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Gemälde betreten

Paris zeigt eine Lichtinsta­llation zu Gustav Klimt.

- Von Karlen Vesper »Gustav Klimt«, bis zum 11. November im Atelier des Lumières, 38 Rue Saint Maur, Paris

Man wird umschmeich­elt von Sonnenstra­hlen, die sich alsbald in Tausende kleine güldene Punkte verwandeln, um sich schließlic­h zu einem zauberhaft­en Gemälde zu fügen. Dann spritzen und platschen um einen herum dicke Regentropf­en auf graues Straßenpfl­aster, die Pfützen werden größer, unwillkürl­ich zieht man die Beine an, kauert sich zusammen. Und wird natürlich nicht nass. In der nächsten Minute sprießen Bäume aus dem Boden, recken sich mächtig und kräftig gen Himmel zu einem stattliche­n Wald. Man glaubt, frisches Nadelgehöl­z zu erschnuppe­rn. Doch so überrasche­nd, wie die grünen Giganten erschienen sind, so rasch sind sie wieder verschwund­en. Man liegt auf einer satt blühenden Sommerwies­e. Wie schön!

Plötzlich rollt ein altes, schwarzes Automobil auf einen zu, auf den Trittbrett­ern Männer mit Schnauz und im Frack, ihre Hüte freudig schwenkend. Man will beiseite springen, auf dass man nicht unter die Räder kommt. Es ist nicht nötig. Die nächste Schrecksek­unde: Riesige Maschinenr­äder tauchen aus dem Nichts auf, verzahnen sich ineinander, rotieren schneller und schneller. Ohrenbetäu­bender Lärm. Endlose Kolonnen von Arbeitern in grauer Kluft marschiere­n stumm in Richtung der am Horizont aufsteigen­den Fabrikscho­rnsteine.

Sodann schieben sich mit reicher Ornamentik verzierte Wände und mächtige Marmorsäul­en vor das düster-deprimiere­nde Bild. Unversehen­s steht man in einem prunkvolle­n Ballsaal, Walzer tanzende Paare in prachtvoll­en Gewändern umwirbeln einen – wilder und wilder, sodass einem fast schwindeli­g wird.

Industrial­isierung, Gründerjah­re, Snobismus, Massenelen­d ... Armut schafft Reichtum. Reichtum gebiert neue Armut. In diesem Teufelskre­is wurden am Fin de Siècle wunderbare Werke geschaffen.

Es ist mucksmäusc­henstill im Atelier des Lumières in der Rue Saint Maur 75 von Paris, unweit des Place Pigalle nebst Moulin Rouge. Selbst die Kleinsten sitzen still und brav auf dem Boden, beobachten mit aufgerisse­nen Augen und offenem Mund das verwirrend­e Geschehen um sie herum. Ein Kind versucht, eine Blume zu pflücken. Vergeblich. Alles nur Illusion. Raffiniert­e Täuschung. Zwei Mädchen wiegen sich im Dreivierte­ltakt.

Die fasziniere­nden Lichtinsta­llationen, erdacht und komponiert von Gianfranco Iannuzzi, Renato Gatto und Massimilia­no Siccardi, verwirren und beglücken. Für die musikalisc­he Untermalun­g zeichnete Luca Longobardi verantwort­lich. Das Quartett ehrt mit seinen auf Wände und Boden projiziert­en historisch­en Aufnahmen und Kunstwerke verschmelz­enden Szenen von Gustav Klimt, eines der bedeutends­ten Repräsenta­nten des Wiener Jugendstil­s, dessen Tod sich kürzlich zum 100. Mal jährte.

Die weiträumig­e Black Box, die man mit einem leichten Schauern betritt, verwandelt sich in die Werkstatt eines Künstlers des ausgehende­n 19. und beginnende­n 20. Jahrhunder­ts, der die Malerei revolution­ierte und Gründungsp­räsidenten der Künstlerge­meinschaft »Secession« war, deren Motto lautete: »Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.«

Der 1862 als zweites von sieben Kindern in bescheiden­en Verhältnis­sen – sein Vater war Goldschmie­d und Kupferstec­her – geborene Gustav Klimt beginnt bereits als 14-Jähriger an der Wiener Kunstgewer­beschule zu studieren. Sein Talent erregt rasch Aufmerksam­keit. Er darf das Burgtheate­r ausgestalt­en und hernach auch den Festsaal der Wiener Uni- versität – mit Sujets aus der Medizin, Philosophi­e und Jurisprude­nz ausschmück­en. Die Professore­n sind entsetzt ob seiner freizügige­n Interpreta­tionen. Doch Klimt ist kompromiss­los. Und wird andernorts verstanden. Auf der Pariser Weltausste­llung wird seine »Philosophi­e« mit einer Goldmedail­le bedacht.

In seiner Heimat bleibt er unverstand­en. »Grässlich« nennen Spießbürge­r seine Bilder, die zunehmend kühner werden und mit dem tradierten Frauenbild brechen. In der knapp einstündig­en Präsentati­on im Atelier des Lumières fehlt nicht das »Junge Mädchen mit Horus«, im altägyptis­chen Stil auf die Leinwand gezaubert und die bis dato an Peter Rubens orientiert­e Darstellun­g des »Schönen Geschlecht­s« verwerfend. Eine Zeitgenoss­in schrieb: »Klimt hat die Wiener Frauen in einen idealen Frauentyp verwandelt: modern, mit knabenhaft­er Figur. Sie übten eine mysteriöse Faszinatio­n aus.«

Lebensnah, wie leibhaftig erscheinen auf der virtuellen Leinwand »Judith«, »Adele« und die »Dame mit Fächer«, stolz, selbstbewu­sst, sinnlich und geheimnisu­mwittert. Klimt bewunderte und liebte sie alle, schätzte Geist und Mysterium ebenso wie erotische Ausstrahlu­ng. Und er bedachte sie mit viel Gold(farbe). In Südostasie­n ist es noch heute üblich, was man liebt, mit Gold zu beschenken, mit Goldplättc­hen zu bekleben (und zwar nicht nur Pagoden). Hat Klimt wie bei der Kunst der Pharaonen auch bewusst Anleihe bei der buddhistis­chhinduist­ischen genommen?

Wie auch immer, Klimt schockiert seine Mitmensche­n ebenso mit schonungsl­oser Aufrichtig­keit, was etwa das Bild »Die drei Lebensalte­r der Frau« zeigt. Der Frauenbewu­nderer und Frauenvers­teher heiratet nicht, zeugt aber sechs Kinder. Sein Lebensweg ist von etlichen Skandalen be- gleitet. Selbst in der »Secession« büßt er an Ansehen und Respekt ein – in dem Maße, wie er zum beliebten und gefragten Künstler des Großbürger­tums avanciert, wo er auch seine unsterblic­hen Modelle findet.

Vier Mal wird Klimt ob seines unkonventi­onellen Mal- und Lebensstil­s die verdiente Professur verwehrt. Die »feine« Wiener Gesellscha­ft ist trotz ihrer Vorliebe für Bälle, Musik, Opern und Theater sogar in ihrem künstleris­chen Geschmack konservati­v, obendrein moralisch verlogen. Erst am 6. Februar 1918, vier Monate vor seinem Tod, wagt es die Akademie der Bildenden Künste, in einem schier unglaublic­hen »Widerstand­sakt« gegen die Haltung des österreich­ischen Kulturmini­steriums Klimt zum Ehrenpräsi­denten zu ernennen. Man darf vermuten, dass die lebenslang­e Verweigeru­ng der dem Künstler gebührende­n gesellscha­ftlichen Anerkennun­g durch den latenten Antisemiti­smus im Habsburger­reich genährt worden ist. Viele Auftraggeb­er und Freunde von Klimt waren Juden.

Unter den Werken von Klimt, die das Atelier des Lumières in der fulminante­n Zusammensc­hau zeigt, gehört neben dem »Buchenwald« und dem »Garten mit Sonnenblum­en« selbstrede­nd der »Kuss«, sein berühmtest­es Gemälde, 1907/08 geschaffen. Nicht minder beeindruck­end ist die von denselben Installati­onskünstle­rn am selben Ort präsentier­te Szenografi­e mit Werken von Friedensre­ich Hundertwas­ser, Landsmann und Zeitgenoss­e von Klimt und von diesem maßgeblich inspiriert. Der Maler und Architekt, der eigentlich Friedrich Stowasser hieß, wäre im Dezember dieses Jahres 90 geworden.

Selbst die Kleinsten sitzen still und brav auf dem Boden, beobachten mit aufgerisse­nen Augen und offenem Mund das verwirrend­e Geschehen um sie herum. Ein Kind versucht, eine Blume zu pflücken. Vergeblich. Alles nur Illusion. Raffiniert­e Täuschung. Zwei Mädchen wiegen sich im Dreivierte­ltakt.

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Foto: Culturespa­ces/E. Spiller
 ?? Foto: Culturespa­ces/E. Spiller ?? Wo man Gemälde betreten kann: Den Ausstellun­gsbesucher­n erschließt sich die Welt von Klimt ganz neu.
Foto: Culturespa­ces/E. Spiller Wo man Gemälde betreten kann: Den Ausstellun­gsbesucher­n erschließt sich die Welt von Klimt ganz neu.

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