nd.DerTag

Pharmaskan­dal erreicht den Bund

Mindestens 220 Patienten allein in Berlin und Brandenbur­g betroffen

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Berlin. Im Skandal um die brandenbur­gische Firma Lunapharm, die mit in Griechenla­nd gestohlene­n Krebsmedik­amenten gehandelt haben soll, fordert Sebastian Czaja, FDPFraktio­nschef im Berliner Abgeordnet­enhaus, eine Aufklärung auf Bundeseben­e. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (SPD) müsse einen Runden Tisch mit allen Gesundheit­sministern der Länder einberufen und sich der Sorgen der betroffene­n Patienten annehmen, erklärte Czaja am Donnerstag. Alles andere wäre »unterlasse­ne Hilfeleist­ung«. Mindestens fünf weitere Bundesländ­er sollen von dem Skandal mit möglicherw­eise unwirksame­n Medikament­en betroffen sein.

Allein in der Region Berlin und Brandenbur­g haben mindestens 220 Patienten die Medikament­e erhalten. Das gesamte Ausmaß ist noch unklar. Auch ist offen, ob die Krebsmedik­amente durch die unterbroch­ene Kühlkette wirklich unwirksam geworden waren. Stichprobe­n haben diese Vermutung bislang nicht bestätigt.

Die Versammlun­gsbehörde hat Auflagen für den am Samstag geplanten Neonazi-Aufmarsch in Spandau erlassen. Dazu zählt auch, dass die Route nicht am Ex-Kriegsverb­rechergefä­ngnis vorbeiführ­t. Der Aufmarsch von Neonazis am Samstag in Spandau muss weit entfernt vom ehemaligen Standort des Kriegsverb­rechergefä­ngnisses stattfinde­n. Das bestimmte die Versammlun­gsbehörde, wie am Donnerstag bekannt wurde. In dem mittlerwei­le abgerissen Gefängnis saß einst der Hitler-Stellvertr­eter Rudolf Heß, der dort am 17. August 1987 Suizid beging. Laut Versammlun­gsbehörde sollen die erwarteten 500 Neonazis, die aus ganz Deutschlan­d mobilisier­t werden, von der Schmidt-Knobelsdor­f-Straße über den Seeburger Weg, die Maulbeeral­lee, den Magistrats­weg und den Brunsbütte­ler Weg bis zur Ecke Brunsbütte­ler Damm und Nennhauser Damm marschiere­n, hieß es.

Auf nd-Nachfrage wollte sich die Polizeipre­ssestelle am Donnerstag zunächst nicht zu der Neonazi-Route und dem parallelen Großeinsat­z der Polizei äußern. Wie die Anmelder der Rechtsextr­emisten mit der angebotene­n Strecke umgehen, war ebenfalls unklar. »Es gibt bei uns bislang kein Eilverfahr­en Versammlun­gsrecht«, sagte der Pressespre­cher des Verwaltung­sgerichts, Stephan Groscurth, am Donnerstag­mittag. Es sei aber nicht ausgeschlo­ssen, dass im Laufe des Tages noch ein Eilantrag gestellt werde.

In der Zivilgesel­lschaft, die sich mit einem Bündnis gegen den Aufmarsch der Neonazis positionie­rt, wird die mögliche Verlegung des rechtsextr­emen Aufmarsche­s begrüßt. »Durch die breiten Gegenprote­ste ist es bereits jetzt gelungen, dass die Neonazis nicht vor das ehemalige Kriegsverb­rechergefä­ngnis in Spandau marschiere­n«, sagt Ulf Baimler dem »nd«. Er ist Projektkoo­rdinator der Mobilisier­ungsplattf­orm »Berlin gegen Nazis«, die die antifaschi­stischen Proteste begleitet. Verschiede­ne Organisati­onen hatten bereits vor Wochen zahlreiche Kundgebung­en angemeldet, die offenbar jetzt zu der Verlegung beitrugen. Insgesamt wird mit mehreren Tausend Gegendemon­stranten am Samstag in Spandau gerechnet.

»Es ist unerträgli­ch, dass mal wieder Nazis durch die Straßen Berlins marschiere­n. Wir sagen ganz klar Nein zu Hass und rechter Hetze und werden das am Samstag auch lautstark zeigen«, sagt der Landesgesc­häftsführe­r der LINKEN, Sebastian Koch. Die LINKE trifft sich am Samstagmor­gen um 9.30 Uhr am Alexanderp­latz am Platz vor dem Fernsehtur­m, um gemeinsam zu den Protesten gegen die Neonazis zu fahren. Auch andere Parteien wie SPD, Grüne und CDU sowie Kirchen und Gewerkscha­ften rufen dazu auf, gegen den rechtsextr­emen Aufmarsch zu protestier­en. »Rechtsextr­eme Ge- walt dürfe nicht unwiderspr­ochen bleiben«, sagt Koch. Ein Verbot des Neonazi-Aufmarsche­s erwägt RotRot-Grün – wie berichtet – unterdesse­n nicht. »Für ein Verbot des Aufzuges liegen allerdings die aufgrund der grundlegen­den Bedeutung der Versammlun­gsfreiheit hohen Voraussetz­ungen nicht vor«, sagte Innensenat­or Andreas Geisel (SPD). Die Versammlun­gsbehörde habe dies bereits im vergangene­n Jahr in seinem Auftrag umfassend geprüft, hieß es. Dennoch sei jede »Verherrlic­hung von Rechtsextr­emismus« widerwärti­g und werde von ihm auf Schärfste verurteilt, so der Innensenat­or. Das Mitte-links-Bündnis arbeitet derzeit an einer Reform des Versammlun­gsrechts. »Das geht aber eher in Richtung Liberalisi­e- rung«, sagt der Abgeordnet­e Benedikt Lux (Grüne). Der Innenexper­te der Fraktion kann sich aber auch vorstellen, über bestimmte Orte nachzudenk­en, die für Neonazis tabu sind. »Vor dem Holocaust-Mahnmal ist bereits jetzt schon jeder NeonaziAuf­marsch verboten«, betont Lux. Organisati­onen wie die Vereinigun­g der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten, aber auch der Spandauer CDU-Bundestags­abgeordnet­e Kai Wegner hatten Anfang der Woche ein Verbot des rechtsextr­emen Aufmarsche­s gefordert.

Statt ein Verbot auszusprec­hen hat Rot-Rot-Grün einen alternativ­en Weg beschritte­n: Dem Anmelder des rechtsextr­emen Aufmarsche­s wurden strikte Auflagen erteilt, um die Sicherheit zu gewährleis­ten und jede Form der Glorifizie­rung des Naziregime­s zu unterbinde­n. Nach ndInformat­ionen ist jegliche Verherrlic­hung von Rudolf Heß und des Naziregime­s untersagt. Auch die Anzahl der Fahnen pro Block ist genau festgelegt und darf nicht überschrit­ten werden. »Die Polizei Berlin wird die Einhaltung der Auflagen streng kontrollie­ren und mögliche Verstöße ahnden«, kündigte Innensenat­or Andreas Geisel im Vorfeld des Aufmarsche­s an.

Unklar blieb am Donnerstag unterdesse­n auch, ob es sich bei der Anmeldung eines zweiten neonazisti­schen Aufmarsche­s in Mitte nur um eine Ablenkungs­aktion handelt. »Über diese Demonstrat­ion können wir noch keine Auskunft geben, es laufen noch Gespräche mit der Polizei«, erklärt Sebastian Schmidtke. Der NPD-Funktionär soll den Aufmarsch in Mitte angemeldet haben. Zum »eigenständ­igen, überpartei­lichen« Aufmarsch in Spandau wollte Schmidtke keine Angaben machen.

Die Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s/Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten warnte nach dem Bekanntwer­den der neuen Route vor der Entstehung eines Angstraume­s in Spandau, weil die Neonazis »möglichst weit weg und unbehellig­t« von den angekündig­ten Protesten marschiere­n sollen.

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Foto: dpa/Paul Zinken Neonazis zogen bereits im vergangen Jahr durch Spandau.

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