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Oma hätte beinahe Hitler geheiratet

In der britischen Sitcom »Friday Night Dinner« entstehen aus absurden Situatione­n grandiose Dialoge

- Von Bettina Müller

Die britische Sitcom »Friday Night Dinner« hat sich in Großbritan­nien zu einem »Smash Hit« entwickelt; vor wenigen Wochen ging die fünfte Staffel zu Ende. Die Rahmenhand­lung ist in jeder Folge gleich: Spot on auf ein typisches Vorstadtre­ihenhaus, in dem eine englische Familie jüdischen Glaubens lebt. Abenddämme­rung. Mum und Dad laden jede Woche, wie es die Tradition verlangt, zum jüdischen Freitagabe­nd ein, der mit einem Segen und anschließe­nden Festmahl begangen wird und den Sabbat am nächsten Tag einläuten soll, an dem alle Geschäfte ruhen und nicht gearbeitet wird. Regelmäßig fallen also die beiden mehr oder weniger erwachsene­n Söhne Adam und Jonny, die beruflich nicht so richtig Fuß fassen können und froh sind, mal eine warme Mahlzeit zu bekommen, wieder in ihr Elternhaus ein und mutieren sofort zu Teenagern inklusive Rangeleien und Streichen, die auch Kleinkinde­rn würdig wären. Es entstehen absurde Situatione­n, Missverstä­ndnisse, grandios komische Dialoge.

Das Tempo der Serie ist trotz des begrenzten Rahmens unglaublic­h flott, die Chemie zwischen den Darsteller­n perfekt, die Gags werden wie aus dem Maschineng­ewehr abgeschoss­en. Mum, eine typische englische Hausfrau mit biederer Frisur, Putzwahn und bedenklich­em Modegeschm­ack, und Dad, infantil, leicht verschrobe­n und, sehr zum Leidwesen von Mum, chronische­r Sammler von altem Krempel, darf man sicherlich zu Recht als exzentrisc­he Untertanen ihrer Majestät bezeichnen. Hinter verschloss­ener Tür. Wenn es dann an der Haustür klingelt, darf man sicher sein, dass es zumeist der nicht minder verschrobe­ne bis latent wahnsinnig­e Nachbar Jim mit sei- nem Hund Wilson ist, vor dem er tierische Angst hat und der die über seinen Besuch wenig Begeistert­en anbiedernd mit einem unnötig verlängert­en »Shalommmmm« begrüßt. Auf Mum hat er ganz deutlich ein großes Holzauge geworfen, doch sie ignoriert ganz tapfer die Anzüglichk­eiten des verstörten und verstörend­en Nachbarn.

Darf man darüber lachen, schallend sogar, wenn Dad Adam zum Geburtstag voller Stolz ein antiquaris­ches Buch über die SS schenkt und Adams Entsetzen nicht begreifen kann? Man kann – und man darf! Englische Situation Comedy (Sitcom) ist manchmal wie Satire. Und die darf alles, sagte schon Kurt Tucholsky. Ist John Cleese in »Fawlty Towers« nicht auch schon als Hitler herumstolz­iert? Und hat man auch als Nicht-Brite darüber gelacht? Ja, man hat. Eine Sitcom ist eben auch politisch völlig unkorrekt, sie will in erster Linie unterhalte­n, regt aber auf spielerisc­he Weise auch zum Nachdenken an, indem sie provoziert.

Die Briten sind Meister ihres Fachs. Man stelle sich vor, eine deutsche Serie würde sich über die SS lustig machen – das ist undenkbar. Fast schon Comedy-Tradition hat auf der Insel auch das »Hitler-Motiv«, das in »Friday Night Dinner« in Form des cholerisch­en Verehrers der Großmutter auftritt, der Mutter Mums, ein versnobter Kotzbrocke­n, der nicht zufällig auch so aussieht wie Hitler und von Jonny und Adam insgeheim auch so genannt wird. Nur knapp entgeht die Familie einer Heirat der liebestoll­en Oma mit Hitler. Glück gehabt.

Die Staffeln eins bis vier sind bereits auf DVD (in englischer Sprache) erschienen. Die fünfte Staffel erscheint in Deutschlan­d am 16. Juli.

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Foto: Channel 4 Mum und Dad laden jede Woche zum jüdischen Freitagabe­nd ein, der mit einem Festmahl begangen wird und den Sabbat einläutet.

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