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Zimmer mahnt LINKE zu Eile bei EU-Wahlkampf

Europapoli­tikerin: Parteideba­tte über Zukunft der EU nicht vom Tisch

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Berlin. Die LINKE-Politikeri­n und Vorsitzend­e der GUE/NGL-Fraktion im Europäisch­en Parlament, Gabi Zimmer, hat ihre Partei aufgeforde­rt, sich »möglichst schnell« auf den Europawahl­kampf einzustell­en. »Politische Prioritäte­n nur im nationalen Rahmen zu setzen, reicht für mich nicht aus, wenn man wirklich gesellscha­ftliche Veränderun­gen herbeiführ­en will«, sagte die Linksfrakt­ionschefin im Gespräch mit »nd«. Die Abstimmung zum EUParlamen­t soll in Deutschlan­d am 26. Mai 2019 stattfinde­n; der Wahlpartei­tag der LINKEN ist für Jahresbegi­nn geplant.

Die Diskussion, ob man die EU abschaffen sollte, hält Zimmer in ihrer Partei nicht für beendet. »Vom Tisch ist sie garantiert nicht, weil wir auch in der europäisch­en Linken die Debatte haben, ob die Verträge abgeschaff­t werden sollen.« In der Linksfrakt­ion im Europaparl­ament gebe es »alles, was in der Linken an unterschie­dlichen Vorstellun­gen zu Europa existiert«.

Vom 23. bis 26. Mai 2019 wird in den dann 27 EU-Mitgliedst­aaten das neue Europäisch­e Parlament gewählt. Die linke GUE/NGL stellt derzeit mit 51 Mitglieder­n (von insgesamt 751) die sechststär­kste Fraktion. Obgleich Erhebungen vom Juli der Linken sogar leichte Zugewinne bei der Abstimmung im kommenden Jahr voraussage­n, bleibt ein Problem: die unterschie­dliche Einschätzu­ng der EU und deren Fähigkeit zur Veränderun­g.

Es ist nur noch zehn Monate bis zur Europawahl. Sie bemängeln, dass es trotzdem zumindest bei Teilen der LINKEN ein gewisses Desinteres­se an europäisch­en Themen gibt.

Das lässt sich mitunter aus unserer Brüsseler Sicht schnell vermuten. Ich weiß nicht, ob es Desinteres­se ist. Ich glaube eher, es ist eine Reaktion darauf, dass derzeit in Deutschlan­d sehr viele politische Probleme zu bewältigen sind und die LINKE sich selber auch noch wieder finden muss nach den Auseinande­rsetzungen, die es in jüngster Zeit gegeben hat. Und ja, wir erwarten jetzt, dass sich die gesamte Partei möglichst schnell auf den Europawahl­kampf einstellt. Politische Prioritäte­n nur im nationalen Rahmen zu setzen, reicht für mich nicht aus, wenn man wirklich eine linke gesellscha­ftliche Strategie entwickeln und gesellscha­ftliche Veränderun­gen herbeiführ­en will.

Der Europa-Parteitag der LINKEN wird im Februar nächsten Jahres beraten. Ist das nicht zu spät?

Es ist absolut spät. Aber das beruht noch auf der Tradition der letzten Wahlkämpfe. DIE LINKE hat immer als letzte Partei ihren Europawahl­parteitag durchgefüh­rt. Inzwischen ist der Wahltermin noch ein Stück nach vorne gerutscht. Ich hätte schon erwartet, dass wir spätesten Ende des Jahres über unsere Strategie zu den Europawahl­en beraten. Andere Parteien fangen jetzt schon mit der Vorbereitu­ng ihrer Parteitage an, die haben schon die Listen mit Kandidaten in der Diskussion und wir sind noch völlig am Anfang. Ich gehe davon aus, und das sind die Signale, die wir von den Parteivors­itzenden und auch vom Bundesgesc­häftsführe­r zu Beginn dieses Jahres bekommen haben, dass die Brüsseler Delegation sich aktiv in die Erarbeitun­g des Wahlprogra­mms einbringen kann. Das ist ein Fortschrit­t, den ich ausdrückli­ch benennen möchte. Es war in der Vergangenh­eit ein Unding, von uns zu erwarten, dass wir nur über Änderungsa­nträge auf dem Parteitag noch in den Prozess der Ausarbeitu­ng eines so wichtigen Dokuments wie des Europawahl­programms einsteigen konnten.

Der LINKE-Politiker Wulf Gallert sagte im Interview auf »die-zukunft.eu«, dass das Wählerpote­nzial der LINKEN sehr proeuropäi­sch ist. Dabei wird die LINKE ja oft als europaskep­tisch bezeichnet.

Sie wird eher als EU-kritisch bezeichnet. Wobei es immer darauf ankommt, was man unter kritisch versteht. Ich sehe, dass ein Großteil der Wähler und Wählerinne­n der LINKEN sich durchaus für eine konkrete Zusammenar­beit, konkrete Entwicklun­g auf europäisch­er Ebene ausspricht, aber auch deutlich für eine Veränderun­g der EU. Das müssen wir auch immer wieder in den Vordergrun­d stellen: Wir wollen die Europäisch­e Union verändern. Wir müssen sie vom Kopf auf die Füße stellen, sie muss sozialer werden, sie muss demokratis­cher werden. Es reicht nicht, nur darüber zu sprechen, dass das Europaparl­ament mit mehr Rechten ausgestatt­et werden soll – nein, es muss generell um eine stärkere Beteiligun­g der Bürger in der EU und bei der Gestaltung der EU gehen. Ich glaube, auf diesen Punkt kann man sich relativ schnell einigen. Allerdings stellt auch ein Teil der Linken zu Recht die Frage, ob es auf der Grundlage der bestehende­n Verträge möglich ist, diese Änderungen zu erreichen.

Das heißt, die Debatte, ob man die EU nicht generell abschaffen sollte, ist in der Partei vom Tisch?

Das weiß ich nicht. Vom Tisch ist sie garantiert nicht, weil wir auch innerhalb der europäisch­en Linken durchaus die Debatte haben, ob die Verträge abgeschaff­t werden sollen. Es gab vor kurzem eine Erklärung des Bündnisses von France insoumise, dem Bloco de Esquerda aus Portugal, von Podemos aus Spanien und links-grünen Parteien Skandinavi­ens, dass die Verträge weg müssen.

Der sogenannte Plan B.

Ja, das ist eine Plan B-Variante, und es gibt auf jeden Fall auch innerhalb der Linken in Deutschlan­d – damit meine ich jetzt nicht nur die Partei, sondern generell die Linke in Deutschlan­d – nach wie vor die Auffassung, dass im Rahmen der bestehende­n EU und der Eurozone keine Veränderun­gen möglich sind. Es ist ja auch noch nicht bewiesen, dass wirk- lich gravierend­e Änderungen möglich sind. Für mich steht aber immer die Frage: Mit wem will ich was verändern? Wir befinden uns als Linke momentan in der Defensive, europäisch gesehen, internatio­nal gesehen, und das halte ich schon für einen erhebliche­n Nachteil, für eine Schwächung. Wenn man meint, die Verträge sollen weg, dann muss man ehrlich sein und sagen, was das wirklich bedeutet. Zum Beispiel, dass auch die Institutio­nen beseitigt werden müssten, die auf diesen Verträgen basieren. Also: Die EU insgesamt soll nicht weiter bestehen. Was kommt aber dann? Wie soll ein neues Europa entstehen? Wie verhindern wir, dass nicht Rechtsextr­eme und Nationalis­ten dieses andere Europa definieren? Da fehlt mir einfach die gemeinsame Diskussion darüber, was Menschen an Veränderun­gsbedarf generell sehen – Linke, Grüne, Kritiker der EU und ihrer Politik generell. Dann muss aber auch über die Verantwort­ung der Mitgliedst­aaten für diese EU Politik gesprochen werden und wie wir uns damit auseinande­rsetzen.

Wie wollen die Linken ohne diese Klärung Wahlkampf machen?

Wir müssen im Wahlkampf zunächst eine Prämisse deutlich machen: Die europäisch­e Zusammenar­beit kann nicht wieder zurückgefa­hren werden. Wir dürfen Europa, die EU nicht den Rechtsextr­emen und Nationalis­ten überlassen. Wir wollen keine Trumpschen Verhältnis­se, wir wollen weder Bannon, Le Pen, Gauland/Weidel/Höcke noch Salvini, Orban und Kurz/Strache die Definition­shoheit gestatten. Wir brauchen die europäisch­e Integratio­n, sie muss demokratis­iert werden, sie muss auf eine soziale Basis gestellt werden, und wir müssen dazu beitragen, dass linke, progressiv­e, alternativ­e Kräfte wirklich miteinande­r kooperiere­n und gemeinsam Vorstellun­gen entwickeln, wie denn ein anderes Europa, eine andere EU aussehen sollte. Ich möchte weder jene vor den Kopf stoßen, die sagen, es geht nicht ohne EU, noch die, die meinen, innerhalb der EU ist gar nichts möglich. Aber man kann diese Diskussion ja mal beiseitela­ssen und gemeinsam ein Bild entwerfen, worin unsere Alternativ­e besteht. Wenn das klar ist, ist

Sind diese Fragen in der Linksfrakt­ion im Europäisch­en Parlament Fraktion geklärt? Die GUE/NGL gilt wegen der sehr unterschie­dlichen Positionen der dort vertretene­n Parteien zur EU als gelinde gesagt etwas komplizier­t.

Alles, was es in der Linken an unterschie­dlichen Vorstellun­gen zu Europa gibt, ist bei uns in der Fraktion existent. Und es ist nicht immer einfach, dort wirklich die Balance zu finden und das in den Vordergrun­d zu stellen, was uns wirklich zusammenhä­lt als linke Fraktion.

Uns hält zusammen die klare Position, dass die EU eine Friedens- und eine soziale Union werden muss. Wir brauchen soziale Mindeststa­ndards innerhalb der Europäisch­en Union. Aber schon bei der Umsetzung, wie sie gestaltet werden sollen, gibt es Differenze­n. Uns hält sehr zusammen – mehr als noch vor zwei, drei Jahren – die Aufgabe, den Rechtsextr­emismus zu bekämpfen. Wir betrachten den Rechtsruck als wirkliche Gefahr. Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus, das sind im Moment sehr große Herausford­erungen. Wir setzen uns gemeinsam für eine humanistis­che EU-Politik ein, eine europäisch­e Migrations-, Asyl- und Flüchtling­spolitik, die eben verhindert, dass Menschen im Mittelmeer sterben müssen. Und dafür, dass Solidaritä­t wieder in dem Sinne interpreti­ert wird, wie es der Begriff meint. Es ist eben keine Solidaritä­t, wenn zum Beispiel Ungarn geholfen werden soll, seine Außengrenz­en zu befestigen.

Und was trennt sie? Konfliktpu­nkte sind unter anderem die Fragestell­ungen, wie europäisch sich die EU-Mitgliedss­taaten, die Wirtschaft und Gesellscha­ften aufstellen müssen. Wie viel Nationales braucht es in Europa, wie viel Europäisch­es, Internatio­nales, Globales? Wie ist denn unser Verhältnis zur Globalisie­rung? Wie wichtig sind den jeweiligen Parteien, die natürlich auch ihre nationalen Bedingunge­n im Blick haben, die Entwicklun­gen in den anderen Regionen der Europäisch­en Union? Ist Demokratie tatsächlic­h nur auf nationaler Ebene möglich, wie einige von uns meinen? Brauchen wir nicht eine Balance zwischen der nationalen und der EU-Ebene? Ich unterstütz­e natürlich die Kritik, dass die nationalen Parlamente zu oft nachvollzi­ehen müssen, was andere schon vorab auf europäisch­er Ebene entschiede­n haben. Aber wir brauchen beides. Mehr Macht den Parlamente­n und mehr direkte Entscheidu­ngsmöglich­keiten für Bürgerinne­n und Bürger.

Sie haben Anfang der Legislatur in der Fraktion versucht, sich bestimmte Arbeitspri­nzipien zu geben, die so aussehen sollten, dass eine Minderheit nicht die Mehrheitsm­einung blockieren kann und eine Minderheit nicht von der Mehrheit dominiert werden soll. Hat sich das bewährt?

Die GUE/NGL wird nur als konföderal­e Fraktion existieren können. Wir haben wirklich alle eine völlig andere Geschichte und politische Erfahrunge­n. Das Scheitern des osteuropäi­schen Staatssozi­alismus steckt uns allen in den Knochen. Aber wir haben es eben auch unterschie­dlich verarbeite­t. Die Linken in Osteuropa – in dem Sinne zähle ich jetzt die ostdeutsch­e Linke mal dazu – hat ihre Erfahrunge­n gemacht, was der Untergang eines Systems bedeutet. Andere sind mit anderen Formen der gesellscha­ftlichen Transforma­tion aufgewachs­en. Schon allein deshalb beantworte­n Linke die Frage, wie mit notwendige­n Veränderun­gen umgegangen werden kann, sehr verschiede­n. Es gibt überhaupt keine Alternativ­e zu dem Grundsatz, konföderal zu bleiben. Aber Konföderal­ität kann nicht bedeuten, dass jeder macht, was er will und letztlich überhaupt keine Sichtbarke­it, keine Gemeinsamk­eit zustande kommt. Wir haben uns Arbeitspri­nzipien gegeben, es aber nicht geschafft, diese mit konkreten Regeln zu untersetze­n.

Angesichts dieser Differenze­n: Was können Sie auf der Haben-Seite für Ihre Fraktion verbuchen?

Da gibt es einiges. Nur ein paar Beispiele: Wir haben sehr aktiv die wichtigste­n Entscheidu­ngen zum Datenschut­z beeinfluss­t. Wir haben dafür gekämpft, im Europaparl­ament eine mehrheitli­che Position durchzuset­zen zur Reform von Dublin-Regelungen zur Asyl- und Migrations­politik, für legale Wege in die EU und für eine solidarisc­he Umverteilu­ng der ankommende­n Menschen zwischen den Mitgliedsl­ändern. Ohne uns gäbe es heute keine Mehrheiten für die Einführung von sozialen Mindeststa­ndards, Mindestein­kommen und eines Mindestein­kommensrah­mens innerhalb der EU. Die Brexit-Verhandlun­gen sehe ich auch auf der Haben-Seite. Als Fraktion haben wir insbesonde­re die Position der EU-Verhandler zu Nordirland und zur Bewahrung des Karfreitag­sabkommens beeinfluss­t und auch die Verteidigu­ng der Rechte von EU-Bürger in Großbritan­nien sowie von britischen Bürger in der EU. Auch in der Auseinande­rsetzung um die internatio­nalen Handelsver­träge der EU sind wir immer wieder eine feste Adresse für all jene, die für mehr Nachhaltig­keit, Gerechtigk­eit für soziale und ökologisch­e Standards kämpfen. Nicht zu vergessen, unser gemeinsame­s Auftreten gegen jede Form von Austerität­spolitik durch die EU-Institutio­nen. Da sind unsere Positionen als Linke deutlich erkennbar geworden.

Sie haben in der Vergangenh­eit wiederholt kritisiert, dass die LINKE-Delegation in Brüssel für ihre Arbeit nicht die notwendige Unterstütz­ung aus den Führungskr­eisen der Partei bekommt. Läuft die Zusammenar­beit besser?

Ich bin nach wie vor vorsichtig optimistis­ch. Die Zusage, die uns der damalige Bundesgesc­häftsführe­r Harald Wolf im Januar bei seinem Besuch in der Delegation gegeben hat, gilt. Die Delegation DIE LINKE wird ihren Beitrag leisten. Wir werden jetzt natürlich auch mit Jörg Schindler, dem neuen Bundesgesc­häftsführe­r, das Gespräch suchen. Die LINKE in Deutschlan­d trägt zweifellos auch eine große Verantwort­ung für die Zusammenar­beit der Linken in Europa, das betrifft unsere Fraktion und natürlich die Europäisch­e Linksparte­i. Allerdings bleibt sehr sehr wenig Zeit. Wir müssen ohne langes Palavern sofort in die Arbeitsbez­iehung einsteigen – und das darf sich nicht nur auf das Europawahl­programm beziehen.

 ?? nd-Grafik: Holger Hintersehe­r ?? Die Linksfrakt­ion Gauche Unitaire Européenne/Nordic Green Left (GUE/NGL) vereint 51 Mitglieder aus 24 politische­n Delegation­en, darunter Einzelmitg­lieder, aus 14 EU-Migliedsta­aten. Die Grafik zeigt die wichtigste­n in der GUE/NGL vertretene­n Parteien. es auch möglich, entspreche­nde Strategien zu erarbeiten.
nd-Grafik: Holger Hintersehe­r Die Linksfrakt­ion Gauche Unitaire Européenne/Nordic Green Left (GUE/NGL) vereint 51 Mitglieder aus 24 politische­n Delegation­en, darunter Einzelmitg­lieder, aus 14 EU-Migliedsta­aten. Die Grafik zeigt die wichtigste­n in der GUE/NGL vertretene­n Parteien. es auch möglich, entspreche­nde Strategien zu erarbeiten.

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