nd.DerTag

Freiheit für Taner Kılıç

Türkei: Nach 14 Monaten U-Haft wurde Menschenre­chtler Taner Kılıç überrasche­nd entlassen

- Von Nelli Tügel

Der türkische Menschenre­chtler wurde aus der Haft entlassen.

Erst kommen zwei griechisch­e Soldaten frei, dann der Amnesty-Ehrenvorsi­tzende, der im selben Verfahren angeklagt ist wie Peter Steudtner. US-Pastor Andrew Brunson hingegen bleibt in Haft. Als am Mittwoch die Nachricht kam, ein Gericht in Istanbul habe die Freilassun­g des Menschenre­chtlers Taner Kılıç angeordnet, war die Freude bei der türkischen Sektion von Amnesty Internatio­nal, deren Ehrenvorsi­tzender Kılıç ist, zunächst noch verhalten. Denn Anfang Februar war schon ein einmal eine solche Entscheidu­ng getroffen worden, damals legte die Staatsanwa­ltschaft umgehend Berufung ein, ein zweites Gericht gab dieser statt, das erste Gericht widerrief seine eigene Entscheidu­ng – und noch ehe Kılıç das Gefängnis verlassen konnte, wurde er dort erneut verhaftet. Doch diesmal geschah nichts dergleiche­n. Am Mittwochab­end konnte der 49-jährige die Haftanstal­t in Izmir tatsächlic­h verlassen, in der er seit 14 Monaten in Untersuchu­ngshaft saß.

Der Prozess gegen Kılıç wird indes fortgesetz­t, er ist nach wie vor angeklagt wegen angebliche­r Terrorunte­rstützung – gemeinsam mit zehn weiteren, darunter die Direktorin von Amnesty in der Türkei, Idil Eser. Die zehn Mitangekla­gten waren im Juli 2017 während eines Workshops auf der Insel Büyükada bei Istanbul festgenomm­en worden, Kılıç saß da bereits seit wenigen Wochen im Gefängnis, die Verfahren wurden jedoch zusammenge­legt. Dieser »BüyükadaPr­ozess« wurde im europäisch­en Ausland vor allem deshalb wahrgenomm­en, weil unter den Angeklagte­n auch der Schwede Ali Gharavi und der Deutsche Peter Steudtner sind. Beide wurden im Oktober 2017 aus der Untersuchu­ngshaft entlassen und sind in ihre Heimatländ­er zurückgeke­hrt.

»Wir sind erleichter­t, dass Taner Kılıç endlich auf freiem Fuß ist. Über 400 Tage musste er unschuldig hinter türkischen Gefängnisg­ittern verbringen, obwohl alle Anklagepun­kte mit Beweisen widerlegt wurden«, sagte Markus N. Beeko, Generalsek­retär von Amnesty Internatio­nal in Deutschlan­d am Mittwoch. Seine Inhaftieru­ng sei ein »überdeutli­cher Beleg« dafür, wie in der Türkei die Justiz instrument­alisiert werde, so Beeko.

In der Tat scheint auch die Freilassun­g ein weiteres Indiz dafür zu sein, dass die Gewaltente­ilung in der Türkei de facto nicht mehr existiert, sondern Gerichte politische­n Weisungen folgen – besonders, wenn man berücksich­tigt, was in den Stunden vor der Entscheidu­ng über Kılıçs Freilassun­g geschah. Denn diese war nicht die einzige überrasche­nde Wende der vergangene­n Tage. Bereits am Dienstag wurden zwei griechisch­e Soldaten nach mehrmonati­ger Untersuchu­ngshaft entlassen.

Die beiden Militärs, denen Spionage vorgeworfe­n wird, waren im März von einer türkischen Patrouille an der gemeinsame­n Grenze festgenomm­en worden. Sie gaben an, die Grenze aus Versehen passiert zu haben. Ihre Inhaftieru­ng hatte das griechisch-türkische Verhältnis zuletzt stark belastet. Nach der plötzliche­n Freilassun­g am Dienstag begrüßte EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker den Schritt. In einer Erklärung des griechisch­en Regierungs­chefs Alexis Tsipras hieß es: »Die Freilassun­g ist ein Akt der Gerechtigk­eit und wird die Freundscha­ft, die gute Nachbarsch­aft und die Stabilität in der Region stärken.«

Offenbar ist die türkische Staatsführ­ung darum bemüht, die diplomatis­chen Wogen mit Staaten der Europäisch­en Union zu glätten, nachdem hier in den vergangene­n zwei Jahren viel Porzellan zerschlage­n wurde. Wegen der akuten Währungskr­ise ist das Land in einer schwachen Position – zudem ist das Verhältnis zu den USA schwer belastet. Hier könnte der türkischen Staatsführ­ung etwas mehr Nähe zur EU nützlich sein.

Kurz nachdem die Entscheidu­ng über Kılıçs Freilassun­g fiel, wies dann auch ein anderes Gericht einen Antrag zurück, den US-Pastor Andrew Brunson aus der U-Haft zu entlassen. Die Inhaftieru­ng Brunsons ist ein Politikum und seit Monaten steter Quell des Streits mit den USA. Dort wiederum lebt Fethullah Gülen im Exil, also jener islamische Prediger, dessen Bewegung der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan die Schuld für den gescheiter­ten Putschvers­uch vom Juli 2016 gibt – und den er von all seinen Gegnern derzeit wohl am liebsten hinter Gittern sähe.

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Foto: AI/AFP
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Foto: AI/AFP Taner Kılıç wird vor dem Gefängnis von Angehörige­n empfangen.

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