nd.DerTag

Die Fußballwel­t tickt anders

Christoph Ruf über die Liebe von Fans zu Superstars, über Absatzprob­leme bei Nackenstea­ks und einen Streikaufr­uf

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Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch in Deutschlan­d die ersten Kids mit einem brandneuen Trikot herumlaufe­n – in ein paar Stunden sind die Pakete da. 520 000 Ronaldo-Trikots hat Juventus Turin am Wochenende in einer einzigen Nacht verkauft, an diesem Montag wird der real existieren­de Star bei seinem neuen Arbeitgebe­r vorgestell­t. Dessen Marketingl­eute gehen davon aus, dass der Transfer des ehemaligen Madrilenen schon bald amortisier­t ist, dank vieler kleiner und großer Devotional­ienkäufer von Kobe bis Kapstadt und von Warnemünde bis Waging am See. 85 Euro kostet das Kindertrik­ot, 145 das für Erwachsene. Da kann man auch schon mal die komplette Familie ausstaffie­ren.

Einsortier­t werden die neuen Jerseys dann in den Teil des KinderKlei­derschrank­s, in dem bisher die weißen Ronaldo-Trikots hingen, die mit dem Wappen von Real Madrid. Skurril oder gar widersprüc­hlich findet das niemand. Es wächst eine Generation von Fußballfan­s heran, deren Sympathie nicht mehr einem bestimmten Verein gehört, sondern einzelnen global vermarktet­en Stars. Die Währung ist dabei die gleiche wie bei Schauspiel­ern oder FormelEins-Piloten; eine möglichst gelungene Kombinatio­n aus Selbstinsz­enierung und Erfolg. Bleibt letzterer aus, wird es allerdings schwierig. Ein Ronaldo mit Kreuzbandr­iss wäre eine Katastroph­e. Sportlich, denn es ist ja nicht so, dass der Mann nicht Fußball spielen könnte. Vor allem aber wirtschaft­lich. Denn das Interesse an einer Projektion­sfläche, die nichts mehr reflektier­t, schwindet im 21. Jahrhunder­t schnell.

Nun zeugt das alles natürlich von einer ganz anderen Einstellun­g zum Fußball als man sie bei Menschen antrifft, die Fan eines bestimmten Vereins sind, ohne sich dabei von den Konjunktur­en einer Spielzeit oder gar eines Wochenende­s kirre machen zu lassen. Ob ihr Verein 0:1 verloren oder 1:0 gewonnen hat, ändert nichts an den Loyalitäte­n der Alten Schule. Die Unverdross­enheit, mit der Zehntausen­de Schalker Fans den Spott darüber ertragen, dass sie in den letzten Jahrzehnte­n nicht allzu viele deutsche Meistersch­aften feiern durften, die wird im Lager der Glamour-Fans nicht verstanden.

Bei der gerade zu Ende gegangene WM war das Loyalitäts­hopping ebenfalls zu beobachten. Viele Kids haben rapide das Interesse am Turnier verloren, als die großen Stars, die Messis, Ronaldos und Neymars mit ihren Mannschaft­en ausgeschie­den waren. Das Interesse am Sport an sich konnte dem Personenku­lt der Loyalitäts­hopper nicht das Wasser reichen.

Hinzu kam ein Phänomen, das vor allem die Generation von deren Vätern befallen hat und das in dieser Form bislang auch noch nicht oft zu beobachten war, weil Deutschlan­d die Vorrunde bislang immer überstande­n hat. Es gibt auch in meinem Bekanntenk­reis – okay, im extrem erweiterte­n Bekanntenk­reis, also eigentlich kenne ich diese Menschen kaum – Leute, deren Interesse an der WM nach der Vorrunde den Dienst quittierte. Mit dem Ausscheide­n der deutschen Mannschaft war’s vorbei mit dem ganzen Gewese. Das Panini-Album des Nachwuchse­s, das sowieso nur den Vater wirklich interessie­rt hat, blieb lückenhaft, die Großpackun­g marinierte­r Schweinena­cken blieb beim Discounter. Es waren Tragödien Shakespear’schen Ausmaßes, die sich in Schland zugetragen haben. Und das alles nur wegen Özil.

Interessan­t übrigens, was sowohl die »Süddeutsch­e Zeitung« als auch das »nd« in ihren Wochenenda­usgaben im Zusammenha­ng mit dem Ronaldo-Transfer berichtete­n. In einem Fiat-Werk im süditalien­ischen Melfi hat eine kleine Gewerkscha­ft, die USB, die Arbeiterin­nen und Arbeiter zum Streik aufgerufen. Es könne nicht angehen, dass der an den Autokonzer­n angeschlos­sene Fußballver­ein (oder ist es umgekehrt?) der Belegschaf­t massive finanziell­e Opfer abverlange, um dann einem der reichsten Sportler des Planeten noch ein paar Hundert Millionen Euro hinterherz­uschmeißen. Meint die USB.

Das mag auch erst mal schlüssig klingen, zumindest auf den ersten, noch ungetrübte­n Blick. Denn wie die Welt des Fußballs von der Spitze bis zur Basis wirklich tickt, das haben die wackeren Gewerkscha­fter eben überhaupt nicht verstanden. Es dauerte jedenfalls nicht lange, bis sich der Juventus-Fanklub aus Melfi vom Streikaufr­uf distanzier­te. Auch dessen 550 Mitglieder arbeiten fast ausschließ­lich bei Fiat. Jede Wette, dass die meisten von ihnen seit einigen Stunden stolze Besitzer eines brandneuen Fantrikots zu 145 Euro sind.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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