An Fahrrädern basteln
Die Regenbogenfabrik in Berlin lädt mittwochs zum Frauentag.
Schon wieder einen Platten? Schaltung kaputt? Statt das Rad zum nächsten Fahrradladen zu schieben, nehmen viele es selbst in die Hand, das Rad, das einen jeden Tag von A nach B bringt, zu reparieren.
Das weiße Peugeot-Rennrad hängt im Montageständer. Ein rotes Hercules rollt gerade herein. »Kann ich bei euch die Hinterradbremse wechseln?«, fragt die Besitzerin. An den Wänden aufgereiht hängen Kettenblätter, Bremskabel und Werkzeug, im Waschbecken steht eine mit Wasser gefüllte Plastikwanne. Hat ein Rad einen Platten, können die Mechanikerinnen der Rad-Selbsthilfewerkstatt in der Kreuzberger Regenbogenfabrik hier das Loch im kaputten Schlauch finden. Radmechanikerin Petra, ihren Nachnamen möchte sie wie ihre Kolleginnen nicht in der Zeitung lesen, wandert von Montageständer zu Montageständer, von Rad zu Rad, fummelt hier an der Hinterradbremse herum und da an den Pedalen, erklärt, wie sie die Bremse einstellt: »Das ist Geduldsache«, sagt sie.
Auch die Kurbel eines himmelblauen Kondors muss ausgewechselt werden. Davor hatte das Rad schon eine Odyssee hinter sich: Mehrere Werkstätten wollten es nicht annehmen, weil sie wie so oft im Sommer überfüllt und die Wartelisten für die Reparaturannahme zu lang waren. Freunde versuchten sich vergeblich daran, die Kurbel zu reparieren. In der Regenbogenfabrik endlich gibt es Soforthilfe.
Viele Fahrradfahrer kommen ohne Umweg in die Selbsthilfewerkstatt. Den Fahrradläden und ihren Werk- stätten fehlt es häufig an Ersatzteilen für ältere Radmodelle, oft lohnt sich auch preislich der Aufwand einer Reparatur nicht, da ein neues Rad günstiger wäre. Selbsthilfewerkstätten bieten eine Möglichkeit, die alten Lieblingsstücke doch noch nicht verabschieden zu müssen.
Petra, Paula und Gretel versorgen jeden Mittwoch ehrenamtlich die Drahtesel im Kiez. Einmal die Woche ist die Selbsthilfewerkstatt nur für Mädchen und Frauen geöffnet, »damit sie auch mal selber das Werkzeug in die Hand nehmen und schrauben können«, sagt Gretel. Und unter sich sein können. Die Mechanikerinnen schauen sich die Räder an, geben Anleitungen, was ersetzt und wo geputzt werden muss und gehen dann zum nächsten Rad.
Während Anja an der Vorderradbremse eines Kinderrades schraubt, schauen ihre zwei Töchter mit großen Augen zu. Dann ist ihre Hilfe gefragt: In einer Kiste suchen sie nach dem passenden Inbusschlüssel.
In Berlin gibt es rund ein Dutzend Fahrradselbsthilfewerkstätten – von Wedding über Tempelhof bis Weißensee. Als Jugendfreizeiteinrichtung der Berliner Stadtmission, als Projekt des ADFC oder als studentische Initiativen wie der »hubSchrauber« und »Unirad«. Aber auch als Kollektive mit politischem Anspruch wie die »Bikekitchen Northeast«, der »Plattenladen«, oder die Geflüchteteninitiative »Rückenwind« – die das Radfahren und das Werkeln verbinden. Einen Platten hat jeder mal. »Wenn man kein Geld hat, repariert man eben selber«, sagt Gretel.
Irgendwann schrauben alle Besucherinnen selbst an ihren Rädern. Anja richtet weiter die neue Vorderradbremse, die Mädchen schaukeln schon längst im bunten Innenhof. Wäsche trocknet hier, und kleine Kinder aus der Kita im gleichen Gebäude spielen im aufblasbaren Planschbecken. Die Radwerkstatt war von Anfang an Teil der Regenbogenfabrik – eine ehemalige Chemiefabrik, die in den 80er Jahren besetzt worden war. Teil der Fabrik sind ein Hostel, die Werkstatt, eine Tischlerei, ein Kino, eine Kantine, die RegenbogenKita und eine Wohngemeinschaft.
Auch Petra wohnt in dem Nachbarschaftszentrum in der Nähe des Görlitzer Parks. Basisdemokratisch werden hier Entscheidungen getroffen, ohne Oben und Unten – die Arbeit wird als gleichwertig angesehen und aufgeteilt. Zuvor haben sechs Frauen in der Fabrikwerkstatt gearbeitet, jetzt sind sie nur noch zu dritt. Das kann ganz schön eng werden, wenn die Anfrage an Reparaturen so hoch ist wie in diesem Sommer – nicht alle Räder können immer gleich versorgt werden. Im Winter haben die Mechanikerinnen bisher immer auch Kurse gegeben und sich selbst neue Techniken angeeignet. Das geht jetzt, in halber Besetzung, aber nicht mehr. Auch Lastenräder oder Räder mit neueren Carbon-Teilen können deswegen in der Regenbogenfabrik noch nicht selbst repariert werden.
»Die Räder, die nicht wieder aufgebaut werden können, werden geschlachtet und kommen ins Lager«, sagt Gretel, während sie in einer kurzen Pause an der Selbstgedrehten zieht. Das Materiallager in der Regenbogenfabrik ist wie eine Wunderkammer voller Fahrradteile: Kisten voller Muttern, Kassetten und Bremsbacken, geflickte Schläuche, Ritzel, Kettenbleche, Felgen, Lenker und Gabeln in allen Größen, Farben und Variationen stehen hier aufgereiht, auch Ersatzteile für die alten Radmodelle lassen sich finden. Die verschiedensten Werkzeuge haben sich über die Jahre und durch Spenden angesammelt. »Wir sind hier old school«, sagt Petra. »Wir sind mit allem unterwegs und was wir nicht kennen, müssen wir eben improvisieren.«