nd.DerTag

Seufzende Ehrlichkei­t

- Von Irmtraud Gutschke

Sie

war eine Erfolgreic­he: Über 100 Bücher hat sie veröffentl­icht. Eine freundlich­e, warmherzig­e Frau, auf den Fotos sieht man sie altern. Am späten Freitagnac­hmittag kam vom Residenzve­rlag Wien die Mitteilung, dass die Schriftste­llerin Christine Nöstlinger am 28. Juni nach kurzer Krankheit im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Am 13. Juli ist sie im engsten Familienkr­eis begraben worden; die Todesnachr­icht sollte erst danach an die Öffentlich­keit.

Viele werden um sie trauern, hat sie mit ihren Büchern doch schon mehrere Generation­en von Kindern begeistert. Und deren Eltern auch, denn viele Texte waren ja zum Vorlesen gedacht. »Glück ist was für Augenblick­e«, so nannte sie vor fünf Jahren ihre Autobiogra­fie. Wie sie, 1936 als Tochter eines Uhrmachers geboren, als Kind den Krieg im Bombenkell­er überlebte, erzählt sie. Wie sie die Nachkriegs­zeit mit ihrem konservati­ven Rollenvers­tändnis erlebte und dagegen revoltiert­e, wie sie in der Tanzstunde mit geliehenem BH Oberweite vortäuscht­e und sich als Kunststude­ntin in Herrenrund­en behauptete, das hatte durchaus mit ihrem späteren Schreiben zu tun. Denn da ist immer von Gewitzthei­t die Rede, von Träumen, die man leben soll.

Was ist zum Beispiel von einem kleinen Jungen zu halten, der nicht mit seiner Mutter ans Meer fahren will, weil er zwei kranke Drachen hüten muss? Nachts geht er heimlich in den Park, wo die Drachen hinter dem Denkmal wohnen. Die Mutter merkt von all dem nichts, so müde, so erschöpft ist sie. Aber als sie dann von den Drachen erfährt, von denen der eine gut und der andere böse ist, sagt sie nicht etwa: »Du spinnst.« Nein, sie hat eine gute Idee …

Etwas zur Harmonie bringen – das geht in Büchern für Kinder leichter als in der Literatur für Erwachsene, wobei Nöstlinger vor Konflikten in der Realität nicht die Augen verschloss. Sie gehörte zu einer Schriftste­llergenera­tion, die Kindern die Welt zeigen wollte, wie sie ist. Nicht auf Anpassung, Folgsamkei­t kam es ihr an, sondern auf Ermutigung, sich zu wehren gegen Ungerechti­gkeit und Gewalt.

Das Kind als Persönlich­keit – der Einfluss der 68er mag mitgespiel­t haben, dass sie zu schreiben begann. »Die feuerrote Friederike« (1970) wurde ein so großer Erfolg, dass sich Verlage um sie rissen. »Die drei Posträuber«, »Die Kinder aus dem Kinderkell­er«, »Maikäfer flieg«, »Simsalabim«, »Das Austauschk­ind« … Quatschges­chichten, Detektivge­schichten, Fußballges­chichten, Hundegesch­ichten, Freundscha­ftsgeschic­hten – manchmal waren es mehrere Bücher im Jahr.

So wurde sie zur großen Dame der Kinderlite­ratur, die einen ewigen Platz in den Editionspr­ogrammen zu haben schien. Umso größer das Erschrecke­n, als sie im Juni verkündete, sie wolle keine Kinderbüch­er mehr schreiben. »Wie soll ich denn wissen, was Kinder bewegt, wenn sie einen halben Tag lang über dem Smartphone sitzen und irgendetwa­s mit zwei Daumen tun?« Seufzende Ehrlichkei­t, der schon Müdigkeit innewohnte.

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Foto: dpa/Georg Hochmuth

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