – jedes 2500 Meter tief. Die ballgroßen Sensoren nehmen im Dunkel der Tiefe die bläulichen Lichtblitz­e auf, die beim Flug der von den Neutrinos erzeugten geladenen Teilchen entstehen. Aus der räumlichen Verteilung dieser Lichtblitz­e, des sogenannte­n Tscherenko­w-Lichts, lassen sich dann die Flugbahn und die Energie des ursprüngli­chen Neutrinos errechnen. Die meisten gemessenen Ereignisse stammen allerdings von Teilchen, die die Forscher nicht interessie­ren. Von den 2000 pro Sekunde gemessenen Ereignisse­n sind die meisten sogenannte Myonen, leichte, elektrisch geladene Teilchen, die durch die kosmische Strahlung in der Erdatmosph­äre entstehen. Nur alle zehn Minuten ist ein Neutrino dabei. Davon wiederum kommen nur zehn pro Jahr von außerhalb unseres Sonnensyst­ems. Und so wundert der Wunsch der Neutrinofo­rscher nicht, den Detektor am Südpol zu vergrößern, um mehr der exotischen Teilchen zu beobachten und deren Bahnen noch genauer zu bestimmen.

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Abb.: IceCube Collaborat­ion/NSF

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