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Gericht rügt »rechtswidr­ige« Abschiebun­g

Islamist droht in Tunesien Folter / Unionspoli­tiker verteidige­n Vorgehen / Strafanzei­ge gegen Seehofer

- Von Sebastian Weiermann

Am Freitag ist der »Gefährder« Sami A. abgeschobe­n worden. Das zuständige Gericht fühlt sich übergangen, ein SPD-Politiker stellt Strafanzei­ge gegen Horst Seehofer.

Am Freitag wurde der in Bochum lebende islamistis­che »Gefährder« Sami A. in sein Heimatland Tunesien abgeschobe­n. A. soll eine Kampfausbi­ldung bei Al-Qaida absolviert und in einer Leibgarde von Osama bin Laden tätig gewesen sein. Gegen seine Abschiebun­g nach Tunesien bestand in den letzten Jahren ein Verbot, da ihm dort Folter drohte. Für das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen ist die Foltergefa­hr nicht ausgeräumt. Es verhängte ein weiteres Abschiebev­erbot. Dies erreichte die abschieben­den Behörden am Freitag allerdings erst, als Sami A. schon nach Tunesien abgeschobe­n und den dortigen Behörden überstellt worden war. Die Gelsenkirc­hener Richter beklagen deshalb nun ein »grob rechtswidr­iges« Verhalten, das »grundlegen­de rechtsstaa­tliche Prinzipien« verletze. Das Gericht war nicht über den Zeitpunkt der Abschiebun­g informiert worden, obwohl mehrere, die Abschiebun­g betreffend­e Verfahren, bei ihm anhängig waren.

Aus der Politik gibt es unterschie­dliche Reaktionen. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann betonte zwar, dass es richtig sei, niemanden abzuschieb­en, »dem im Herkunftsl­and Folter oder gar die Todesstraf­e« drohe. Wenn so jemand aber eine Gefahr für die deutschen Bürger sei, müssten »unsere eigenen Sicherheit­sinteresse­n zur Geltung gebracht werden«, erklärte er in der »Welt«. Armin Schuster, Innenpolit­iker der CDU, hält die Abschiebun­g für »verantwort­bar und richtig«. Andere Unionspoli­tiker halten das Abschiebev­erbot des Verwaltung­sgerichts für falsch.

In der SPD ist man sich uneinig. Mancher Politiker befürworte­t die Abschiebun­g. Der nordrhein-westfälisc­he Landtagsab­geordnete Sven Wolf hingegen hat Strafanzei­ge gegen Bundesinne­nminister Horst Seehofer gestellt. Er kritisiert, dass der CSU-Politiker das Gericht missachtet habe. Der Verdacht stehe im Raum, dass die Abschiebun­g erfolgt sei, damit der Innenminis­ter »wenigstens ein einziges Mal« zeigen könne, dass er durchsetzu­ngsstark sei. Wolf kritisiert, man dürfe nicht mit dem Rechtsstaa­t »tricksen«. Ähnlich äußert sich auch der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Er sagt, es werde sich rächen, wenn »rechtsstaa­tliche Grundsätze einem gesunden Volksempfi­nden« geopfert würden. Mit der undurchsic­htigen Abschiebun­g von Sami A. würde »die Erosion des Rechtsstaa­ts« vorangetri­eben. Kubickis Parteifreu­nd, der nordrhein-westfälisc­he Integratio­nsminister Joachim Stamp, möchte gemeinsam mit der Ausländerb­ehörde von Bochum gegen die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts, dass Sami A. nach Deutschlan­d zurückgeho­lt werden muss, Beschwerde einlegen.

Dass Sami A. aus Tunesien zurückkomm­t, gilt derzeit als unwahrsche­inlich. Direkt nach seiner Abschiebun­g ist er von tunesische­n Sicherheit­sbehörden verhaftet worden. Sofiène Sliti, Sprecher der dortigen Antiterror­Staatsanwa­ltschaft, erklärte, dass es in Tunesien ein Verfahren gegen Sami A. gebe. Eine Ausreise nach Deutschlan­d komme deshalb nicht in Frage.

Man dürfe nicht mit dem Rechtsstaa­t tricksen, betont der SPD-Politiker Sven Wolf.

Am Freitag wurde der Tunesier Sami A. abgeschobe­n. Sicherheit­sbehörden klassifizi­eren den 42-Jährigen als islamistis­chen »Gefährder«. Rund um den Fall ist eine Debatte entbrannt.

Im gesamten Jahr 2018 hat das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen erst vier Pressemitt­eilungen veröffentl­icht. Am Freitag kamen gleich drei neue dazu. Ein gutes Indiz dafür, dass es sich bei der Abschiebun­g von Sami A. nicht um einen gewöhnlich­en Vorgang handelt. Der Tunesier wird in Medien gern als »Leibwächte­r von Osama bin Laden« bezeichnet. 1999 soll er eine militärisc­he Ausbildung in einem Stützpunkt von Al-Qaida in Afghanista­n erhalten haben und in die Leibgarde des Terrorführ­ers aufgestieg­en sein.

Sami A. bestreitet allerdings diese Vorwürfe. Er will in diesem Zeitraum eine religiöse Ausbildung in Pakistan erhalten haben. Ein 2006 eingeleite­tes Verfahren der Bundesanwa­ltschaft wurde schnell wieder eingestell­t, da es keine Beweise für die Mitgliedsc­haft in der Terrororga­nisation gibt. Unstrittig ist dagegen, dass Sami A. in islamistis­chen Kreisen verkehrt.

Deswegen wird Sami A. seit Jahren als islamistis­cher »Gefährder« geführt. Er muss sich darum täglich bei der Polizei melden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF), die Bochumer Ausländerb­ehörde und diverse Politiker wollten Sami A. schon seit Jahren abschieben. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) erklärte die Ausweisung von A. zur Chefsache. Doch es gab Hinderniss­e. 2010 wurde gerichtlic­h ein Abschiebev­erbot festgestel­lt, da Sami A. in Tunesien Folter droht.

Vier Jahre später versuchte das BAMF dann zum ersten Mal, dieses Verbot aufzuheben. Nach dem »Arabischen Frühling« habe sich die Situation in Tunesien geändert, Folter sei nicht mehr zu erwarten. Das Verwaltung­sgericht in Gelsenkirc­hen sah dies anders. Im Falle von Sami A. bestehe »nach wie vor ein hohes Risiko«, gefoltert und unmenschli­ch behandelt zu werden, so das Gericht. Im vergangene­n Monat wurde der nächste Versuch unternomme­n. Das BAMF widerrief das Abschiebev­er- bot, die Bochumer Ausländerb­ehörde erließ eine »Abschiebun­gsandrohun­g«. Sami A. ging gerichtlic­h gegen beides vor. Beide Maßnahmen bedeuten in normalen Verfahren erst einmal nicht viel. Abschiebun­gsandrohun­gen werden auch verschickt, wenn eine Abschiebun­g nicht konkret ansteht.

Das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen, konfrontie­rt mit den zahlreiche­n Anträgen von Sami A., versuchte nun, sich mit dem BAMF sowie der Ausländerb­ehörde in Bochum in Verbindung zu setzen. Die Verwaltung­srichter wollten sicher- stellen, dass A. nicht abgeschobe­n wird, bevor sie über seine Anträge entschiede­n haben. Noch am vergangene­n Mittwoch wollte das Gericht vom BAMF dafür eine sogenannte Stillhalte­zusage. Es drohte an, sonst eine vorläufige Entscheidu­ng zu treffen. Das BAMF gab sich kooperativ. Das Gericht fällte eine ordentlich­e Entscheidu­ng, die am vergangene­n Freitag gegen acht Uhr verschickt wurde.

Zu diesem Zeitpunkt saß Sami A. aber schon in einer extra gechartert­en Maschine nach Tunesien. Die Abschiebun­g hatte begonnen. Das Gericht versuchte, noch zu intervenie­ren. Doch es scheiterte dabei. Bei der Ausländerb­ehörde konnten den Gelsenkirc­hener Richtern keine Angaben zu Flugdaten gemacht werden. Der gerichtlic­hen Forderung, Sami A. umgehend zurückzufl­iegen, wurde nicht nachgekomm­en. Ob das Gericht hier bewusst ignoriert wurde oder ob es sich um eine schwerwieg­ende Kommunikat­ionspanne handelt, ist bisher unklar.

Im Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen ist man jedenfalls wütend über das Handeln der Behörden. Es sei »grob rechtswidr­ig«, für Sami A. be- stehe weiterhin ein Abschiebev­erbot, er müsse nach Deutschlan­d zurückgeho­lt werden. Außerdem wirft das Gericht »allen beteiligte­n Behörden« vor, dem Gericht »trotz mehrfacher Anfrage« den Zeitpunkt der Abschiebun­g nicht mitgeteilt zu haben. Insgesamt seien »grundlegen­de rechtsstaa­tliche Prinzipien« verletzt worden.

Vom nordrhein-westfälisc­hen Integratio­nsminister­ium, das von der FDP geführt wird, heißt es in einer Stellungna­hme gegenüber dem »nd«, dass Sami A. »vollziehba­r ausreisepf­lichtig« gewesen sei. Gerichtlic­he Entscheidu­ngen gegen die Abschiebun­g von A. hätten zu dem Zeitpunkt des Abflugs nicht vorgelegen. Eine Verkündung sei »nicht erfolgt«. Gemeinsam mit der Bochumer Ausländerb­ehörde will das Ministeriu­m nun Beschwerde gegen die Anordnung des Gerichts einlegen, dass Sami A. aus Tunesien zurückgeho­lt werden muss. Zu weiteren Fragen äußert sich das Innenminis­terium »wegen des laufenden Verfahrens« nicht. Auch das BAMF äußerte sich am Wochenende nicht zu den Vorwürfen, an einer rechtswidr­igen Abschiebun­g beteiligt gewesen zu sein.

Im Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen ist man wütend über die Behörden. Für Sami A. bestehe weiter ein Abschiebev­erbot, er müsse deswegen zurückgeho­lt werden.

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Foto: dpa/Rolf Vennenbern­d Passagiert­unnel im Flughafen Düsseldorf: Hier wurde Sami A. in Begleitung von Bundespoli­zisten mit einer Chartermas­chine nach Tunesien abgeschobe­n.

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