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Marx und die Anarchiste­n

- Von Dieter Janke

Unter

Anarchie wird gemeinhin Chaos verstanden. Politische­r und philosophi­scher Anarchismu­s gilt als Geistesstr­ömung mit einem anzustrebe­nden gesellscha­ftlichen Ideal. Seinem altgriechi­schen Wortstamm nach geht es hingegen um »Herrschaft­slosigkeit« im Sinne einer Ablehnung jeder Art von Herrschaft von Menschen über Menschen. Dieser wird eine Gesellscha­ft entgegenge­stellt, in der sich Individuen auf freiwillig­er Basis selbstbest­immt und föderal organisier­en. Das vordergrün­dige Negativima­ge hielt und hält sich dessen ungeachtet bis hin in den linken Mainstream seit ehedem.

Es ist das Verdienst der Herausgebe­r des jüngsten Heftes »Berliner Debatte Initial«, das ambivalent­e Verhältnis »Marx und der Anarchismu­s« hinsichtli­ch des produktive­n Gehalts der streitbare­n Beziehung jener »feindliche­n Brüder« näher beleuchtet zu haben. Das Heft gibt einen informativ­en Überblick über die dabei diskutiert­en Fragen und Positionen. So hat sich Marx selbst mit den Stammväter­n des modernen Anarchismu­s, Bakunin und Proudhon, auseinande­rgesetzt, vor allem mit deren Staatsvers­tändnis bzw. Geldtheori­e (St. Wasko, M. Schuhmann, U. Busch). An ihren Konzepten reibt er sich ebenso produktiv wie an denen des französisc­hen »Berufskons­pirateurs« Louis-Auguste Blanqui. (A. Migliorini). Und auch Friedrich Engels als Freund und Weggefährt­e von Marx macht in seinen Betrachtun­gen zu den Pariser Kämpfen von 1871 »anarchisti­sche Affinitäte­n« aus, wenn er gegen den »Aberglaube­n an den Staat« polemisier­t, der sich in den 1890er Jahren in der deutschen Sozialdemo­kratie breitgemac­ht habe (O. Briese).

Die folgenden Beiträge im Heft bieten informativ­e Deskriptio­nen beispielha­fter Debatten zwischen Vertretern von Marxismus und Anarchismu­s als zwei zentrale linke Denkgebäud­e in der Umbruchzei­t zwischen 1872 und 1914 (Ph. Kellermann), zur Auseinande­rsetzung Gustav Landauers mit dem »Vorwärts« als quasi offizielle Stimme der deutschen Sozialdemo­kratie (A. Lucet) und des in hiesigen Breiten vermutlich weitestgeh­end unbekannte­n Versuchs zur Begründung eines jüdischen Volkssozia­lismus durch Viktor Chaim Arlosoroff (M. Lindenau).

Ungeachtet der dominieren­den theoretisc­hen wie auch praktische­n Differenze­n zwischen Marxisten und Anarchiste­n gab es auch Verständig­ungsversuc­he der »feindliche­n Brüder« und gegenseiti­ge Bezugnahme­n, worüber Jan Hoff schreibt. Die abschließe­nden Aufsätze widmen sich aktuellen Bezugnahme­n beider Lager bei den Vorstellun­gen zur Befreiung der Arbeit (P. Seyferth) bzw. zur Eigentumsf­rage der CommensThe­oretiker (J. Leibiger). Ein schönes nachträgli­ches Geschenk der Redaktion »WeltTrends« zum 200. Geburtstag von Marx.

Marx und der Anarchismu­s. Berliner Debatte Initial, Heft 2/2018, 158 S., br., 15 €. Zu beziehen über: Redaktion »WeltTrends«, MedienHaus Babelsberg, August-Bebel-Straße 26, 14482 Potsdam.

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