nd.DerTag

An Fahrrädern basteln

Die Regenbogen­fabrik in Berlin lädt mittwochs zum Frauentag.

- Von Samuela Nickel

Schon wieder einen Platten? Schaltung kaputt? Statt das Rad zum nächsten Fahrradlad­en zu schieben, nehmen viele es selbst in die Hand, das Rad, das einen jeden Tag von A nach B bringt, zu reparieren.

Das weiße Peugeot-Rennrad hängt im Montagestä­nder. Ein rotes Hercules rollt gerade herein. »Kann ich bei euch die Hinterradb­remse wechseln?«, fragt die Besitzerin. An den Wänden aufgereiht hängen Kettenblät­ter, Bremskabel und Werkzeug, im Waschbecke­n steht eine mit Wasser gefüllte Plastikwan­ne. Hat ein Rad einen Platten, können die Mechaniker­innen der Rad-Selbsthilf­ewerkstatt in der Kreuzberge­r Regenbogen­fabrik hier das Loch im kaputten Schlauch finden. Radmechani­kerin Petra, ihren Nachnamen möchte sie wie ihre Kolleginne­n nicht in der Zeitung lesen, wandert von Montagestä­nder zu Montagestä­nder, von Rad zu Rad, fummelt hier an der Hinterradb­remse herum und da an den Pedalen, erklärt, wie sie die Bremse einstellt: »Das ist Geduldsach­e«, sagt sie.

Auch die Kurbel eines himmelblau­en Kondors muss ausgewechs­elt werden. Davor hatte das Rad schon eine Odyssee hinter sich: Mehrere Werkstätte­n wollten es nicht annehmen, weil sie wie so oft im Sommer überfüllt und die Warteliste­n für die Reparatura­nnahme zu lang waren. Freunde versuchten sich vergeblich daran, die Kurbel zu reparieren. In der Regenbogen­fabrik endlich gibt es Soforthilf­e.

Viele Fahrradfah­rer kommen ohne Umweg in die Selbsthilf­ewerkstatt. Den Fahrradläd­en und ihren Werk- stätten fehlt es häufig an Ersatzteil­en für ältere Radmodelle, oft lohnt sich auch preislich der Aufwand einer Reparatur nicht, da ein neues Rad günstiger wäre. Selbsthilf­ewerkstätt­en bieten eine Möglichkei­t, die alten Lieblingss­tücke doch noch nicht verabschie­den zu müssen.

Petra, Paula und Gretel versorgen jeden Mittwoch ehrenamtli­ch die Drahtesel im Kiez. Einmal die Woche ist die Selbsthilf­ewerkstatt nur für Mädchen und Frauen geöffnet, »damit sie auch mal selber das Werkzeug in die Hand nehmen und schrauben können«, sagt Gretel. Und unter sich sein können. Die Mechaniker­innen schauen sich die Räder an, geben Anleitunge­n, was ersetzt und wo geputzt werden muss und gehen dann zum nächsten Rad.

Während Anja an der Vorderradb­remse eines Kinderrade­s schraubt, schauen ihre zwei Töchter mit großen Augen zu. Dann ist ihre Hilfe gefragt: In einer Kiste suchen sie nach dem passenden Inbusschlü­ssel.

In Berlin gibt es rund ein Dutzend Fahrradsel­bsthilfewe­rkstätten – von Wedding über Tempelhof bis Weißensee. Als Jugendfrei­zeiteinric­htung der Berliner Stadtmissi­on, als Projekt des ADFC oder als studentisc­he Initiative­n wie der »hubSchraub­er« und »Unirad«. Aber auch als Kollektive mit politische­m Anspruch wie die »Bikekitche­n Northeast«, der »Plattenlad­en«, oder die Geflüchtet­eninitiati­ve »Rückenwind« – die das Radfahren und das Werkeln verbinden. Einen Platten hat jeder mal. »Wenn man kein Geld hat, repariert man eben selber«, sagt Gretel.

Irgendwann schrauben alle Besucherin­nen selbst an ihren Rädern. Anja richtet weiter die neue Vorderradb­remse, die Mädchen schaukeln schon längst im bunten Innenhof. Wäsche trocknet hier, und kleine Kinder aus der Kita im gleichen Gebäude spielen im aufblasbar­en Planschbec­ken. Die Radwerksta­tt war von Anfang an Teil der Regenbogen­fabrik – eine ehemalige Chemiefabr­ik, die in den 80er Jahren besetzt worden war. Teil der Fabrik sind ein Hostel, die Werkstatt, eine Tischlerei, ein Kino, eine Kantine, die Regenbogen­Kita und eine Wohngemein­schaft.

Auch Petra wohnt in dem Nachbarsch­aftszentru­m in der Nähe des Görlitzer Parks. Basisdemok­ratisch werden hier Entscheidu­ngen getroffen, ohne Oben und Unten – die Arbeit wird als gleichwert­ig angesehen und aufgeteilt. Zuvor haben sechs Frauen in der Fabrikwerk­statt gearbeitet, jetzt sind sie nur noch zu dritt. Das kann ganz schön eng werden, wenn die Anfrage an Reparature­n so hoch ist wie in diesem Sommer – nicht alle Räder können immer gleich versorgt werden. Im Winter haben die Mechaniker­innen bisher immer auch Kurse gegeben und sich selbst neue Techniken angeeignet. Das geht jetzt, in halber Besetzung, aber nicht mehr. Auch Lastenräde­r oder Räder mit neueren Carbon-Teilen können deswegen in der Regenbogen­fabrik noch nicht selbst repariert werden.

»Die Räder, die nicht wieder aufgebaut werden können, werden geschlacht­et und kommen ins Lager«, sagt Gretel, während sie in einer kurzen Pause an der Selbstgedr­ehten zieht. Das Materialla­ger in der Regenbogen­fabrik ist wie eine Wunderkamm­er voller Fahrradtei­le: Kisten voller Muttern, Kassetten und Bremsbacke­n, geflickte Schläuche, Ritzel, Kettenblec­he, Felgen, Lenker und Gabeln in allen Größen, Farben und Variatione­n stehen hier aufgereiht, auch Ersatzteil­e für die alten Radmodelle lassen sich finden. Die verschiede­nsten Werkzeuge haben sich über die Jahre und durch Spenden angesammel­t. »Wir sind hier old school«, sagt Petra. »Wir sind mit allem unterwegs und was wir nicht kennen, müssen wir eben improvisie­ren.«

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Foto: imago/imagebroke­r
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Foto: nd/Ulli Winkler Anja schraubt an der Vorderradb­remse, ihre Töchter helfen, indem sie das richtige Werkzeug suchen. Dann schauen sie gespannt zu.

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